Alles begann damit, dass sich die Architektin Johanna Zwinscher und der Theaterpädagoge Jean Francois Droszak ein Haus in Gostenhof kauften. Es hatte bis 1933 einer jüdischen Familie gehört. Sie stellten sich bald die Fragen zu den Besitzverhältnissen: Gehörte dieses Haus den späteren Eigentümern? Was ist damals passiert? War das ein krimineller Akt? "Und wenn es einen Vertrag gibt, der rechtens ist, so frage ich mich, ob das ethisch trotzdem rechtens ist", grübelte Droszak und begann nachzuforschen.

Die Recherchen ergeben, dass in dem Haus eine Familie Jesuran gewohnt hat. Kurz vor der Machtergreifung Hitlers verkaufte sie ihr Haus drastisch unter Wert. Die fünfköpfige jüdische Familie zog aus und floh aus Deutschland. In Brüssel warteten die nun Staatenlosen auf ihre Ausreise nach Argentinien. Doch Nazi-Deutschland besetzte Belgien, und die Familie musste sich vor einer Deportation verstecken. Der älteste Sohn wurde in dieser Zeit nach Auschwitz deportiert, wo er ums Leben kam.

Die Nachkommen der Familie besuchten im Juli 2017 das Haus und wurden herzlichst empfangen.

Sie leben heute in Toulouse und in Brüssel. Droszak ist Deutscher und hat selbst belgische Wurzeln. Gemeinsam wird nun die Geschichte des Anwesens dokumentiert. Familie Jesuran will keine klassische Erinnerungstafel, und in die Gehsteige eingelassene sogenannte "Stolpersteine" lehnt sie ab.

So erarbeitete der Verein Nordkurve eine Alternative zu gängigen Erinnerungstafeln. Um zeitgemäß der Opferfamilie zu gedenken, entsteht ein Begegnungsprojekt gegen Antisemitismus. Eingebunden ist ein Schulprojekt am Albrecht-Dürer-Gymnasium: Zehn Elftklässler erforschen im Rahmen eines P-Seminars die Geschichte des Hauses.

Sie hatten auch die Idee zur Briefkastenaktion: Man klebt ein Namensschild auf den Briefkasten, das mit dem Namen eines aus dem Stadtteil Gostenhof emigrierten oder deportierten jüdischen Bürgers beschriftet ist. Quelle der Namen ist das Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoah.

Das erste Schild bleibt in der Volprechstraße. Jeans Nachbarin Sandrine wird es an ihrem Briefkasten befestigen. "Es soll die Leute irritieren", sagt Jean Francois Droszak. "Diese Irritation kann der Beginn eines Treppenhausgesprächs zwischen ihr und den Nachbarn sein." Sandrine findet Erinnerung wichtig, "weil es viel schneller gehen kann, als man denkt, dass so etwas wieder passiert - gerade in der aktuellen Politik", befürchtet sie und fügt hinzu: "Meine Tochter hat Down-Syndrom, und da ist in der Kriegszeit viel passiert - das möchte ich nicht wieder haben."

Gefördert wird das Projekt von "Demokratie leben".

Projektpatin ist Martina Mittenhuber, die Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsbüros. Das Projekt erreiche Leute, die von klassischen Bildungsangeboten nicht erreicht würden, betont sie. Diana Liberova, SPD-Stadträtin und Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde, hat die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen. Für sie sind die ersten 30 Namensschilder nur ein Anfang. Die Aktion zeige die Opfer als "Menschen wie du und ich", sagt sie und hole sie "in die Mitte der Gesellschaft zurück".

Nach Gostenhof könnten andere Stadtteile dem Beispiel folgen - oder andere Städte wie Fürth oder Würzburg. Das Interesse ist jedenfalls groß - auch weit über Franken und Bayern hinaus. "Weil das Thema sehr, sehr heiß ist im Moment", spielt Droszak auf den Rechtsruck in der Gesellschaft an. Er denkt, dass viele Leute die paar Quadratzentimeter Briefkasten zur Verfügung stellen wollen.