Bundespräsident Theodor Heuss meinte es gut, als er 1950 seinen Freund, den Dichter, "Erneuerer des Kirchenliedes" und bayerischen Landessynodalen Rudolf Alexander Schröder bat, den Text einer neuen Nationalhymne zu schaffen. War doch das Deutschlandlied - "Deutschland, Deutschland über alles" - nach Krieg und Holocaust vollständig diskreditiert. Schröders Vorschlag beschwört das "Land des Glaubens, deutsches Land" unter anderem als "Haus und Herberg, Trost und Pfand".

Vorschlag eines Neuanfangs

Der Vorschlag eines völligen Neuanfangs setzte sich allerdings auch in Sachen Nationalhymne nicht durch - adenauerscher Pragmatismus war ein Grund. Ein anderer Grund mag womöglich gewesen sein, dass es Rudolf Alexander Schröder wenige Jahre zuvor - wenn auch ohne es zu wollen - mit einer Hymne ganz anderer Art in die Liederbücher von SA und Hitlerjugend geschafft hatte: August 1914 - Kriegsbeginn. Der 36-jährige Rudolf Alexander Schröder verfasst als Marine-Artillerist auf der Nordsee-Insel Wangerooge jenen berüchtigten, glühend-hämmernden "Deutschen Schwur", der weit über den Ersten Weltkrieg hinaus seine verhängnisvolle Wirkung entfalten sollte: "Heilig Vaterland / in Gefahren / deine Söhne stehn / dich zu wahren // Von Gefahr umringt / Heilig Vaterland / schau, von Waffen blinkt / jede Hand".

"Bürger, Weltmann, Christ, Mittler, Dichter"

"Bürger, Weltmann, Christ, Mittler, Dichter" - hat der jüngst verstorbene Verleger Siegfied Unseld die Persönlichkeit Rudolf Alexander Schröders einmal umrissen. Schröder, der zudem kein schlechter Architekt, Übersetzer, Maler, Musiker, Prediger und Theologe war, entzieht sich allen einfachen Zuordnungen. Wer also war dieser Rudolf Alexander Schröder, der am 26. Januar vor 125 Jahren geboren wurde?

Rudolf Alexander Schröder stammt aus Bremen, aus einer reichen und alteingesessenen Patrizierfamilie, der Vater war in der Übersee-Mission engagiert. Doch mit 17 Jahren verabschiedete sich Schröder von der traditionellen, orthodoxen Frömmigkeit seiner Familie, fühlte sich dem christlichen Bekenntnis "hoffnungslos entfremdet". Er wendete sich der Kunst zu - und München leuchtete auch für Rudolf Alexander Schröder: Dorthin, in die Isar- und Jugendstil-Metropole zog es den Bremer Kaufmannssohn, wo er ab 1897 Architektur, Musik und Kunstgeschichte studierte.

"Die Insel"

In München verwirklichte Schröder gemeinsam mit seinem Schulfreund und Vetter Alfred Walter Heymel, der ein Millionenvermögen geerbt hatte, einen Jugendtraum: Man gründete die exklusive Literatur-Zeitschrift "Die Insel". August Strindberg, Paul Verlaine, Rainer Maria Rilke und Hugo von Hoffmannsthal gehörten zu den Autoren der Zeitschrift, aus der später der noch heute bestehende Insel-Verlag hervorgehen sollte.

Die "Insel" - für Schröder das Eintrittsbillet in die literarische Welt: Mit Rainer Maria Rilke, mit Frank Wedekind, mit Harry Graf Kessler, mit Gerhart Hauptmann und Max Reinhardt, nicht zuletzt auch mit Hugo von Hoffmannsthal pflegte er teils engen Kontakt und Austausch.

Als klassischer Philologe und Übersetzer, vor allem der Odyssee und Vergils, machte sich Schröder ebenfalls einen Namen. Eine lebenslange Freundschaft, ein intensiver Briefwechsel und nicht zuletzt die gemeinsame nationale, konservative und zugleich an der Antike und dem europäischen Humanismus orientierte Grundhaltung verband Schröder mit dem Dichter und Übersetzer Rudolf Borchardt (1877-1945). Auch als Innenarchitekt, in seinem "Brotberuf", erzielte Schröder Erfolge. So stattete er, wieder in Bremen, vor dem Ersten Weltkrieg mehrere Ozean-Liner aus und erhielt auf der Brüsseler Weltausstellung 1910, wo er sich mit einer Innenausstattung und Möbeldesign präsentierte, eine Goldmedaille.

Wiederentdeckung des christlichen Glaubens

Im ersten Weltkrieg war Schröder - abgesehen von den Monaten zu Kriegsbeginn auf Wangerooge - Zensor im deutschen Generalkommando in Brüssel. Auf den Kriegszusammenbruch antwortete er mit einer Rückbesinnung und Wiederentdeckung des christlichen Glaubens: "Um mein vierzigstes Jahr herum habe ich dann angefangen, einzusehen, dass das Böse seinen Sitz im Herzen eines jeden Menschen hat und dass trotzdem hinter und über allem der eine Gott steht, der jedes seiner Geschöpfe in väterlichen Händen hält", hat er in der Rückschau geschrieben. Bis in die 30er-Jahre hinein dichtete er dennoch weiterhin nationalistisch-kämpferische Lieder. Ab etwa 1930 vollzieht sich der Wandel zum Glauben auch literarisch.

Innere Migration

Die Machtübernahme der Nazis bedeutete auch für den jetzt 55-jährigen Schröder einen tiefen Einschnitt. Er gab die Architektur völlig auf: "Wenn ich jetzt noch so etwas machen will, muss ich mit den Leuten paktieren". Schröder antwortete mit innerer Emigration und begann, "Landschaften zu malen". Er näherte sich der "Bekennenden Kirche" an und zog 1936 aus dem deutsch-christlichen Bremen nach Bayern, wo es eine so genannte "intakte" Landeskirche gab.

Hier, in Bergen am Chiemsee, wo er mit seiner Schwester Dora wohnte, beginnt der Abschnitt in Schröders Leben, der ihn tief mit der bayerischen Landeskirche verbindet. Aus den späten 30er-Jahren stammen die Lieder, mit denen er - neben Jochen Klepper und Arno Pötzsch seinen Ruf als "Erneuerer des Kirchenliedes" begründete. Im Stammteil des heutigen evangelischen Gesangbuchs stammen noch drei Lieder von Schröder - und weitere drei in unterschiedlichen Regionalteilen. 1937 entstanden - also auf dem Höhepunkt der Erfolge Hitlers, ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Berlin - ist das Lied "Wir glauben Gott im höchsten Thron" (184). In seinem trinitarisch angelegten Bekenntnis ist es eine Absage an alle totalitären weltlichen Heilsanmaßungen.

Gottesdienste trotz Verbot

1942 begann Schröder, dem es ansonsten verboten war, öffentlich aufzutreten, als Lektor und Prädikant der Landeskirche zu predigen und Gottesdienste zu halten. Als Schröder 1942 in Rosenheim als Lektor eingeführt wurde, bildete er eine Ausnahme - er durfte von Anfang als Prädikant frei predigen und war nicht an die Predigttextvorgaben gebunden.

Schröder gehört auch zu den wenigen Christen, die zumindest für ihre verfemten und verfolgten Mitchristen jüdischer Herkunft die Stimme erhoben. Doch Schröders Appelle bleiben letztlich erfolglos. Betroffen ist auch Karoline Borchardt, eine gute Freundin Schröders, die nach ihrer Deportation nach Theresienstadt dort 1944 stirbt.

Eine Predigt Schröders nach dem Ende des Krieges, gehalten an Pfingsten 1945, lässt es an Deutlichkeit nicht fehlen: "Was ist von unsrer, der Christen Seite geschehen, um dem Blutwahn der mit den höchsten Ämtern und Titeln des Reiches Bekleideten zu begegnen?" fragt er und konstatiert: "Wo von Russland die Rede war, haben wir das Maul tapfer aufgerissen. Gegenüber unserer eigenen, längst weltkundigen Schande haben wir die Augen zugekniffen, und wo das nicht mehr anging, an ihr vorbei geblickt."

Synodaler Wiederaufbau

Schröder nahm als Synodaler am Wiederaufbau der bayerischen Kirche teil. Bei der Synodalwahl 1947 erhielt Schröder im Wahlkreis Ingolstadt-Rosenheim die mit Abstand meisten Stimmen und wurde zum Alterspräsidenten der Synode ernannt. Synodaler blieb Schröder bis 1952 auch wenn er an den letzten Synodaltagungen nicht mehr teilnahm.

Angesichts der vielen Facetten seines Lebens bleibt die Frage: Wer war Rudolf Alexander Schröder? Als er, 84-jährig, sein Leben lang tief verwurzelt im Weltbild der Kaiserzeit, wohl auch im Widerstand gegen die Moderne, am 22. August 1962 in einem Krankenhaus in Bad Wiessee starb, da starb jedenfalls auch ein Mann, den Siegfried Lenz als "letzten großen Vertreter der deutschen Gelehrtenrepublik" bezeichnet hat.