Heike Schmitt aus Unterfranken leidet enorm. Seit fast sechs Jahren leidet die heute 56-Jährige nach ihren Aussagen unter unerträglichen Schmerzen im Gesicht. Normal essen - unmöglich. Ihr Gaumen erträgt die Berührung mit fester Nahrung nicht mehr. Kauen - unmöglich. Ihre Zähne schmerzen permanent. Das Gefühl sei in etwa so, als würde ein Zahnarzt ununterbrochen bohren und dabei einen Nerv treffen, erzählt sie. Heike Schmitt ist nicht alleine. Etwa sechs Millionen Deutsche leiden der Deutschen Schmerzgesellschaft zufolge an dauerhaften und nicht tumorbedingten Schmerzen. Viele suchen jahrelang nach Hilfe.

Schmitt ernährt sich inzwischen fast ausschließlich von Energiebriketts, die sie in Wasser auflöst: "Meinen letzten Apfel habe ich vor fünf Jahren gegessen." Bis vor sechs Jahren war die zweifache Mutter nie ernsthaft krank gewesen, erzählt sie. Das alles änderte sich mit dem Einzug in eine Wohnung, die wohl stark mit Schimmelpilz belastet war. Schmitt bekam Atemprobleme. Ende des Jahres 2012 wurde ihr zu einer Operation im Gesichtsbereich geraten. Ob etwas schiefgelaufen ist, weiß sie nicht: "Doch seither habe ich Schmerzen, gegen die keinerlei Schmerzmittel helfen." Alles habe sie inzwischen ausprobiert, bis hin zu Morphium.

Schmerztherapie ist Menschenrecht

Heike Schmitts Erfahrungen und Erlebnisse sind geradezu prototypisch. Viele Betroffene suchen viele Jahre lang vergeblich nach Hilfe, sagt die Würzburger Neurologin Claudia Sommer, die designierte Präsidentin der Deutschen Schmerzgesellschaft. Seit 2010 fordert die Organisation einen "Nationalen Aktionsplan gegen den Schmerz", der die Versorgung, aber auch die Forschung über die Schmerzentstehung verbessern soll. Der Anspruch auf Schmerztherapie ein Menschenrecht, das bis heute nicht eingelöst ist, findet die Gesellschaft. Darauf macht sie jährlich beim "Aktionstag gegen den Schmerz" aufmerksam, heuer am 5. Juni.

"Vor allem bei unklaren Ursachen von Schmerzen erleben viele Patienten bei ihren Ärzten Unverständnis", erläutert die Würzburger Medizinerin Claudia Sommer. Sie werde oft von Patienten kontaktiert, die - weil sie selbst nicht fündig wurden - nach schmerztherapeutischen Einrichtungen in der Nähe ihres Wohnorts fragen. Die Deutschen Schmerzgesellschaft habe zwar bereits einen "Versorgungsatlas" erstellt, der auf Angebote aufmerksam macht: "Doch der muss ausgebaut und der Zugriff für die Betroffenen erleichtert werden." Dafür wolle sie sich während ihrer Präsidentschaft ab 2019 auch einsetzen, erläutert die Neurologin.

Patienten erleben Alptraum aus Dauerschmerz

Heike Schmitt merkt man an, wie extrem sie unter den Schmerzen leidet. Selbst mit Hilfe von Benzodiazepinen kommt sie nachts kaum zur Ruhe. Die permanente Schlaflosigkeit erschöpft. Ihr Gesicht ist wie versteinert und verzogen, der linke Mundwinkel hängt leicht herab. Das Sprechen fällt ihr schwer. Aber sie will sprechen. Sie möchte darauf aufmerksam machen, wie wenig Hilfe Schmerzpatienten erhalten. Ihr eigenes Leben sei durch die Dauerschmerzen zum Alptraum geworden. Bei wie vielen Ärzten sie in den letzten Jahren war, weiß sie nicht. "Alle haben nur Symptome behandelt, niemand fragt, was wirklich dahinter steckt."

Stattdessen hat die Frührentnerin immer stärkere Schmerzmittel erhalten. Bald kamen die Nebenwirkungen. Der Verdauungstrakt ist inzwischen schwer gestört. Ein weiterer Grund, warum sie nicht mehr normal essen kann. "Das Schlimmste ist, dass man als chronische Schmerzpatientin in die Psychoecke abgeschoben wird", sagt Schmitt, die früher einmal Leistungssport betrieben hat. Weil man bei ihr keine konkrete Ursache findet, wird ihr zu psychiatrischen Klinikaufenthalten geraten. Doch Schmitt ist überzeugt, dass ihre Schmerzen nicht von der Seele rühren. Niemand nehme sich Zeit, sie gründlich zu untersuchen.

Schmitt: Hunde dürfen eingeschläfert werden - warum nicht auch Menschen?

Sommer sind solche Leidensgeschichten nicht fremd. Deshalb brauche es einen "Nationalen Aktionsplan gegen den Schmerz". Zwar bemühten sich "einzelne" Schmerztherapeuten in Bayern und Deutschland sehr, ihren Patienten zu helfen: "Aber das reicht nicht aus." Notwendig wäre eine flächendeckende und hochwertige Versorgung. Die sei momentan nicht gewährleistet. Selbst an einer adäquaten Ausbildung hapere es noch. Zwar sei "Schmerztherapie" heute teil des Medizinstudiums. "Die meisten Fakultäten geben sich auch große Mühe, das Fach attraktiv zu machen." Doch das sei nicht gerade leicht, zumal es an Dozenten mangelt.

Wie komplex "Schmerzfälle" sind, dafür ist Heike Schmitt das beste Beispiel. Die vergangenen fünfeinhalb Jahre, seit sie ununterbrochen unter heftigen Schmerzen litt, haben ihre Spuren hinterlassen. Schmitt, die früher beruflich erfolgreich war, schafft es inzwischen nicht mehr, ihren Alltag zu bewältigen. "Ich bräuchte für alles Hilfe", sagt sie. Doch Alltagsunterstützung suchte sie vergebens: "Niemand fühlt sich für mich zuständig." Immer häufiger denkt die 56-Jährige über Sterbehilfe nach. Hunde, meint sie, dürften eingeschläfert werden: "Aber warum nicht Menschen, wenn das Leben für sie eine einzige Qual ist?"