Flughäfen sind Durchgangsorte: Über 100 000 Menschen hasten allein am Flughafen München jeden Tag zu den Abfluggates, zu den Kofferbändern, zur S-Bahn. Doch es gibt auch Menschen, die den Flughafen nie verlassen. Markus Jaehnert erkennt seine Klienten am Koffer. "Wenn keine Gepäckbanderole dran ist, ist das oft ein Hinweis", sagt der Diakon. Begegnet er dem Menschen dann das dritte Mal, spricht er ihn an.

Im November 2017 hat die Flughafen München Gesellschaft (FMG) das Obdachlosen-Projekt MOSE gestartet. Seit Januar drehen Jaehnert und seine Kollegin Jessica Gürtler ihre Runden. Einmal durch alle Terminals und Gänge: macht viereinhalb Kilometer. "An manchen Tagen kommen wir auf 30 Kilometer", sagt Jaehnert.

Zwischen Vorschrift und Empathie

Leicht zu erkennen sind die Obdachlosen am Flughafen nicht. "Manche Touristen schauen abgerissener aus als unsere Leute", findet der Streetworker. Viele schlafen auf den breiten Heizkörpern oder den Bänken am Terminal 2 – anders als die Sitzgelegenheiten am Terminal 1 haben sie keine Armlehnen. Zwischen 80 und 150 Wohnungslose pro Jahr nutzen die klimatisierten Hallen als Basis. Viele sind Männer unter 40 aus Osteuropa: "Das sind Gestrandete mit zerschlagenen Hoffnungen", sagt Jessica Gürtler mit Bedauern.

 

Schild Kirchliche Dienste Flughafen München.
Konsum und Kirche: Am Flughafen mischen sicht die Welten. Mitten in der Geschäftigkeit von Reisenden, Läden und Lounges bieten die Kirchlichen Dienste Hilfe in Krisensituationen an.
Anzeigentafel Abflug Flughafen München.
100.000 Gäste passieren jeden Tag die zentrale Halle mit den Anzeigentafeln auf dem Weg zum Gate und zur S-Bahn.
Rolltreppe zur Kapelle und Flughafenseelsorge.
Wer im Zentralbereich die Rolltreppe nach oben nimmt, findet leicht den Weg ...
Eingang Kirchliche Dienste am Flughafen.
... zu den Kirchlichen Diensten am Flughafen. Ein evangelisches und ein katholisches Team kümmern sich um Passanten, Flughafen-Angestellte, Obdachlose und Flüchtlinge.
Stefan Fratzscher evangelischer Flughafenseelsorger.
Stefan Fratzscher ist der evangelische Flughafenseelsorger im Erdinger Moos.

Etwa 20 Menschen leben dauerhaft am Flughafen, halb versteckt in abseits gelegenen Winkeln. Die meisten sind Deutsche zwischen 55 und 60 Jahren, der Frauenanteil ist hoch: "Am Flughafen ist es sicherer als am Hauptbahnhof, es gibt kostenlose saubere sanitäre Anlagen und das Flaschensammeln geht schneller als anderswo", zählt Jaehnert auf. Gerade die älteren Frauen hätten sich ein eigenes System geschaffen, mit heimlichen Unterstützern unter Ladenbesitzern und Wachleuten. "Bei einer Runde mit dem Wachdienst haben mir die Männer eine Frau gezeigt und gesagt: Die lassen wir in Ruhe, die hat Bestandsschutz."

Es sind sicher auch solche Verflechtungen zwischen Vorschrift und Empathie, die die FMG dazu bewogen haben, das Obdachlosenthema nicht länger zu verdrängen. Das Mittel der Wahl sei bislang Polizei und Wachdienst gewesen. "Maximal hat mal einer eine Fahrkarte zur Bahnhofsmission in die Innenstadt bekommen", berichtet der evangelische Flughafenseelsorger Stefan Fratzscher. Doch der Flughafenkonzern habe auch feststellen müssen, dass die Obdachlosen einfach immer wieder zurückkommen.

Flughafengesellschaft kommt Streetworkern entgegen

Nach sechs Monaten MOSE merke der Flughafen, dass der Streetwork-Einsatz sich lohne, weil manche Situationen gar nicht erst eskalierten. Offiziell wolle die FMG keine Verbesserung der Situation für Obdachlose, um nicht noch mehr von ihnen anzuziehen. Dennoch gebe es viele kleine Schritte des Entgegenkommens.

"Seit zwei Wochen haben wir einen eigenen Beratungsraum", freut sich Diakon Jaehnert. Und Jessica Gürtler berichtet von den Schlüsseln zur Dusche, die der Flughafen den Streetworkern überlassen hat. "Wenn wir den Eindruck haben, dass jemand duschen sollte, bevor er zum Beispiel in ein Behördengespräch geht, dann können wir ihm das jetzt anbieten", sagt die junge Frau.

Anlaufstelle für Obdachlose

Für die Obdachlosen am Flughafen ist MOSE ein Segen. "Wir sind für diese Menschen eine Anlaufstelle – auch wenn wir uns einfach nur mal ihren Frust anhören", sagt Gürtler. Im Idealfall könne man einen Obdachlosen in eine feste Unterkunft vermitteln. Viel häufiger geht es aber in den Gesprächen um Schuldenregulierung, um Unterstützung bei Behördensachen, um Vermittlung an Beratungsstellen.

Und um Vertrauen. Wie eng die Bindung zu den Streetworkern ist, zeigt sich, wenn die Polizei einen "ihrer" Obdachlosen aufgreift – und der dann um einen Anruf bei Jaehnert und Gürtler bittet. Was die Streetworker dann machen? "Wir fahren hin und kümmern uns", sagt Gürtler.