Pfingstferien im Nachbarschaftshaus im Nürnberger Stadtteil Gostenhof: Zehn Mädchen und Jungen lassen bei Prozent- und Zinsberechnungen die Köpfe rauchen. Statt nebenbei auf ihren Smartphones, drücken sie auf dem Taschenrechner herum, um die Aufgaben zu lösen, die ihnen Lehrer Thomas Schleicher stellt und auch an der Tafel erläutert. Geschwätzt und getuschelt wird nicht, alle sind konzentriert bei der Sache. Jeder weiß – hier geht's ganz allein um mich.

Mit dabei auch Vanessa. Erst seit wenigen Monaten lebt die in Regensburg aufgewachsene 15-Jährige zusammen mit ihrer Mutter und der vier Jahre alten Schwester in Nürnberg. Die Eltern haben sich getrennt, die Mutter kümmert sich mit zwei Jobs um das Geldverdienen für den Drei-Damen-Haushalt. Dabei bleiben in der Regel die Kinder etwas auf der Strecke. Und die achte Klasse hatte Vanessa bereits in der alten Heimat nur gerade so gepackt. Gut, dass Vanessas Mutter auf die Angebote der Stadtmission aufmerksam wurde. Bereits seit 45 Jahren gibt es Förderkurse für Schüler, die sich in ihrer Freizeit auf den "Quali" vorbereiten können.

Stadtmission Nürnberg hat rund 3.600 Schüler gefördert

"Ich mach das für mich", sagt Vanessa selbstbewusst. Die 15-Jährige weiß genau, dass es letztlich auf ihr Engagement ankommt, wenn sie nicht sozial abrutschen will. Das geht auch den anderen Jugendlichen in den Kursen so, die teils wegen Sprachbarrieren oder Lese- und Rechtsschreibschwächen am bayerischen Bildungssystem scheitern könnten.

Rund 3.600 Kinder konnten seit 2006 vom Chancen-Programm der Stadtmission schon fit für die Zukunft gemacht werden. Wie ein Blick in die Statistik zeigt, haben 80 Prozent einen Migrationshintergrund, fast zwei Drittel sind auf Arbeitslosengeld-II-Leistungen angewiesen.

Und es gibt junge Menschen wie Vanessa, bei denen die familiären Umstände mit verantwortlich sein können, dass die nötige Kraft fehlt, in der Schule voran zu kommen. So wächst ein Drittel der "Chance"-Kinder mit einem alleinerziehenden Vater oder Mutter auf.

Wie es für Vanessa nach der Schule weitergeht

Thomas Schleicher kennt solche Situationen seit über zehn Jahren. Der 55 Jahre alte Pädagoge paukt in seiner Freizeit regelmäßig mit Jugendlichen, die es wissen wollen. "Wir können nur ansetzen, wenn sich ein junger Mensch noch nicht aufgegeben hat", meint Schleicher. Die drei Stunden werden genutzt, um die Inhalte der Prüfung zu wiederholen und zu vertiefen. "Der Quali ist keinesfalls eine leichte Sache, der Stoff beginnt bei der fünften Klasse. Wenn es ernst wird, hat man da vieles wieder vergessen", erklärt er.

Bei Vanessa muss Schleicher sich jedenfalls keine Sorgen machen: Als eine der ersten in ihrer Klasse hat sie bereits ihren Ausbildungsvertrag in der Tasche. Vanessa wird Fachkraft für Lagerlogistik. "Das wollte ich unbedingt. Ich bin eher praktisch veranlagt. Eine Arbeit im Einzelhandel oder so, ständig unter Menschen, das wäre nichts für mich", erklärt sie.

Und ihr Ehrgeiz will es, dass sie am 1. September dann auch mit einer entsprechend guten Note in den Beruf einsteigt. "Nicht zuletzt ist es für einen potenziellen Arbeitgeber auch ein gutes Zeichen, wenn sein Lehrling an den Freitagnachmittagen und in den Ferien extra Kurse belegt hat", versichert Schleicher. Daher wird es in den Pfingstferien noch einmal ernst, danach stehen nämlich die Prüfungen an.

Vanessa ist Vorbild für Bekannte und Freunde

Vanessa aber geht guten Mutes in die Zukunft. Verantwortung zeigt sie nicht nur für sich, sondern auch für die kleine Schwester, die sie regelmäßig aus der Kita holt, wenn Mama noch auf Arbeit ist. Und auch in ihrer Schule in Nürnberg-Langwasser macht sie mit ihrem Beispiel Klassenkameraden Mut, die Chance auf Bildung zu ergreifen.

"Wir freuen uns jedes Jahr über die Erfolgsgeschichten unserer Jugendlichen, gleichzeitig frustriert es aber auch, dass unsere Angebote immer noch so dringend gebraucht werden und wir eigentlich immer noch viel mehr tun könnten", erläutert Alexandra Frittrang, Fachbereichsleiterin der Stadtmission. Das Problem der Kinderarmut gebe es auch in Nürnberg, das zu den drei deutschen Großstädten mit der höchsten Armutsgefährdungsquote zählt. Besonders betroffen: Alleinerziehende und Familien mit mehr als drei Kindern.