Das erste Mal an eine Samenspende dachte Marie Herbst (Name geändert) aus Nordbaden mit 24. "Ich hatte damals zwar einen Freund, aber da war schon der Gedanke, im Zweifelsfall auch alleine ein Baby zu bekommen", erzählt die 31-jährige Informatikerin am Telefon. Die Jahre gingen ins Land, der Freund wurde zu einem Ex und schließlich stand der 30. Geburtstag vor der Tür - gemeinsam mit dem Kinderwunsch.

"Der Gedanke, dass die Fruchtbarkeit ab dem dritten Lebensjahrzehnt sinkt, war sehr präsent in mir", sagt sie.

Sie begann sich auf Dating-Seiten nach einem Partner umzusehen, aber es war kein passender zu finden. Dann erschien in ihrem Kopf, zunächst ganz vage, die Idee der Samenspende wieder. Irgendwann googelte sie das Thema und lernte in einem Forum Frauen kennen, die als sogenannte "Solo-Mamas" oder "Single Moms by choice" lebten. "Da war mir klar, das geht, ich will ein Kind", sagt Marie Herbst.

Noch im selben Jahr kontaktierte sie eine Samenbank und entschied sich für einen offenen Spender aus Dänemark. Einen dänischen Spender wählte sie, weil sie aus dem Land Informationen über seine Biografie und Interessen bekommen habe. Der Begriff "offen" bedeutet, dass das Kind seinen Erzeuger später kontaktieren kann. Zwei Zyklen und neun Monate später kam ihr Sohn auf die Welt. Marie Herbst sagt, sie habe vor allem am Anfang eine Mordsangst gehabt, ob sie es alleine schaffe und sei "total platt" gewesen. "Aber mein Kind macht mich sehr glücklich", betont sie.

Ihr Familienmodell ist im Jahr 2019 offenbar gar nicht mehr so ungewöhnlich.

Offizielle Zahlen zu Singlefrauen, die sich künstlich befruchten lassen, gibt es nicht. Aber beispielsweise das Berliner "Kinderwunschzentrum an der Gedächtniskirche" beobachtet, dass immer mehr Frauen ihren Kinderwunsch auch ohne Mann realisieren wollen.

Auch die Geschäftsführerin der Münchner Samenbank "Cryobank", Constanze Bleichrodt, bestätigt diese Entwicklung: "Ich kann nicht genau sagen, woran es liegt, aber irgendetwas ist passiert." Vor ein paar Jahren hätten sich Singlefrauen eher gelegentlich an sie gewendet. 2018 habe ihre Praxis schon 51 Singlefrauen behandelt. "Und alleine in den ersten zweieinhalb Monaten von 2019 kamen schon 54 Frauen zur Beratung", berichtet Bleichrodt. Damit machten die Singlefrauen im ersten Quartal dieses Jahres 36 Prozent ihrer Klientinnen aus.

Eine mögliche Ursache dafür, dass immer mehr Frauen ihr Glück in die eigene Hand nehmen, könnte laut Bleichrodt das 2018 in Kraft getretene Samenspenderregistergesetz sein. Es räumt Kindern von Samenspendern das Recht ein, bei einem zentralen Register Auskünfte über ihren biologischen Vater zu bekommen. "Sicher spielt aber auch der Erfahrungsaustausch im Internet und das Interesse der Presse eine Rolle", ergänzt sie.

Zum jetzigen Zeitpunkt dürfen nur Ärzte in Bayern und Berlin Single-Frauen künstlich befruchten.

Die Kosten dafür variieren je nach Samenbank und Kinderwunschklinik. Im günstigsten Fall, wenn es beim ersten Versuch klappt, kostet die Behandlung gute 2.000 Euro - kann aber weitaus teurer werden.

Die Soziologin Christina Mundlos schreibt in ihrem Buch "Dann mache ich es halt allein" (mvgVerlag, 2017), dass Frauen und Männer sich heute später erwachsen fühlten als noch vor etwa 50 Jahren. Beide wollten vor der Familiengründung erst mal beruflich auf einen grünen Zweig kommen und ihre Freiheiten genießen. Frauen hörten aber ab 30 eine "biologische Uhr" ticken, während zahlreiche Männer einer "solchen Verantwortung" sehr zögerlich gegenüberstünden. Vor allem gut verdienende Akademikerinnen griffen dann auf die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin zurück.

"Fast alle Solo-Mamas haben sich ursprünglich eine klassische Familie gewünscht", schreibt Soziologin Mundlos.

In Anbetracht einer für den Rest des Lebens schmerzenden Kinderlosigkeit werde dann aber eine künstliche Befruchtung ein tragfähiger "Plan B". Mundlos berichtet, dass die Wahl für eine Single-Mutterschaft fast nie leichtfertig getroffen werde. "Oft geht eine langwierige Phase der Entscheidungsfindung voraus." Finanzielle Risiken werden abgewogen, die Einschränkungen im Alltag als Alleinerziehende, die eigenen psychischen Ressourcen und mögliche kritische Reaktionen aus dem Umfeld.

Marie Herbst sagt, sie habe eine Skepsis gegenüber ihrer Familiengründung vor allem von älteren Menschen erlebt. "Mein Vater fand es zunächst ganz furchtbar. Er meinte, das wird doch kein richtiges Kind", erzählt sie. Heute habe ihr Sohn eine sehr enge Bindung zu seinem Großvater. "Darüber bin ich sehr froh, denn so hat mein Kind auch ein männliches Vorbild."

Für einen Partner sieht sie in den nächsten Jahren keinen Platz in ihrem Leben. "Es hat viele Vorteile, Solo-Mama zu sein, zum Beispiel muss ich nicht über die richtige Erziehung streiten", erklärt sie. Ab Sommer wird sie wieder zu 80 Prozent ihre alte Stelle aufnehmen. Ein zweites Kind wäre schön - bleibt aber wohl ein Traum. "Das kann ich nicht finanzieren", sagt sie.