"Wie gutmensch bin ich?" oder: Was sollen wir tun?

"Sie sind shoppen und auf der Suche nach neuen T-Shirts. Da finden Sie ein fair gehandeltes – für 50 Euro. Was tun Sie?" Mit dieser und vielen weiteren Fragen hat die Wochenzeitung "Die ZEIT" im letzten Jahr einen Selbsttest veröffentlicht zum Thema "Wie gutmensch bin ich?"[1]. So als wäre gutmensch ein Wort wie "hübsch" oder "musikalisch". Also: Wie gutmensch bin ich? Es gab jeweils drei einigermaßen alberne, aber doch halb ernst gemeinte Antwortmöglichkeiten. Mit je einer outete man sich als absolut asozialer Widerling, mit einer zweiten als Fähnlein im Wind, bedacht auf den eigenen Vorteil; und mit der dritten gehörte man zu den komplett unsympatischen Obermoralisten. Mit meiner Punktzahl landete ich am Ende auf der Bewertungsskala zwischen Obermoralistin und egoistischem Fähnlein. Okay, das war mir lieber als Widerling, aber ich war doch irgendwie enttäuscht. So lustig das alles sein sollte, versteckte sich dahinter doch die Botschaft: Jede Option, wie du leben und handeln willst, ist letztlich wenig attraktiv. Das wäre nun eine ziemlich frustrierende Perspektive für alle Menschen, die sich diese Frage stellen: "Wie gutmensch bin ich?" – und davon gibt es gerade im Moment sehr viele.  

Denn die Diskussionen darüber sind gegenwärtig neu entbrannt: Wer ist gut und wer will Böses? Aus welchem Geist heraus handeln wir? Wie sollten wir leben? Viele Menschen haben den Eindruck, dass unsere Gesellschaft in eine neue Phase des Zusammenlebens oder eher vielmehr des Gegeneinanderlebens eingetreten ist. Obwohl es diesem Land im Großen und Ganzen so gut geht wie kaum jemals in der Geschichte zuvor, heizt sich die Stimmung auf. Die Positionen werden radikaler und auch das Handeln wird bei manchen radikal und aggressiv. Ein friedliches Miteinander ist plötzlich nicht mehr als selbstverständliche Grundlage, sondern steht zur Diskussion.

Wie gutmensch bin ich in all dem? Oder vielmehr noch: möchte ich sein?

Es geht ja nicht nur um radikale Demos. Nein, ich muss mir in vielen gesellschaftlichen Fragen überlegen, wie ich eigentlich handeln will: Öko- oder Billig-T-Shirt? Die weiblichen Formen mitnennen oder ein Gendersternchen oder all das nicht? Ehrenamtliches Engagement – und wenn ja wofür – oder lieber Cappuccino trinken und shoppen? Selbstverständlich treffen solche scharfen Gegenüberstellungen das wahre Leben nicht richtig. Es gibt ja durchaus Menschen, die mit einem Freund Cappuccino trinken gehen und am Wochenende den Gartenzaun im Kindergarten streichen. Aber in der Tendenz möchte ich ja schon so leben, dass ich in den Spiegel schauen – und als Christin auch im Zwiegespräch mit meinem lieben Gott Antwort geben kann.

Auch viele Lieder singen davon, wofür es sich zu leben und wogegen es sich zu wehren lohnt.

Manchmal geht es in den Liedern auch einfach um die eigene Entscheidung, sich aufzumachen und nach diesem guten Leben zu suchen, nach einem Leben, das dann ewig hält. 

Die sich aufheizende Situation in unserer Gesellschaft und in der Welt erscheint als etwas Neues. Die grundsätzlichen Fragen, die dahinter stehen, sind altbekannt. Für Immanuel Kant war das eine der zentralen Überlegungen zum Menschsein: Was soll ich tun? Auch der Apostel Paulus hat einiges zu diesen Diskussionen beizutragen. Die Gemeinden, an die er schrieb, hatten auch immer wieder mal mit aufgeheizten Stimmungen zu tun. Mit Gegeneinander statt Miteinander.

Den Gemeinden in Galatien schrieb Paulus einen Brief, in dem er erklärte, wie die Menschen dort miteinander leben sollen. Es waren dort nämlich auf einmal Missionare unterwegs. Die forderten die christlichen Gemeindeglieder auf: Beachtet die jüdischen Gesetze, lasst euch beschneiden, haltet die Tora ein. Paulus hält dagegen und erinnert deutlich an die Freiheit, die Christus gebracht hat. Bei allem Streit schreibt Paulus zu Ende des Briefes aber folgendes:

Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.
Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. Brüder und Schwestern, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid. Und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.
Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. 
Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. … Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.
Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen. (Galater 5,25-6,3.7-10)

Ein früher Appell an das Gutmenschentum: "Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden. Lasst uns Gutes tun an jedermann und jederfrau." Ganz klar, ganz einfach, mehrfach wiederholt. Das Wandeln in Gottes Geist verlangt einen Geisteswandel: Lasst uns Gutes tun.

"Gutmenschen" mag man nicht.

So einfach und eigentlich alternativlos diese Botschaft klingt, so sehr verlangt sie heute nach Begründungen. Es gibt da ein Problem: Gutmenschen mag man nicht. In der Literatur oder – noch viel schlimmer – im Internet ernten sie ausgiebig Hass und Häme. Sie werden verlacht, gemobbt und zu neuen Sündenböcken für den "Untergang des Abendlands" gemacht.

Nur warum ist das so, dass Gutes zu tun nicht mehr automatisch als gut gilt? Waren es doch immer die Edlen und Guten, die unser aller Ansehen genossen: Mutter Theresa, Ghandi, Martin Luther King. Manchmal auch die ganz normalen Menschen: Großmütter, Lehrer, Freundinnen, die uns in unserem eigenen Leben zu moralischen Vorbildern wurden. Wie konnte der Gutmensch so in Verruf geraten?

Wo der Begriff Gutmensch als Schimpfwort eigentlich herkommt, ob er auf Nietzsche oder die Nationalsozialisten oder erst auf die jüngere Zeit zurückgeht, darauf gibt es bis heute viele, aber keine letzte Antwort.

Spätestens mit dem "Wörterbuch des Gutmenschen"[2] Mitte der neunziger Jahre hat sich Klaus Bittermann ausführlich damit beschäftigt. Ursprünglich sollten mit dem Begriff nicht pauschal alle kritisiert werden, die Gutes tun, sondern jene, die davon reden, die es nur beabsichtigen, zu tun. Die Selbstdarsteller, die sich in letztlich nie so recht eingelösten Willensbekundungen ergehen, in aufgeschäumten Worthülsen und Floskeln. "Plapperjargon und Gesinnungssprache" nennt Bittermann das. Das eigene Gewissen wird beruhigt, das eigene Ansehen aufpoliert. Noch gesteigert wird diese Sorte der unsympathischen Gutmenschen durch solche, die mit erhobenem Zeigefinger moralinsauer das Gute zu tun verlangen; Selbst hinterziehen sie fröhlich Steuern, um sich zu bereichern.

All diese "Gutmenschen" können eigentlich nur in Anführungszeichen so genannt werden. Nachvollziehbar, dass man die nicht mag. Paulus übrigens auch nicht. Er hat die Gefahren, die sich mit seinem Wunsch nach den guten Taten verbinden, durchaus im Blick: Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, schreibt er darum, und verlangt, dass man vor der eigenen Haustür zu kehren beginnen soll.

Wie gute Gutmenschen provozieren

Also gut: Heuchler und Gesinnungsplapperer mag man nicht. Das ist wenig überraschend. Nun meinen aber die heutigen Kritiker der Gutmenschen nicht nur diese eitlen Heuchler. Sie meinen tatsächlich diejenigen, die einfach so Gutes tun. Die sich im Umweltschutz, gegen Rassismus, für Schwule und Lesben engagieren. Sie meinen die Bioladeneinkäufer oder die Kirchentagsbesucher – und -besucherinnen. Das Gespür für gerechte Sprache gilt ja auch als so ein Gutmenschen-Ding.

Wer ganz ernsthaft und echt Gutes tut, riskiert, andere aufzuregen. Der dänische Film "Adams Äpfel" erzählt diese Geschichte: Der Pfarrer Ivan versucht grenzenlos optimistisch und mit großer Güte, Straftäter zu resozialisieren. Auch den Neonazi-Anführer Adam, der diesen Gutmenschen um sich aber nicht erträgt. Nach und nach zerstört er darum Ivans Glauben an das Gute, hält ihm all die Momente des Scheiterns und des Bösen in dessen Leben als Strafen und Hass Gottes vor. Der Pfarrer zieht sich zurück, mit Todeswünschen. Adam fühlt sich als Sieger. Viele religiöse Anspielungen finden sich in dem Film. Besonders Pfarrer Ivan erscheint wie ein moderner Jesus. Sein Leben und Sterben nimmt das Drehbuch zur Vorlage: Den Gutmenschen Jesus hält die Welt am Ende nicht aus und hängt ihn ans Kreuz.

Was provoziert an Ivan, an Jesus und vielen anderen dieser ganz Guten so sehr? Vielleicht, dass sie zu einem Spiegel werden, in dem ich plötzlich auf mich schauen muss, auf mein Leben, mein Handeln, immer gebrochen an diesen Vorbildern. Das gute Handeln der anderen provoziert mich, über mein eigenes nachzudenken. Für den einen kann das als Impuls wirken: Du musst dein Leben ändern. Geh hin und tue desgleichen! Bei der anderen ruft es wütende Ablehnung hervor: Das ist mir alles zu anstrengend und zu blöd. Schluss mit dem Spiegelbild. Kreuzige ihn…

Nun gibt es aber noch ein Problem: Wer ist eigentlich das Gegenüber der Gutmenschen. Kaum jemand beschreibt sich ja umgekehrt ernsthaft als "Schlechtmensch". Selbst jene nicht, denen das öffentliche Pöbeln eine richtige Lust geworden scheint und die ihre Wut zum notwendigen Ausdruck ihrer persönlichen Sorge erklären. Oder auf ganz andere Weise auch jene nicht, die den Gutmenschen besserwisserisch erklären, alles sei "viel zu komplex" für solche naiven Lösungen.

Sie alle verstehen ihr Auftreten als gutes Handeln. Als Dienst an der Gesellschaft. Als Aufrütteln aller Naiven. Sie sehen sich im Recht. Weil sie glauben, dass nur sie auf völlig verkannte Missstände aufmerksam machen. Hinter all dem steht die Botschaft: Ihr werdet schon sehen, was Ihr von Eurer Gutmenschelei habt.

Die Anleitung zum Gutmensch-Sein

Das persönliche Gefühl der Sorge will ich nun gar niemandem absprechen. Doch zugleich brauche ich Hinweise, woran sich denn dann "gutes Handeln" erkennen lässt.

Allein der Wille und die Vorstellung, Gutes zu tun, reichen nun einmal nicht aus. Wieviel Schlechtes wurde in der Geschichte im Namen des Guten begangen, ob wissentlich oder aus Ahnungslosigkeit heraus? Die Kirchen können da ihr eigenes Lied von singen.

Was ist denn nun das Gute? Paulus gibt einen Hinweis. Sehr deutlich und umwerfend knapp: Einer trage des anderen Last. Ein Spitzensatz: Einer trage des anderen Last. Viel zitiert. Nicht nur, weil er so gut zu merken ist, sondern auch, weil er mit so wenigen Worten das christliche Ethos zusammenfasst.  So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen, schreibt Paulus ausdrücklich dazu. Einer trage des anderen Last, darin konkretisiert sich der erstmal ganz luftig gestrickte Appell "Lasst uns Gutes tun".

Kümmert Euch umeinander. Sorge dich, aber nicht primär um dich selbst, um dein Ansehen, dein Auskommen, deinen Vorgarten. Sorge dich zuerst um den anderen. Nimm ihm ab, was ihn belastet. Trag mit, manchmal wohl auch: Leide mit. In der christlichen Tradition ist das später oft als "vorrangige Option für die Benachteiligten" beschrieben worden. Vorrangig – das ist wichtig zu hören. Denn daneben ist auch weiterhin Raum für anderes, auch für mich.

Wenn Paulus sagt, dass einer des anderen Last tragen soll, dann zielt das auf Wechselseitigkeit. Mal mehr, mal weniger. Je nach Kraft, je nach Not, je nach Zeit. Ich darf darauf vertrauen, dass auch meine Lasten so von anderen getragen werden. Das ist nun zum Glück keine allein christliche Spezialität. Solidarprinzip heißt das in unserer Demokratie. Wenn es Dir schlecht geht, sorgen sich andere um Dich, denen es besser geht. Und umgekehrt. Das funktioniert bei Krankheit und Arbeitslosigkeit, bei Wiedervereinigungen. Übrigens: Auch Fußball-Fans kennen das, dass man auf diese Weise füreinander sorgt, dass man andere nicht allein lässt, wenn sie leiden.

Die Fans im Stadion bringen mich nun noch drauf, eines nicht außen vorzulassen, was vielleicht missverständlich sein könnte: Paulus weist ja am Ende noch im Nachsatz darauf hin, dass man Gutes an jedermann, allermeist aber "an des Glaubens Genossen" tun sollte. Geht es ihm also doch nur um die Hilfe für seinesgleichen? Dann hätte er sicher nicht zuvor gesagt, man solle an jedermann Gutes tun. Darum höre ich den Nachsatz eher als noch eine von Paulus‘ Vorsichtsmaßnahmen: Werde kein Redenschwinger, der vor lauter übergroßen Ideen gar nicht zu handeln beginnt. Fang gleich bei denen um Dich herum an. Für die Galater war das die eigene Gemeinde mit den Glaubensgenossen. Für mich ist das mein Stadtviertel, mein Verein oder eben auch meine Gemeinde. Hab die anderen im Blick.

Wer den Geist hat, hat die Wahl – gesät wird immer wieder neu.

So stehe ich nur noch vor der kleinen Herausforderung, die sich anfangs schon andeutete: Wie vermeidet man, trotz all der guten und ernstgemeinten Ideen doch am Ende als unsympathische Obermoralistin dazustehen?

Die Kirchen haben damit ihre Mühe und Erfahrung. Denn ganz verwandt mit dem Gutmenschen-Hass ist die Moralagentur-Kritik, der sich die christlichen Kirchen ausgesetzt sehen. Kirchen sollen sich, so die damit verbundene Forderung, nicht über erhobene Zeigefinger und Moralkeulen definieren. 

Wie sagen wir als Christinnen und Christen also das, was wir für notwendig und als wichtige Orientierung für das Handeln in unserer Welt halten, ohne dass es uns gleich als moralinsaures Geschwätz um die Ohren gehauen wird?

Paulus antwortet darauf mit wohltuendem Realismus: Er hält der Gemeinde eben nicht den goldlockigen Jesus als ein Ideal vor, das eigentlich unerreichbar bleibt. Nein, im gleichen Atemzug, mit dem er das Gute und das wechselseitige Lastentragen einfordert, bezieht er die Möglichkeiten des Scheiterns ein: Geht sanftmütig mit denen um, die vom Weg abgekommen sind, helft ihnen, wieder auf die Spur zu kommen. Seid selbst bescheiden und vorsichtig, statt nur auf die Fehltritte der anderen zu schauen. Paulus ist davon überzeugt, dass es in jedem Leben auch dunkle Stellen gibt, die eben "nicht gut" sind, Abgründe, die vom Versagen erzählen und von Schuld. Die Frage ist, wie ich damit umgehe. Der Apostel selbst geht da mit gutem Beispiel voran: In vielen Briefen legt er erstaunlich selbstkritisch seine eigenen Schwächen und Fehler offen und macht deutlich: Jede und jeder trägt seine Last, jede und jeder braucht Hilfe und Vergebung.

Aber: Diese Erfahrungen mit Schuld und Versagen sollen niemanden davon abhalten, Gutes tun zu können. Das gehört zu der Freiheit, die Paulus den Galatern vorher so ausführlich beschrieben hat. Gottes Geist schenkt den weiten Raum, und ich kann diesem Geist als Grund für mein Handeln vertrauen. Wie bei einer Ernte wird es dann nach Paulus Vorstellung sein. Ich darf mich entscheiden, auf welchem Grund ich säen, von welchem Grund ich ernten möchte. Wenn das Bild von Saat und Ernte stimmt, dann kann ich auch bei der neuen Aussaat neu entscheiden, worauf ich säen will und was ich dann ernte.  

Der Film Adams Äpfel erzählt auf seine Weise von diesem Säen und Ernten. Adam ist nur anfänglich zufrieden mit seinem Sieg über den Gutmenschen Ivan. Alle dunklen Stellen in dessen Leben hat er hervorgekramt, ihn beschämt und in seinem Gottvertrauen erschüttert. So beginnt Ivan auf das Fleisch zu säen, dem Dunkel nachzugeben, seine ihm anvertrauten Straffälligen zu vernachlässigen. Im Bild von Paulus: Er erntet das Verderben: Seine Schutzbefohlenen leiden unter dem Geisteswandel des Pfarrers, werden wieder kriminell. Adam erkennt, wieviel Gutes der Pfarrer – trotz all seiner dunklen Lebensstellen im Gepäck – bewirkt hat.  So gibt es einen zweiten Geisteswandel: Adam sät auf den Geist, den er an diesem Ort erlebt hat. Er lässt sich anrühren von den Lasten der anderen, hilft dem Pfarrer sanftmütig auf und wird zu dessen rechter Hand.

Adam nimmt sich die Freiheit, ein Gutmensch zu sein. Für perfekt hält er sich damit sicher nicht. Gute Menschen müssen auch nicht perfekt sein müssen, um ihre wichtige Rolle im Zusammenleben spielen zu können.

Vielleicht sind andere zu ähnlichen Einsichten gekommen. Denn in jüngerer Zeit wird der der Gutmensch-Begriff wieder resozialisiert. Besonders geehrt wurde der Begriff 2015 mit der Wahl zum "Unwort des Jahres". In der Begründung hieß es: "Mit dem Vorwurf "Gutmensch", "Gutbürger" oder "Gutmenschentum" werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm oder weltfremdes Helfersyndrom diffamiert. … Die Verwendung dieses Ausdrucks verhindert somit einen demokratischen Austausch von Sachargumenten." Mehr und mehr wird deutlich: An vielen Ecken und Enden lebt unsere Gesellschaft von denen, die Gutes tun. Das ist wie ein Kitt, der sie zusammenhält und stützt. 

Jenseits dieser öffentlichen Bestätigung und der ganz rationalen Einsicht erlebe ich, dass der Begriff mittlerweile geradezu als fröhliche Selbstbeschreibung verwendet wird. Sollen die anderen doch lästern, wegschauen oder sich aufregen: Solange machen wir schon einmal weiter.

In meiner Gemeinde fiel mir bei einem Diskussionsabend kürzlich das T-Shirt eines Gastes auf. Darauf stand: "Gutmensch. Nobody likes us. We don’t care. Niemand mag uns. Uns kümmert’s nicht." Paulus hätte seine helle Freude daran.