Zu den tiefsinnigsten chassidischen Denkern gehört Nachman von Brazlaw (1772-1810), der Urenkel des Ba’al Schem Tov. Eines seiner großen Themen war, den Wechsel zwischen Gottferne und -nähe im eigenen Leben je und je zu ertragen.

In der Bibel (1 Könige 19,12) wird erzählt, dass Gott seine Stimme zu einem "zerstoßenen Schweigen" dämpfte, um sich dem Propheten Elija mitzuteilen. Der Mensch, wenn er sich an Gott wenden möchte, entspricht der Unzugänglichkeit Gottes mit seinem schweigenden Schrei. Rabbi Nachman schreibt:

Wisse, dass man mit einer "Stimme zerstoßenen Schweigens" schreien kann: mit einem ganz gewaltigen Schrei, den aber niemand überhaupt hört. […]

Der Schrei entsteht nur in der Stimme zerstoßenen Schweigens und jeder Mensch kann das. Man muss nämlich den Schrei in seinem Gedanken bilden und den Klang des Schreis in den Gedanken hineinlassen, und so bildet man in seinem Intellekt den Klang eines wahrhaften Schreis aus, mit einer Melodie der Art des Schreiens. […]

Und so kann man zwischen etlichen Menschen stehen und laut schreien, und keiner hört etwas.

Ein sehr einflussreiches kabbalistisches Konzept besagt, dass Gott vor der Weltschöpfung ein Vakuum, einen Gott-leeren Raum, erzeugt hat, der den Menschen dazu nötigt, die Spuren der Heiligkeit in der Welt unter der Oberfläche der Dinge zu suchen. 

Aus dem Schweigen, aus dem "Aufschrei in einem Flüstern", bildet sich eine Melodie. Man kann sie insbesondere in der Einsamkeit der Natur vernehmen, wo die Melodie der Gräser die eigene Sehnsucht nach dem Schöpfer zu einer Sinfonie verstärkt und unterstützt. Die Musik verhilft dem Menschen dazu, sich zu reinigen und somit dem Ewigen zu nahen. Nur wer sich seiner Weisheit entledigt, sich dieses Schweigen erkämpft und die "Melodie kennt",

der kann der Gott-Ferne entrinnen.

 

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