50 Tage nach dem Tod Jesu am Kreuz sitzen seine Jünger in Jerusalem zusammen, als plötzlich ein Brausen vom Himmel kommt und ein gewaltiger Wind das Haus erfüllt: "Sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist", heißt es in der Bibel. An dieses Ereignis erinnert das Pfingstfest, das Christen am 31. Mai und 1. Juni feiern.

Aber was hat es auf sich mit dem "Heiligen Geist"?

Wenn Philosophen vom Geist sprechen, hat das meist viel mit Intellekt und brillantem Denken zu tun. "Geist ist die lebendige Einheit des Mannigfaltigen", schrieb Georg Wilhelm Friedrich Hegel im frühen 19. Jahrhundert. Ganz anders die Bibel: Dort geht es oft wild und laut und sogar schockierend zu, wenn vom Gottesgeist geredet wird

In einer Ebene voller ausgetrockneter Gebeine erlebt im Alten Testament der Prophet Ezechiel schaudernd, wie sich die morschen Knochen mit Fleisch und Haut bedecken und allesamt erheben, "ein gewaltiges Heer", weil Gott seinen Geist in sie hat fahren lassen.

Und als sich am Pfingsttag der Heilige Geist in Gestalt von Feuerzungen auf die verzagten Apostel niederlässt, entsteht ein solches Getöse, dass die Leute zusammenlaufen.

Als stürmisch wehender Wind, als loderndes Feuer, fließendes Wasser, rasch dahinziehendes Wolkengebilde erscheint Gottes Geist in der Bibel: Das ist Bewegung, Energie, Schöpfungskraft, der Gegensatz von Trägheit und Tod. Schon am Anfang schwebt über der "wüsten und wirren" Erde und der finsteren "Urflut" Gottes belebender Geist. "Ruach" heißt das hebräische Wort: "Hauch", "Sturm", "Atem", "Geist".

Was symbolisiert die Taube?

Seit den Anfängen der christlichen Kirche symbolisiert die Taube den Heiligen Geist. Deshalb erlebten die Gottesdienstbesucher vor allem in Süddeutschland und in Österreich an Pfingsten ein besonderes Spektakel: Um das religiöse Geschehen zu verdeutlichen, wurde eine hölzerne Taube an Seilen durch eine Luke, dem "Heilig-Geist-Loch", vom Dachboden in die Kirche hinabgelassen. 

Fast 400 Mal kommt der Heilige Geist in der Bibel vor. Gottes Geist flattert über dem Chaos, brennt im Feuer, belebt durstige Kehlen im Wasser. Im Neuen Testament bekommt Gottes "ruach" einen anderen Namen, das griechische "Pneuma", aus dem später der lateinische "spiritus sanctus" (heiliger Geist) wird.

Der Heilige Geist in der Bibel

In der Bibel setzt Gottes Geist Menschen in Bewegung, er inspiriert und treibt an, er bringt Menschen in Beziehung und entfacht ihre Liebe und Solidarität untereinander. Der fromme Jude Jesus fühlt sich ganz von diesem Atem Gottes umgeben.

Das Lukasevangelium schildert, wie er als Wanderrabbi in seinen Heimatort Nazareth kommt und dort im Synagogengottesdienst aus dem Propheten Jesaja liest: "Der Geist des Herrn ruht auf mir. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe."

Kurz nach dem Tod Jesu erleben seine deprimierten Jünger am ersten Pfingstfest einen wilden Brausegott, der ihnen Feuer ins Herz schickt, sie halten prophetische Reden, geraten in seelische Ausnahmezustände. Später ging es den Kirchenlehrern dann mehr um die - vom Geist geleitete - Einsicht in die heiligen Schriften.

Augustinus (354-430) schilderte den Heiligen Geist als Band der Liebe zwischen Vater und Sohn. Thomas von Aquin schrieb im 13. Jahrhundert, die Berührung zwischen Gottesgeist und Menschengeist mache den Menschen zum Hausgenossen Gottes. Und der Reformator Martin Luther bezeichnete das Gewissen als den Ort, wo der Mensch am wuchtigsten vom Heiligen Geist getroffen werde.

Heiliger Geist als "Begegnung mit Gott"

Wenn der Heilige Geist im Menschen wirkt, "begegnen wir damit dem lebendigen Gott selbst, der uns näher kommt, als wir denken", heißt es im lutherischen Erwachsenenkatechismus. "Löscht den Geist nicht aus!", warnte Paulus in seinem ältesten erhaltenen Brief.

Der Heilige Geist wurde an Pfingsten auf alle Glaubenden ausgegossen und nicht nur auf eine Priesterkaste oder Kirchenhierarchie. Der Geist weht, wo er will, heißt es in der Bibel. Er steht in der Christenheit darum auch für Visionen und Überzeugungskraft, für Selbstkritik und Mut zum Risiko, für Aufbruch und Leben.

Karl Rahner, einer der großen Theologen des 20. Jahrhunderts, nennt den Heiligen Geist den "Beistand der Bedrängten" und spricht von einer unberechenbaren Verheißung, wenn er betet "Komm, Heiliger Geist": "Unser Herz fürchtet im Geheimen, dass du kommst, weil du selbstlos bist und fein, weil du anders bist als unser Herz."