Ein Raunen geht durch die Reihen der Kinder. Auf der Bühne hat Dennis gerade Alina berührt und gestreichelt - dabei ist Dennis 20 Jahre alt und Alina erst acht! Außerdem will Dennis doch Alinas Schwester Maja heiraten. Alina will nicht, dass Dennis sie anfasst, aber sie weiß nicht, was sie sagen soll. Hat sie etwas falsch gemacht?

In der Turnhalle der Grundschule Puchheim Süd im Kreis Fürstenfeldbruck führt das Berliner Theaterensemble Radiks das Stück "Trau dich" auf. Es ist das zentrale Element einer bundesweiten Präventionsinitiative gegen sexuellen Kindesmissbrauch, die mit dem aktuellen Schuljahr bayernweit etabliert worden ist. Der offizielle Start war am 24. Oktober, bis 2021 werden etwa 30 Aufführungen für Schülerinnen und Schüler der dritten bis sechsten Jahrgangsstufen in ganz Bayern stattfinden.

Mädchen und Jungen sollen so über ihre Rechte aufgeklärt, in ihrem Selbstbewusstein gestärkt und darüber informiert werden, wo sie Hilfe finden können.

Veranstalter ist die jeweilige Kommune. Im Vorfeld der Aufführung gibt es Treffen für Lehrer sowie einen Elternabend. Die Umsetzung erfolgt gemeinsam vor Ort durch Jugendämter und Schulen in Kooperation mit spezialisierten Fachberatungsstellen. 

"Sexueller Missbrauch ist verboten. Dagegen gibt es Gesetze", sagt einer der vier Schauspieler auf der Bühne der Turnhalle. Die Kinder der vierten Klassen der Grundschule Puchheim Süd und der Theresen-Grundschule Germering sowie ihre Lehrer lauschen gebannt. Außer Alina und Dennis tauchen zum Beispiel auch die Charaktere von Vladimir und seiner Oma auf der Bühne auf. Die Oma knutscht Vladimir immer so ab, dabei will er das eigentlich gar nicht. Aber wie soll er ihr das sagen?

"Ein Theaterstück kann spielerisch ernste Anliegen transportieren", sagte Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) beim offiziellen Start der Initiative am Donnerstag in Puchheim. Die Kinder würden dabei konkrete Situationen erleben und gemeinsam darüber nachdenken, wie sie sich verhalten könnten. Die bayernweite Etablierung der Initiative sei ein starkes politisches Zeichen.

Es brauche Sensibilität und Achtsamkeit in der Gesellschaft für Themen wie sexuelle Gewalt oder Mobbing.

Gemeinsam mit den Schauspielern entwerfen die Kinder in der Puchheimer Turnhalle einen Brief an Vladimirs Oma, in dem er ihr sagt, dass er das mit dem Abknutschen nicht mehr will. Auch um gute und schlechte Geheimnisse geht es in dem Theaterstück. Luca vertraut Philipp an, dass sein Schwimmtrainer sich nackt zu ihm in die Dusche gestellt und ihn am Penis berührt hat. Philipp soll das eigentlich nicht weitererzählen. Nach langem Überlegen tut er es doch - und am Ende ist Luca froh, als der Trainer entlassen ist und er wieder zum Schwimmen gehen kann.

"Die Unterscheidung von guten und schlechten Geheimnissen können Kinder genauso verstehen wie Erwachsene", sagte Familienministerin Kerstin Schreyer (CSU). "Wir brauchen starke Kinder, die ermutigt werden, ihre eigenen Grenzen zu ziehen. Wenn wir Kinder stärken, stärken wir die gesamte Gesellschaft." Die Initiative "Trau dich" sei ein wichtiger Baustein im Gesamtgefüge des Kinderschutzes in Bayern, erklärte Schreyer. Sie ermutige alle Lehrer, sich in Zweifelsfällen immer Rat bei professionellen Stellen wie dem Jugendamt zu suchen.

"Jedes Kind, das ein Zeichen gibt, muss gehört werden."

Die Initiative wurde vom Bundesfamilienministerium und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung entwickelt. Neben Bayern haben bislang auch Mecklenburg-Vorpommern und Hessen sie übernommen, auf Landesebene weiterentwickelt und verstetigt.