Wenn sich Ehepaare scheiden lassen, ist das meist mit Emotionen und Verletzungen verbunden. Warum eine Mediation bei einer Scheidung meist die bessere Lösung ist als ein Rosenkrieg, erzählt die Münchner Familienanwältin und Mediatorin Judith Velsinger im Interview.

Jede zweite Ehe wird geschieden. Warum?

Velsinger: Viele Paare lassen sich scheiden, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind. Oft ist das jüngste Kind dann fünf Jahre alt. In der Ehe ist die Luft raus – und meist hat sich einer der Partner schon neu orientiert. Andere Paare lassen sich scheiden, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Meist geht es darum, sich zu verändern, oft ist einer der Partner eine neue Beziehung eingegangen. Schwierig wird es, wenn dann schon die nächsten Kinder unterwegs sind.

Was passiert bei einem Scheidungsverfahren?

In der Regel gibt es eine Erstberatung, für die ein Pauschalhonorar vereinbart wird. Dort können sich die Betroffenen beraten lassen und erst mal alle Fragen stellen, die sie haben. Meist gebe ich dann einen Überblick, welches die Rechte und Pflichten bei einer Scheidung sind.

Kommen eher Paare oder Einzelpersonen?

Die meisten kommen, wenn sie schon mindestens ein Jahr getrennt gelebt haben und sich nun scheiden lassen wollen. Manche kommen auch erst, wenn der Partner einen Anwalt genommen hat. Ich kenne Frauen, die kommen und mir erklären, der Mann dürfe auf gar keinen Fall etwas davon erfahren, weil er drohe, Ärger zu machen.

Sollten sich Paare getrennt beraten lassen?

Sicher. Wir beraten keine Paare in unserer Kanzlei, das wäre Parteiverrat. Das ist natürlich anders, wenn ein Paar kommt und erklärt, es möchte eine friedliche Trennung hinbekommen und deshalb eine Mediation machen möchte.

Geht es bei einer Scheidung eher um die Kinder oder ums Geld?

Die größten Interessenskollisionen gibt es beim Thema Unterhalt. Denn hier kann an vielen Schrauben gedreht werden – und dabei kommt natürlich für die eine Person ein bisschen mehr oder eben weniger heraus. Die klassische anwaltliche Vertretung ist nun einmal parteiisch. Ein Anwalt vertritt die Interessen des Mandanten. Natürlich sollte das Ziel sein, die Scheidung so friedlich wie möglich zu vollziehen und so wenig Öl ins Feuer zu gießen wie möglich. Tatsächlich hat die Zahl der extrem streitigen Fälle zugenommen, weil es offenbar immer mehr Anwälte gibt, die nicht genug zu tun haben.

Mediation statt Anwalt


Wann ist eine Mediation sinnvoll?

Die Idee einer Mediation ist, dass das Paar gemeinsam eine Vereinbarung macht, bei der sich keiner von beiden über den Tisch gezogen fühlt. Ein juristischer Mediator ersetzt keine klassische streitige Beratung. Aber er kennt sich natürlich fachlich aus und kann dieses Wissen innerhalb der Mediation verwenden.

Die meisten Paare denken zum Beispiel nicht daran, dass mit der Scheidung automatisch die gesetzlichen Rentenanwartschaften geteilt werden. Ein erfahrener juristischer Mediator kann Paaren erklären, woran sie denken müssen oder wie etwas funktioniert. Er kann Informationen weitergeben. Er kann Wege aufzeichnen, ohne parteiisch zu agieren.

Eine Lösung ohne Streit ist also möglich?

Tatsächlich finden die Beteiligten bei einer erfolgreichen Mediation die Lösung selbst. Sie können ihre Wünsche formulieren, und gemeinsam kann dann an einer Lösung gestrickt werden, die zum Paar passt. Vor allem gibt es Keinen, der von außen Öl ins Feuer gießt und die Emotionen weiter anheizt. Wenn die Grundlagen geklärt werden können, dann gibt es am Ende eine Vereinbarung - ein sogenanntes Memorandum -, die natürlich noch in eine juristische Form gegossen werden muss.

Und dieses Memorandum reicht aus?

Dieses Memorandum muss beim Notar beurkundet werden oder beim Gericht. Es hat die gleiche Wirkung wie ein Beschluss vom Richter oder auch ein Vergleich zwischen zwei Anwälten.

Und wie läuft es, wenn man zum Anwalt geht?

Schwierig wird es immer, wenn Kinder im Spiel sind. Oft gehen die Leute zu einem Anwalt, und dann sagt dieser, na, dann schreiben wir doch einen Brief, und dann geht die Sache erst richtig los. Ich erlebe immer wieder, dass dieser erste Brief ganz freundlich und sachlich formuliert ist, aber die Menschen völlig aufgelöst vor mir sitzen. Oft treffen die Worte einen wunden Punkt und sorgen für tiefe Verletzungen. Und genau das ist der Vorteil einer Mediation: Da sitzen die Leute an einem Tisch, und die Mediatoren können direkt auf die Emotionen reagieren und feststellen, worum es denn eigentlich geht.

Eine Mediation bietet mehr Platz für Emotionen?

Eine Scheidung ist immer emotional. Alleine die Frage, auf welche Schule ein Kind gehen soll, wenn die Partner in zwei Städten leben, ist schwer zu klären. Wenn dieser Sachverhalt vor Gericht geklärt werden muss und ein Sachverständiger eingeschaltet wird, geraten Kinder dabei leicht unter die Räder. In einer Mediation können viele Dinge angesprochen werden, die nicht vor Gericht zur Sprache kommen oder kommen sollen.

Und was kostet eine Mediation im Vergleich zu einer Scheidung?

Leider gibt es für eine Mediation keine Verfahrenskostenhilfe. Bei einer Scheidung bekomme ich je nach Situation vom Staat finanzielle Unterstützung. Dennoch ist eine Mediation aus meiner Sicht in der Mehrzahl der Fälle günstiger, denn es geht in der Regel schneller, weil man sich die anwaltliche Auseinandersetzung und möglicherweise auch die Gerichtskosten spart. Bei einer Mediation sitzen alle an einem Tisch, bis eine Lösung gefunden wurde. Beim Anwalt werden stundenlang Briefe geschrieben, Unterlagen angesehen, und es wird überlegt, mit welcher Taktik vor Gericht vorgegangen werden soll. Zudem ist es günstiger, nur einen Mediator zu bezahlen, statt zweier Anwälte.

Ihre Empfehlung an alle Paare, die heiraten wollen?

Jeder sollte sich vor der Heirat erkundigen, was eine Ehe rechtlich bedeutet. Wenn man sich ein Auto kauft, schaut man vorher nach, welche Rechte und Pflichten damit verbunden sind. Und genauso sollte sich jeder darüber informieren, was die Ehe in Bezug auf Güterstand, Unterhalt und Sorgerecht bedeutet. Wer das nicht möchte, muss eben vorher einen Vertrag schließen.

Wenn klar ist, dass die Frauen zu Hause bleiben und Kinder versorgen, sollte ein Ehevertrag die Frage nach dem Unterhalt regeln. Wenn beide vor der Ehe hoch dotierte Jobs haben und die Frau wegen der Kinder aber weniger oder gar nicht arbeitet, dann sollte dieser ehebedingte Nachteil vertraglich fixiert werden, etwa in dem vereinbart wird, dass die Ehefrau länger Unterhalt erhält.

Leiden Frauen mehr an den Folgen einer Scheidung?

Viele Frauen unterschätzen die Folgen einer Scheidung. Sie bekommen zwei Kinder, trennen sich, und dann merken sie, dass sie ihren Lebensstandard nicht halten können. Oder einer der beiden besitzt eine Immobilie, und diese hat in der Zeit der Ehe einen enormen Wertzuwachs, und dann muss nach einer Scheidung ein Wertausgleich gezahlt werden, dessen Höhe die Betroffenen dann schockiert.

Viele Frauen sind überrascht, dass sie nach einem Jahr Trennung wieder arbeiten müssen – oder vor dem Gericht tatsächlich die Absagen nach einem Bewerbungsgespräch nachweisen müssen. Manche Frauen stehen dann plötzlich alleine da mit drei kleinen Kindern und müssen trotzdem Vollzeit arbeiten. Und dann dauert ja so ein Verfahren auch...

Wie lange dauert ein Scheidungsverfahren?

Wenn es schnell geht, dauert ein Scheidungsverfahren im besten Fall drei Monate. Aber es ist keine Seltenheit, dass ein Verfahren mehrere Jahre dauert, insbesondere, wenn es um den Unterhalt oder den Zugewinnausgleich geht. Und wenn das Verfahren dann noch zum Oberlandesgericht geht, dauert es noch länger. Dann sind fünf Jahre keine Seltenheit.

 

Judith Velsinger ist Anwältin und leitet die Mediationskanzlei in München. Sie studierte an der Universität Regensburg Jura und Portugiesisch. Nach dem Examen arbeitete sie für ein Jahr im Menschenrechtsprojekt CEDECA in São José dos Campos in Brasilien mit. Sie ist Rechtsanwältin und hat eine Ausbildung zur Mediatorin beim IMS (Institut für Mediation Streitschlichtung und Konfliktmanagement e. V.) abgeschlossen.