Die kleine Asamkirche ist eine der schönsten katholischen Kirchen in der Münchner Innenstadt. Fast unscheinbar wirkt ihre Fassade in der Häuserflucht der Sendlinger Straße, einer der beliebtesten Münchner Einkaufsstraßen. Hinter der sanft geschwungenen Fassade verbirgt sich eine prächtig-goldene Rokokoausstattung, die viele Touristen anlockt. Vor der Kirche sitzt eine Frau mit wirren schwarzen Haaren, dunklem Teint und zerrissener Kleidung. Sie hält ein elend aussehendes Kind auf ihrem Schoß und bettelt um Geld. Sie hat einen der lukrativsten und deshalb umkämpftesten Bettlerplätze in der bayerischen Landeshauptstadt ergattert. Wenige Meter weiter sitzt auf der anderen Straßenseite ein junger Mann, der eigentlich gesund und arbeitsfähig aussieht, und bettelt ebenfalls um Geld.

Viele Städte haben ihnen den Kampf angesagt, doch dem Phänomen der osteuropäischen Bettlerbanden ist nur schwer beizukommen. Sie reisen organisiert an, aus Rumänien, der Slowakei, aus der Ukraine. Die Hintermänner sammeln die Erlöse ihrer Bettelgruppe regelmäßig ein. Behinderte, Frauen und Kinder werden oft zum Betteln gezwungen, sie bekommen nur einen kargen Tageslohn. Sie sind das schwächste Glied in einer Kette von Zwang und Gewalt. Und jeder Euro, der in ihre Taschen fließt, stärkt das System der Ausbeutung.

Bettler oder Bettlerbanden?

Die Frage der Bettelei war in der Bundesrepublik immer umstritten. Für die Nationalsozialisten war Bettelei ein hart zu bestrafendes Vergehen: "Wer sich wie die Bettler und Landstreicher außerhalb des Arbeitswillens des Volkes stellt und am Ertrage des Arbeitsfleißes anderer mühelos nur schmarotzen will, ist stets hart zu bestrafen und nach Möglichkeit im Arbeitshaus zur Arbeitsleistung zu erziehen", hieß es in dem vom späteren Präsidenten des "Volksgerichtshofs", Roland Freisler, 1936 herausgegebenen Buch "Das neue Strafrecht". Auch nach dem Krieg wurde jede Form der Bettelei als "gemeinschädliche Straftat" verfolgt.

Wer "aggressiv" bettelt, begeht auch heute noch eine Ordnungswidrigkeit und kann wegen "Belästigung der Allgemeinheit" bestraft werden. Wie aber verhält es sich mit dem stummen Zurschaustellen von Elend? In den 1970er-Jahren urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die bloße Konfrontation mit der Armut nicht kriminalisiert werden dürfe, die Bürgerschaft also den Anblick von Elend in ihrer Mitte aushalten muss.

"Falsch!", hielten in den 1990er-Jahren die Verfechter der "Broken Windows"-Theorie den Entkriminalisierern entgegen. Ihr konservativer Ansatz der Kriminalitätsbekämpfung (der nicht nur in den USA Anhänger hat), geht davon aus, dass sich schwerwiegende Straftaten verhindern lassen, wenn die Polizei schon bei Bagatelldelikten hart durchgreift. Ein einzelnes zerbrochenes Fenster im Straßenbild, das nicht umgehend repariert werde, sende eine Botschaft aus: Hier wird auch schwereren Delikten nicht Einhalt geboten. Und jeder ungehinderte Bettler im Straßenbild sei wie das "erste zerbrochene Fenster".

Bettelei im Mittelalter

Aber nicht immer galt die Bettelei als "Problem". In der Vorstellungswelt des Mittelalters hatte man zu ihr ein ambivalentes Verhältnis, das sich zwischen christlichem Armutsideal und Jenseitsorientierung bewegte. Für Thomas von Aquin war nur zu bestrafen, wer bettelte und dabei eigentlich gesund und arbeitsfähig war. Wer dagegen aus echter Bedürftigkeit, zu religiösen Zwecken (zum Beispiel für eine Pilgerfahrt oder seinen Orden) oder für Aufgaben des Gemeinwohls bettle, der handle rechtens.

Zudem war das Almosengeben neben dem Beten und Fasten eine Möglichkeit der Buße für begangene Sünden. Wie im Islam, wo es als "Zakat" zu den "fünf Säulen" der Religion gehört, war das Almosengeben eine ethisch-religiöse Verpflichtung, durch die sich Verdienste im Himmel erwerben ließen, wenn es im rechten Geist - also aus Nächstenliebe geschah.

Als im Spätmittelalter durch ökonomische Umbrüche die Zahl der Bettler rasant anstieg, gewann ein neuer Typ des Bettlers an Bedeutung: der betrügerische Bettler. Das "Liber Vagatorum", eine Art Ratgeber zum Umgang mit der Bettelplage, war weitverbreitet. Martin Luther höchstpersönlich gab das Buch 1528 unter dem Titel "Von der falschen Bettler und Büberei" neu heraus. Es stellte die verschiedenen Bettlertypen und ihre Tricks vor, wie man Krankheiten und Behinderungen simulierte, wie man falsche Mönche oder Pilger erkannte - und ein kleines Rotwelsch-Lexikon war auch dabei.

Bettelei ist "unerlaubte Sondernutzung" des öffentlichen Raums

Das Almosengeben stand für Luther unter dem Verdacht der Werkgerechtigkeit. Wenn Rechtfertigung allein aus Gnade möglich war, dann sollten Christen keine Almosen geben, um auf diese billige Weise für sich Schätze im Himmel zu erwerben. Dann gebot die Nächstenliebe, die Bettelei und ihre Wurzeln selbst zu beseitigen.

In München, wo noch 1780 von 37.000 Einwohnern 4200 Bettler waren, kam man 1980 auf einen juristischen Trick, um dem Problem der bandenmäßig organisierten "Demutsbettler" zu begegnen: "Gewerbsmäßige" Bettelei wurde als "unerlaubte Sondernutzung" des öffentlichen Raums wieder zur Ordnungswidrigkeit und mit Geldbußen (derzeit 50 Euro) geahndet. Mit Blick auf dieses Bußgeld knöpft die Polizei den organisierten Bettlern heute ihren Bettelerlös - soweit vorhanden - gleich vor Ort als "Sicherheitsleistung" ab und versucht so, die Banden abzuschrecken. Die Bild-Zeitung nennt sie "Nerv-Bettler" und vermeldet, die Münchner Polizei habe ihnen 2010 bei 520 Kontrollen gut 7000 Euro abgenommen. Das sind knapp 15 Euro pro Kontrolle.

Die osteuropäischen Bettlerbanden haben einen merkwürdigen Effekt: Sie machen die Antwort auf die Frage "Soll ich Bettlern Geld geben?" scheinbar ganz einfach. Wer in Banden organisierte "Nerv-Bettler" vermuten darf, hat es leichter, auch an "echtem Elend", am "ehrlichen" Bettler oder der alkoholkranken obdachlosen Frau mit den vielen Tüten am Fahrrad vorbeizugehen.

Gesellschaft soll für gerechte soziale Strukturen sorgen

Zudem weisen selbst für den Fall "ehrlicher" Bettler die Experten in Sachen sozialer Hilfe schon lange (und mit Recht) darauf hin, dass Geld zu geben oft mehr schadet als hilft. Viele, die auf der Straße leben, sind Alkoholiker oder leiden an anderen Suchtkrankheiten. Das erbettelte Geld dient ihnen meist nur dazu, die Alkohol- oder Drogensucht zu befriedigen. Eine angebotene Mahlzeit, Unterkunft, Kleidung oder andere Sachspenden schlagen diese Bettler deshalb mitunter aggressiv aus.

Diakoniker und andere sozialpolitische Experten weisen (mit Recht) darauf hin, dass die Gesellschaft für gerechte soziale Strukturen sorgen soll. Armut mit dem Almosenprinzip zu bekämpfen ist falsch. Denn jede "milde Gabe" zementiert das Oben-Unten-Verhältnis von "edlem Spender" und "armem Bettler". Und: Almosen führen nicht aus der Not hinaus und in ein unabhängiges, selbstbestimmtes und würdevolles Leben hinein. Sie nehmen eher den Druck, der dazu führt, etwas an der eigenen Lage ändern zu wollen. Echte Hilfe ist schließlich immer auch Hilfe zur Selbsthilfe.

Das alles stimmt - und doch darf das Argument "Schadet mehr, als es hilft" nicht dazu dienen, sich die eigene Hartherzigkeit oder auch nur Bequemlichkeit schönzureden. Eine Begegnung mit einem Bettler ist unbequem. Sie ist auch die Begegnung mit der potenziellen eigenen Hilfsbedürftigkeit oder der eigenen Angst, hilfsbedürftig zu werden. Muss ich, wenn ich um Hilfe bitte, mich wie ein Bettler fühlen? Wie leicht fällt es mir, Hilfe zu erbitten oder Hilfe anzunehmen? Wie solidarisch bin ich selbst? Mein schlechtes Gewissen regt sich.

Paulus: "Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen"

"Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen", schreibt Paulus im 2. Thessalonicherbrief (3, 10). Paulus münzte damit einen der bekanntesten Bibelverse, der bis heute im Volksmund breite Anwendung findet. Meist wird er nicht im Geist der Nächstenliebe ausgesprochen. Wer protestantische Arbeitsethik verinnerlicht hat, dem geht dieser Satz leicht über die Lippen. Zum Beispiel um die Entscheidung der lästigen Frage zu vermeiden, ob ich es mit einem "ehrlichen Bettler" zu tun habe. Der Satz hilft auch dabei, echtes Elend vor meinen Augen abzuwehren.

Wie sich christliche Nächstenliebe äußern soll, sagt Jesus in der sogenannten Endzeitrede im Matthäusevangelium (25, 34-46). "Sieben Werke der Barmherzigkeit" nennt er: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten.

Bettlern nicht fürs eigene Gewissen Geld geben

Doch zwischen "Armut" und "Vermögen" besteht eine Beziehung, und womöglich geht es genau darum: um "Beziehung". Waldemar Pisarski hat in einer Sonntagsblatt-Sprechstunde zum Thema von einem Bekannten berichtet, der jahrelang in Indien lebte. An Plätzen, an die er häufig kam und wo er immer wieder von Bettlern bedrängt wurde, gab er nur einigen etwas - aber immer den gleichen. Weil er nicht allen helfen konnte, gab er stellvertretend - und zugleich entwickelte sich mit der Zeit eine Beziehung zu diesen Bettlern, die über das reine Almosengeben hinausging. Er wusste ein wenig von ihnen, und sie spürten, dass er sich für sie interessiert. Vielleicht sind die paar gewechselten Worte genauso wichtig wie die Münzen.

Dass Jesus sich aber die Freiheit nahm, in jeder Situation neu zu entscheiden, dass er sich immer wieder neu ansprechen und berühren ließ, zeigt beispielsweise die Geschichte vom blinden Bettler Bartimäus (Markus 10, 46-52). "Und es jammerte ihn", heißt es von Jesus mehrfach. Zum Beispiel bei der Heilung des Aussätzigen im Markusevangelium (1, 40-42). Was Luther mit "jammerte" wiedergegeben hat, heißt auf Griechisch wörtlich "Es traf ihn in die Eingeweide". Jesus nimmt das Elend vor seinen Augen in einer körperlich-unmittelbaren Weise wahr. Sein Innerstes wird bewegt.

Niemand muss sich betrügen lassen. Aber es ist gut, sich immer wieder anrühren und im Innersten bewegen zu lassen. Unverhärtet und frei zu bleiben, um nach Situation und Intuition zu entscheiden. Auf die innere Haltung kommt es an, wusste auch der gestrenge Paulus: "Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb" (2. Korinther 9, 7). Jede dieser Begegnungen mit einem Gebet in Gottes Hände zu legen kann übrigens auch nicht schaden.