Der kirchliche Reformprozesses "PuK" ist schon längst Realität in Nürnberg.

Sieht man nämlich genauer hin, fällt auf, dass die Idee der Kooperation in Nürnberg eigentlich gar nicht so neu ist, sondern eher die logische Konsequenz einer Entwicklung, die bereits im Jahr 2008 ihren Anfang genommen hat. Damals schlossen sich St. Egidien, St. Sebald, St. Lorenz und St. Jakob zum Gemeindeverbund der Innenstadtkirchen zusammen – mit gemeinsamem Pfarramt, das im "Haus der Kirche" eckstein gleich neben der Sebalduskirche untergebracht ist, sowie einem gemeinsamen Kirchenvorstand und der alle zwei Monate erscheinenden Citykirche als gemeinschaftliches monatliches Hochglanz-Kirchenblatt. Alle Konfirmanden dieser rund 8000 Mitglieder starken Großgemeinde werden im Übrigen gemeinsam konfirmiert.

Schon in den 00er-Jahren ging es los

Mitte der 2000er-Jahre war die Zeit von prägenden Personen wie Christian Schmidt, Pfarrer von St. Lorenz und Dekan des Prodekanatsbezirks Nürnberg-Mitte (1998-2006), später Regionalbischof des Kirchenkreises Ansbach-Würzburg. Egidien-Pfarrer war Brons’ Vorgänger Heiner Weniger, der von St. Sebald hieß Gerhard Schorr, der von St. Jakob war Helmut Weidinger. Jürgen Körnlein wurde der Nachfolger Schmidts als Stadtdekan und trieb die Zusammenarbeit der Gemeinden voran. Ein Prozess, der seither immer wieder mit neuen Gesichtern voranschreitet. Das war auch so, als Jonas Schiller 2014 als 1. Pfarrer nach St. Sebald kam. 2015 folgte dorthin Annette Lichtenfeld als 2. Pfarrerin und im Frühjahr 2015 Martin Brons nach St. Egidien.

Im November 2017 verkündete Jonas Schiller überraschend, dass er sich nicht zuletzt wegen der größer gewordenen Familie um eine Stelle jenseits des Gemeindepfarramts bewerben werde. Die Stelle des 1. Pfarrers von St. Sebald wird nach seinem Weggang als neuer Referent der Nürnberger Regionalbischöfe nun vakant. Normalerweise startet dann der übliche Prozess: Die Stelle wird ausgeschrieben, es werden Bewerber geladen. In diesem Fall lief es aber anders und erstaunlich schnell: Jetzt dachten die Kirchenvorstände beider Gemeinden in ihren Sitzungen im November und Dezember über Möglichkeiten einer tiefer gehenden Kooperation und der Möglichkeit, sich in Zukunft das Pfarrpersonal zu teilen, nach.

Neue Konstellation der Stellenbesetzung

Als Egidien-Pfarrer Martin Brons sein Interesse bekundete, in einer neuen Konstellation eine ganze Pfarrstelle mit dem Schwerpunkt auf die Geschäftsführung beider Gemeinden zu besetzen und damit Schillers Part der Gemeindearbeit mit zu übernehmen, beantragte die Sebaldus-Gemeinde einen Ausschreibungsverzicht beim Landeskirchenrat in München. Am 19. Februar kam aus der Landeshauptstadt dann das Okay zum Gesamtkonzept des neuen Verbunds: Demnach wird Annette Lichtenfeld, die bisher mit einer halben Stelle in St. Sebald für Gemeindearbeit zuständig war, nun diese Aufgabe zu 100 Prozent für beide Gemeinden ausführen. Dazu bleibt mit Petra Seegets eine Pfarrerin, die mit halber Stelle Gäste- und Tourismusarbeit betreibt, sowie mit Hochschulpfarrer Thomas Zeitler ebenfalls eine 25-Prozent-Kraft, die St. Egidien als Kulturkirche im Profil schärfen und weiterentwickeln soll. Dieses Vierer-Team leistet nun mit Lichtenfeld und Brons Gemeindearbeit sowie mit Seegets und Zeitler Kulturarbeit.

 

Hochschulpfarrer Thomas Zeitler in St. Egidien, Nürnberg
Hochschulpfarrer Thomas Zeitler in der Nürnberger Kulturkirche St. Egidien.

 

Auch Regionalbischof Stefan Ark Nitsche sowie Stadtdekan Körnlein waren sofort mit im Boot, um diese Ideen in die Tat umzusetzen. "So werden auftragsorientiert die Aufgaben gemeinsam angepackt", meint Körnlein. Seines Wissens gab es diese Situation, dass zwei Gemeinden sich die Pfarrstellen teilen, bisher noch nicht in der Landeskirche. Als die Idee vor einigen Wochen erstmals dem Landessynodalausschuss vorgestellt wurde, habe man offene Türen eingerannt.

Doch hinter der Kooperation steckt etwas Grundsätzlicheres, als diese Zahlenspiele ahnen lassen. "Beide Gemeinden gewinnen zwei Pfarrer, die mit ganzer Stelle für Pfarrangelegenheiten da sind", ist Martin Brons überzeugt. Vonseiten des Pfarrpersonals werde also nicht mehr zwischen den Gemeinden unterschieden.

Profile für Kultur und Tourismus

"Das Schöne an St. Egidien: Es hat bereits ein klares Profil als Kunst- und Kulturkirche. Daran kann man anknüpfen und unter den neuen Bedingungen weiterarbeiten", erklärt Thomas Zeitler, der auch Hochschulpfarrer der Evangelischen Studierendengemeinde Nürnberg ist. Er wolle den Kontakt zu den Nürnberger Kunsthochschulen intensivieren. Da die Eigenmittel der Gemeinde beschränkt sind, werde es noch mehr darauf ankommen, mit interessierten kirchlichen, akademischen, städtischen und freien Partnern zusammenzuarbeiten. "Und das muss mehr heißen, als nur Räume zur Verfügung zu stellen, sondern Kontakt zwischen verschiedensten Akteuren und Menschen zu ermöglichen, die sich in so einer Konstellation vielleicht nicht begegnet wären", sagt Zeitler.

"Kirchenführungen können so spannend sein, dass man die sprichwörtliche Stecknadel fallen oder – in unserem Falle besser: dass man die Kirchenmaus trippeln hört", beschreibt Petra Seegets ihren Part als Gäste- und Tourismuspfarrerin. Manche interessieren sich dafür, wie die Sebalduskirche von ihren Anfängen bis heute Menschen im Glauben begleitet hat. Für andere stehen eher Kunst und Architektur des Mittelalters im Mittelpunkt. Zu den Standardführung gesellen sich besondere Angebote wie musikalische Nachtführungen, die in der kerzen­erleuchteten Kirche theologische Themen, Frauen und Männer aus der Nürnberger Geschichte und Künstlerpersönlichkeiten lebendig werden lassen. Oder die Turmführungen, die zeigen, wie man im Mittelalter eine Kirche gebaut hat.

Gemeindegrenzen vom Reißbrett

Ohnehin bewege man sich in der Nürnberger Innenstadt auf engem Raum, dessen Linien vor einigen Jahrzehnten quasi auf dem Reißbrett gezogen wurden. Nur ein Beispiel: Es gibt Straßen nahe dem Nürnberger Stadtpark am Maxfeld, deren Bewohner der Gemeinde St. Egidien "zugeschlagen" sind, die ihren Lebensmittelpunkt aber rein räumlich ganz woanders, nämlich nahe der Reformations-Gedächtniskirche haben. "Außerdem ist es Quatsch, wenn in dieser engen Region der Nürnberger Innenstadt ganz viele Angebote parallel laufen. Die Grenzen der Parochien finden nicht in den Köpfen der Menschen statt", meint Annette Lichtenfeld. Zeitgleich würden zum Beispiel vier gleiche Gottesdienste an einem Sonntag in den vier Innenstadtkirchen stattfinden, während andere Dinge eben gar nicht laufen."

Was Menschen von Kirche wollen, das habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Bisher werden die Kirchtürme oft noch als "Vollsortimenter" begriffen, in dem jeder Pfarrer von der Taufe bis zur Bahre für sein Gemeindeglied da ist, taufen, trauen und Konfirmanden unterrichten soll und zeitgleich die Verwaltung und das Profil der Kirche im Blick haben soll – eine Herkulesaufgabe, die auch aufgrund der sich verändernden Gemeindezahlen überdacht werden müsse, so Pfarrer Brons. Heute ist beispielsweise die Egidien-Gemeinde nur noch halb so groß wie vor 50 Jahren.

 

St. Egidien und St. Sebald in Nürnberg
Die Kirchen St. Egidien und St. Sebald in Nürnberg.

 

Das habe mehrere Gründe: Menschen zieht es immer mehr aus der Innenstadt aufs Land. Durch Zuwanderung durchmischt sich die Bevölkerung dann auch nicht zuletzt konfessionell. Als logische Konsequenz müsse das Pfarrpersonal in der Innenstadt so verteilt werden, dass jeder seine Stärken einbringen kann.

"Wir versuchen fortlaufend, die Nürnberger Innenstadtkirche weiterzuentwickeln", ergänzt Annette Lichtenfeld. Es werde nicht von Kirchturm zu Kirchturm gedacht, sondern im Gesamtraum.

Wer eine der vier Innenstadtkirchen besucht, der tue das nicht wegen der Gemeindezugehörigkeit auf dem Papier, sondern weil ihm die Kirche, der Pfarrer oder die Musik gut gefällt, meint Lichtenfeld. Ein Beispiel: Die "Tohuwabohukirche", bei der seit vergangenem Herbst immer wieder samstags um 15 Uhr Kinder, Eltern und Großeltern bei einem warmen Mittagessen in St. Jakob Gelegenheit zum Kennenlernen, Spielen, zu Action, Basteln und einer kurzen Andacht mit Musik in der Kirche haben. Dies sei ein solches maßgeschneidertes Angebot, das sämtliche Interessenten der Innenstadtgemeinden ansprechen kann.

Dem Landesstellenplan zuvorkommen

Nicht zuletzt wollen die beteiligten Geistlichen sowie die Kirchenvorstände mit dieser Neuordnung einem drohenden "Streichkonzert" beim nächsten Landesstellenplan vorgreifen. "Wir hinken immer noch der letzten Sparrunde hinterher, weil wir nicht die richtigen Konsequenzen gezogen haben. Und die Arbeit, die wir leisten müssten, können wir nicht nur mit den Mitteln, die uns die Landeskirche zur Verfügung stellt, bewerkstelligen."

Begleitet wurde der Prozess, den die Gemeinden in den vergangenen Wochen durchgemacht haben, von der Gemeindeakademie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern der Rummelsberger. "Dort sagte man uns, dass wir ein echtes Traum-Team seien", freuen sich Lichtenfeld und Brons. Jeder Akteur sei jetzt an einer Stelle, in der er seine persönlichen Stärken voll ausspielen könne. "Wir praktizieren in der Nürnberger Innenstadt nun auch auf struktureller Ebene das, was schon längst Usus ist", ergänzen die Beiden.

Nun mag man sich an dieser Stelle natürlich die Frage stellen, ob die beiden anderen Innenstadtgemeinden nicht auch bald dem Beispiel folgen und Pfarrpersonal teilen. Doch das hat in den Augen von Stadtdekan Körnlein wenig Sinn. Zu unterschiedlich seien die Profile und Aufgaben von St. Jakob und St. Lorenz. Im bereits bestehenden Gemeindeverbund aber, da klappe die Zusammenarbeit hervorragend.

 

Nürnberger »PuK-Prüfsteine«

MIT DEM GEMEINDEVERBUND folgen die Verantwortlichen in den Nürnberger Gemeinden St. Egidien und St. Sebald nahezu wortgetreu zumindest drei der fünf "Strategischen Leitsätze", die von der Landessynode im März 2017 beschlossen wurden.

Unter dem Leitsatz "Kirche im Raum" steht beispielsweise, dass die Kirche die realen und regionalen Lebensräume von Menschen wahrnehmen und ihre Arbeit auf der Grundlage ihres Auftrags in Handlungsräumen organisieren soll. Alle kirchliche Arbeit werde im Raum als Einheit gesehen, raumübergreifende Dienste sind so weit wie möglich vom Bedarf her definiert.

Unter dem Leitsatz "Gemeinde im Raum" ist zu lesen, dass die Kirche die christliche Gemeinschaft in konkreten Lebensräumen jeweils den unterschiedlichen Kontexten entsprechend ermöglicht und gute Vernetzung von Gemeinden untereinander, in der Ökumene und im Sozialraum vor Ort zu einem Qualitätsmerkmal machen soll.

Und im Leitsatz "Vernetztes Arbeiten" heißt es: Indem Auftrag und Aufgaben klar für die verschiedenen Handlungsräume definiert sind, wird für einen guten Einsatz dieser Gaben in Haupt- und Ehrenamt gesorgt. Auftrag und Aufgaben werden mit verschiedenen Kompetenzen, Teams und mit klarer Leitung und Zuständigkeit erfüllt. Was derzeit in Nürnberg geschieht, ist also "PuK" in Reinkultur.