18. Mai 1942: Die Bedrohung von außen wird ständig größer, der Terror wächst mit jedem Tag.

Ich ziehe das Gebet wie eine dunkle, schützende Wand um mich hoch, ziehe mich in das Gebet zurück wie in eine Klosterzelle und trete dann wieder hinaus, »gesammelter«, stärker und wieder gefasst.

Mich in die abgeschlossene Zelle des Gebetes zurückzuziehen wird für mich immer mehr zur Realität und zu einer sachlicheren Angelegenheit. Die innere Konzentration errichtet Mauern um mich, in denen ich zu mir selbst zurückfinde, mich aus allen Verstreutheiten wieder zu einem Ganzen zusammenfüge.

(aus: Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943)

Etty Hillesum ermutigt mich, in mir selbst große Flächen urbar zu machen für immer mehr Ruhe:

Je mehr Ruhe in den Menschen ist,
desto ruhiger wird es auch in dieser aufgeregten Welt sein.

Hillesum zeigt mir vier »Felder«, auf denen ich anfangen möchte zu pflügen:

1. Sprechen und Schweigen

Bewusst versuche ich, überflüssiges Gerede zu vermeiden. Unsere Wörter sollten sich organisch in ein großes Schweigen fügen und nicht das Schweigen übertönen und zerstören. Am Abend blicke ich zurück auf den Tag: Wo habe ich Überflüssiges geredet? Wo wäre es gut gewesen, innezuhalten und zu schweigen?

2. Einfach sein

Das einfache Sein, so einfach und wortlos werden wie das Korn oder der fallende Regen, übe ich im Wahrnehmen eines Baums. Ich nehme sein kraftvolles Da-Sein in mich auf, horche auf sein Schweigen, lasse seine Ruhe einströmen in mich.

3. Liebe zum Kleinen

Wenn ich ein Geschöpf der Natur – einen Stein, eine Wurzel, eine Blume – mit allen Sinnen wahrnehme, seine Schönheit entdecke und es frage: »Was kannst du mir von deinem Schöpfer erzählen?«, wird mir bewusst, es gibt doch auch andere Realitäten außer denen, die man in der Zeitung liest. Es gibt auch die Realität dieser kleinen rosaroten Zyklame.

4. Stille und Meditation

Durch Etty Hillesum wird mir die heilsame Wirkung regelmäßiger Meditation neu bewusst. Ich glaube, dass ich das tun sollte: morgens vor Beginn der Arbeit eine halbe Stunde lang »mich nach innen wenden«. In diesen inneren Raum der Stille ziehe ich mich im Gebet zurück wie in eine Klosterzelle und trete dann wieder hinaus, gesammelter, stärker und wieder gefasst.