Mit der COVID-19-Pandemie verbreiten sich immer mehr Falschmeldungen, Verschwörungstheorien, esoterische Heilungsangebote und pseudowissenschaftliche Gesundheitstipps.

So wird verharmlosend behauptet, bei Corona würde es sich um eine bloße Grippe oder Influenza handeln.

Die von der Bundesregierung und den Ländern getroffenen Kontaktbeschränkungen seien staatliche Willkür und völlig überzogen.

Die politischen Akteure versuchten, die Grundrechte der Menschen zunehmend außer Kraft zu setzen.

Verschwörungsgläubige Prominenz

Es war ein irritierendes wie auch verstörendes Bild: Rund 3.000 Menschen demonstrierten am 9. Mai 2020 auf dem Münchner Marienplatz gegen die aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Sie standen hier dicht gedrängt – ohne Atemschutzmasken und den gebotenen Sicherheitsabstand. Unter den Demonstranten befanden sich Impfgegner und Verschwörungstheoretiker. Die Mehrheit bildeten eher unauffällige Bürgerinnen und Bürger.

Zu erkennen gaben sich Unterstützer für den in die Kritik geratenen Sänger Xavier Naidoo, der in der Vergangenheit schon öfter mit seinen kruden, reichsbürgerideologischen Vorstellungen in die Schlagzeilen geraten ist.

Verschwörungstheorien und ihre Verschwörungstheoretiker

Mehrere zeigten Plakate gegen Bill Gates als angeblich heimlichen Profiteur der Corona-Krise. Auf einem war nur der Buchstabe "Q" zu erkennen. Er steht für "QAnon", einer besonders kruden Verschwörungserzählung: Demnach würde Donald Trump gegen einen "Tiefen Staat" kämpfen, der bis dato heimlich die Geschichte der USA bestimmt habe.

Ein weltweites Netzwerk aus pädophilen Politikern, Finanzeliten und Hollywoodstars würde Kinder entführen, in unterirdischen Lagern foltern und schließlich töten, um aus ihnen das Lebenselexier "Adrenochrom" zu gewinnen. Naidoo wie auch Rapper Sido sind von "Q" überzeugt.

Prominente scheinen für die Verbreitung von Verschwörungstheorien eine hervorgehobene Rolle zu spielen: Hierzu zählt auch der für seine veganen Rezepte bekannte Kochbuch-Autor Attila Hildmann, der bei der Corona-Demo in Berlin mitdemonstrierte.

Initiativen, Aufrufe, "Widerstand 2020"

Über YouTube-Videos erreichen Verschwörungstheorien eine erstaunlich hohe Nutzerzahl. Der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann hat "Widerstand 2020", eine neue "Mitmach-Partei" mitbegründet. Sie soll schon mehr als 100.000 Unterstützer haben. Schiffmann betrachtet Corona als herkömmliche Grippewelle. Er zählt zu den Unterstützern des Aufrufs "Nikolaikirche ist überall – öffnet die Kirchen".

Initiator ist unter anderen Erich Hambach, der enge Kontakte zu rechten Esoterikern und zur umstrittenen Anti-Zensur-Koalition des Sektengründers Ivo Sasek pflegt.

Hambach und seine Mitstreiter führen in dem Aufruf darüber Klage, dass die "natürlichen/gottgegebenen Rechte" von "sogenannten 'Volksvertretern' mit Füßen getreten" und "in einem Akt der Willkür" entzogen worden seien. In Wahrheit seien die von der Regierung zum "Schutz der Gesundheit" getroffenen Maßnahmen angeblich der Versuch, die totale Kontrolle über die Bevölkerung und die Massenmedien zu gewinnen und schließlich Zwangsimpfungen durchzusetzen.

Die Initiatoren berufen sich dabei auf angeblich "wirkliche Experten", die "Covid-19 aufgrund der Faktenlage […] für nicht gefährlicher halten als die übliche Grippe/Influenza." Für diese Ziele möchte die Initiative Unterstützer gewinnen, die jeweilige Kirchengemeinde, Moschee oder Synagoge telefonisch dazu aufzufordern, die "Gotteshäuser" regelmäßig um 19 Uhr zu öffnen.

Die Kirchen hätten – so die Initiatoren – den Auftrag, "jenen Menschen Asyl zu bieten, die verfolgt werden und denen ihre Rechte genommen werden." Wenn Menschen sich zu Meditation und Gebet in den Kirchen versammelten, könnte das – so die pseudowissenschaftlich-esoterische Vorstellung – "gemäß Quantenphysik ein Bewusstseinsfeld" erschaffen, "das weit über das einzelne Gotteshaus hinausreicht und zu einem verbindenden Element aller Menschen wird."

"Hygiene"-Demonstrationen in München, Stuttgart und Berlin

Die beschönigend als "Hygiene-Demos" titulierten Versammlungen in München, Stuttgart und Berlin haben noch einmal vor Augen geführt, wie groß die Sorge, der Unmut und der Hass unter manchen Teilnehmern geworden sind. Aus der Angst vor Kontrollverlust ergeben sich plötzlich seltsame Querfront-Allianzen gegen die Entscheidungsträger.

Für manchen überzeugten Wahrheitssucher ("Truther" und "Aufklärer") bieten Verschwörungstheorien die ideale Möglichkeit, sich zum exklusiv Wissenden in Abgrenzung zu den "Schlafschafen" zu gerieren. Besonderes kritisches Augenmerk ist auf antisemitische Verschwörungstheorien zu richten, die auch bei der Versammlung in München zu beobachten waren. Beobachter mussten feststellen, dass auf einzelnen Plakaten der Eindruck erweckt wurde, hinter drohenden Zwangsimpfungen würden "die Juden" stecken.

Deutsche Bischofskonferenz reagiert kritisch auf Aussagen einiger Kardinäle

Die Angst vor einer drohenden "Neuen Weltordnung" (NWO) hat mittlerweile auch den katholischen Kardinal Gerhard Ludwig Müller erfasst. Der frühere Präfekt der römischen Glaubenskongregation unterstützt den von dem früheren US-Nuntius Erzbischof Carlo Maria Viganò initiierten Aufruf "Die Freiheit wird euch frei machen". Darin werden die angeblich völlig überzogenen politischen Entscheidungen scharf kritisiert: "Diese illiberalen Maßnahmen sind der beunruhigende Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht".

In der Folge könnten "fremde Mächte" leichtes Spiel haben – "mit schwerwiegenden sozialen und politischen Auswirkungen". Diese Erklärung ist Wasser auf die Mühlen von Impfgegnern und Verschwörungsgläubigen, die diesen Aufruf als Beleg für den eigenen Standpunkt rasch in den Sozialen Medien verbreiteten. Die kritische Reaktion des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing und weiterer Bischöfe ließ zum Glück nicht lange auf sich warten.

Bislang ist es unklar, welche Resonanz Verschwörungstheorien durch die Corona-Krise insgesamt haben werden.

Genaue Zahlen von Verschwörungsgläubigen sind nicht bekannt. Studien vor der Corona-Krise wiesen auf eine hohe Verbreitung von Verschwörungserzählungen in der Bevölkerung hin. Derzeit finden sie in der Öffentlichkeit eine besonders große mediale Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt durch die "Corona-Demos" in München, Stuttgart und Berlin sieht sich die Bundesregierung dazu genötigt, auf die von Verschwörungstheorien ausgehenden Gefahren hinzuweisen. Kritik sei in einer Demokratie zwar wichtig und berechtigt, jedoch keinesfalls die Verbreitung abstruser Verschwörungstheorien.

Regierungssprecher Steffen Seibert stellte klar: "Wer so etwas verbreitet, der will unser Land spalten und die Menschen gegeneinander aufbringen." Unübersehbar ist schon jetzt, dass Verschwörungstheorien zu einer massiven Polarisierung beitragen. Dies wollen Extremisten für eigene Zwecke zu nutzen, um die gegenwärtige Demokratie zu destabilisieren. Die zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft von Verschwörungsgläubigen sollte nicht unterschätzt werden.

Zum schwierigen Umgang mit Verschwörungsgläubigen 

Noch ist unklar, wie sich die Pandemie von COVID-19 weiterentwickelt und wie sie letztlich eingedämmt werden kann. Dies löst bei vielen Menschen Verunsicherung und Ängste aus. Besonders der damit einhergehende Kontrollverlust begünstigt verschwörungsgläubiges Empfinden. Es artikuliert Ohnmacht und die Furcht, bloßer Spielball geheimer, unkontrollierbarer Mächte zu sein.

Menschen, die Verschwörungstheorien anhängen, sollte man keinesfalls als Spinner oder Verirrte abtun. Hier gilt es zu unterscheiden: Emsige Verbreiter solcher Theorien, die sich ihre Bestätigung in digitalen Echokammern des Internets holen, wird man mit rationalen Argumenten kaum erreichen können. Als hilfreich bei Verunsicherten und Zweifelnden erweist sich, nach den jeweiligen Motiven, Ängsten zu fragen.

Dabei können unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen: das Gefühl, machtlos zu sein, übergeordneten Mächten ausgeliefert zu sein und abgehängt zu werden. Im Umgang mit Verschwörungsgläubigen bedarf es Einfühlungsvermögen, um Vertrauen aufzubauen. Kritisches Denken ist zu fördern. Die öffentlich-rechtlichen Medien wie die Tagesschau bieten mit Faktenchecks im Internet gute Möglichkeiten, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Verschwörungsideologien sind Ausdruck und Merkmal von Krisenzeiten, die Menschen nach Deutung und Bewältigung Ausschau halten lassen.

Einfache Antworten mit klaren Feindbildern wirken dabei besonders attraktiv. Die Antwort der Kirchen und Gemeinden sollte es in dieser Zeit sein, mit Information und Orientierung, mit Aufklärung und Protest, mit Empathie und Zuhören, mit Gebet und Segen ein starkes Zeichen gegen das Klima des Hasses und Misstrauens zu setzen.

Hier bietet sich die Chance menschenfreundlicher, zugewandter Beratung: nahe bei Menschen zu sein, die gerade jetzt ein offenes Ohr, Hilfe und Unterstützung brauchen. Gleichzeitig sollte in Zeiten der Pandemie auch eine Kultur der Rücksichtnahme eingeübt werden. Eines sollten die Verschwörungsideologen dieser Tage keinesfalls erreichen können: die Gemeinschaft der Christenmenschen hilflos und sprachlos zu machen.

Verschwörungstheorien - Linktipps

Wer sich über das Thema Verschwörungstheorien informieren möchte, findet unter diesen Links hilfreiche Internet-Adressen:

Faktencheck der Tagesschau:
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/faktenchecks-corona-101.html
 

Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungen (EZW):
https://www.ezw-berlin.de/html/3_4492.php


Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB):
www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/medienpaedagogik/270188/verschwoerungstheorien

 

Handbuch zum Thema Verschwörungstheorien des Vereins der Skeptiker:
https://blog.gwup.net/2020/04/14/zum-kostenlosen-download-das-handbuch-verschwoerungsmythen/