Anstrengend ist der Spaziergang nicht wegen der Strecke von 3,4 Kilometern, sondern weil er von einem grausamen Kapitel der NS-Geschichte berichtet. Einheimische und Besucher, ausgerüstet mit einem Smartphone und Kopfhörern, können den Weg, den Studierende entwickelt haben, durch die Universitätsstadt Erlangen zu elf Stationen gehen.

Sterilisation und Hungertod

Von Krankenmorden an psychisch kranken Patienten, von Kindereuthanasie, Zwangssterilisationen, "Sonderkost", die zum Hungertod führt, und heimlichen Transporten in Vernichtungslager während der NS-Zeit wird man hören. Über manches Rechercheergebnis seien die Autoren der Audio-Walk-Texte entsetzt gewesen, berichtet ihre Professorin, Susanne Ude-Koeller, vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität (FAU). Sie denkt dabei an die Erkenntnis, das die meisten Täter vor Gericht mit geringen Strafen davon kamen oder freigesprochen wurden.

Es war kein gewöhnliches interdisziplinäres Seminar, für das sich 15 Studierende, die meisten von ihnen Geschichtsstudenten, eingeschrieben hatten, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin, Helen Wagner.

Das Projekt Audio-Walk "machte die jungen Leute mehr betroffen als andere Seminare", stellt sie fest.

Kindereuthanasie

Wie sensibel das Semester-Thema war, zeigte sich zum Beispiel an der Diskussion, wie das Kapitel Kindereuthanasie dargestellt werden soll. Sollte man mit Atmo-Tönen arbeiten? Im Hintergrund fröhliche oder schreiende Kinder hörbar machen? Die Gruppe entschied sich dagegen. Solche zusätzlichen Elemente einzubinden, würde sie und die Hörer "emotional überfordern", sagt Wagner. Die Geräusche der Stadt von Heute im Hintergrund würden genügen.

Einst Reformbewegung

Einst wehte in der Anstalt in Erlangen ein moderner Geist. Im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert setzte man auf das "Erlanger Modell", eine Reformpsychiatrie, die in Deutschland viele Nachahmer fand. Wegen geistiger und psychische Beeinträchtigungen sollten Menschen nicht ihr ganzes Leben in einer Klinik verbringen müssen, forderte der Psychiater Gustav Kolb, der von 1911 bis 1934 Direktor in Erlangen war.

Doch 1934 übernimmt der neue Direktor Wilhelm Einsler. Er ist von der Ideologie der Nationalsozialisten überzeugt, Erbkrankheiten zu verhindern und so die "gesunde menschliche Rasse" zu erhalten. Und er sieht behinderte und psychisch Kranke als Kostenverursacher und lebensunwert.

Denkmal für die ermordeten im Nationalsozialismus ermordeten Euthanasie-Patienten vor den Universitätskliniken am Maximiliansplatz in Erlangen
Denkmal für die ermordeten im Nationalsozialismus ermordeten Euthanasie-Patienten vor den Universitätskliniken am Maximiliansplatz in Erlangen.

Vergasung in Tötungsanstalten

Der Langzeitpatient Max S., der im Ersten Weltkrieg an der Front gedient hatte und an Schizophrenie erkrankt war, ist eines der Opfer, dessen Geschichte die Studierenden aus Akten im Bundesarchiv recherchiert haben. Auch als ehemaliger Soldat und sogar arbeitswilliger Patient entkommt er nicht dem Euthanasie-Programm T4. Am 1. April 1941 wird er abgeholt. Er fuhr mit einem der sieben Transporte in die eigens eingerichtete Tötungsanstalt, wo Patienten mit Kohlenmonoxid vergast wurden. 908 Opfer kamen aus der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen.

1.500 Tote

Weitere Menschen starben noch nach der Beendigung des Mordprogramms T4 am Nahrungsentzug, verordnet durch den "bayerischen Hungerkosterlass", oder sie überlebten schlechte Behandlung nicht. Rund 1.500 Menschen sollen bis 1945 an den Folgen gestorben sein.

Was die Erlanger Bevölkerung über die Morde an Patienten wusste, ist nicht belegbar. Anders als andere bayerische Bezirkskliniken lag die Erlanger Einrichtung aber nicht außerhalb, sondern mitten in der Stadt. Der größte Teil der Menschen in der Stadt hätte eine Ahnung davon gehabt, was sich hinter den Sandsteinmauern abspielte, sagt Ude-Koeller. Die Täter mussten aber nicht mit Protesten rechnen. Berichte von Spitzeln an die Gauleitung legten nahe, "Erlangen war kein Unruhenest", so die Historikerin.

Die Topographie der Stätten der Verbrechen durch die Stadt zeichnet der Audio-Walk, der damit auch Teil eines zukünftigen Erinnerungs-, Lern- und Gedenkortes für die Erlanger Euthanasieopfer sein kann.

Geplanter Gedenkort

Mit einer Diskussion über die Zukunft des Areals der 1846 gegründeten "HupPfla" sind in der Universitätsstadt die Gespräche über einen Erinnerungsort an in Gang gekommen. Dass in Debatten über den Abriss der Gebäude in den 1970er Jahren die Rückschau auf die Verbrechen keine Rolle spielte, hat die Studierenden in ihrem Seminar verwundert. Auch im 21. Jahrhundert kam der Protest gegen einen geplanten Abriss sehr spät, so die Historikerin Ude-Koeller. Auch diese Umstände müssten jedenfalls Teil des geplanten Gedenkortes werden.