Wer den Frankenschnellweg in Forchheim-Süd verlässt, in Richtung Höchstadt/Aisch fährt und die Brücke über den Main-Donau-Kanal überquert, liest überall den Namen Pilatus. Da gibt es ein Gewerbegebiet Pilatus, das Pilatusfeld, den Pilatusring, den Pilatushof, eine Apotheke am Pilatus Campus und den Gewerbepark Pilatus, und das ist noch nicht alles.

Woher der Bezug des römischen Statthalters zu dieser Gegend kommt, wollte Gerhard Batz wissen. Der 70-jährige Heimatpfleger von Hausen (Landkreis Forchheim) beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Frage und hat ein über 400 Seiten starkes Buch dazu veröffentlicht.

Pontius Pilatus ein Franke?

Seit dem Mittelalter kursieren in ganz Europa diverse Legenden zum biblischen Bösewicht. An der Person des Pilatus fasziniert Batz vor allem, dass dieser zu den bekanntesten Personen der Bibel gehört und sogar im Glaubensbekenntnis auftaucht: "Gelitten unter Pontius Pilatus."

Gut tausend Jahre später haben die Menschen weiterhin unter ihrer Obrigkeit gelitten. Nicht unter den Römern, aber unter dem zerstrittenen Adel. So hat sich Rudolf von Rheinfelden im Jahr 1077 in Forchheim zum Gegenkönig krönen lassen, und hier sieht Batz eine Wurzel der Forchheimer Pilatussage. Die Bevölkerung habe diesem König damals den Spitznamen "Alter Pilatus" gegeben (lateinisch: ein weiterer Pilatus), Synonym für einen Tyrannen.

Im Mittelalter benutzte man gerne religiöse Vergleiche, und der römische Statthalter bot sich da an.

"Pilatus wird immer als Gottesmörder bezeichnet", erklärt Batz, "und es ist das schlimmste, Gott selbst umzubringen".

Damit wurde Pilatus zum Bösewicht schlechthin.

Gemälde von Pontius Pilatus
Die Handwaschung des Pilatus, Gemälde von Derick Baegert um 1480 (links); Ecce Homo, Gemälde von Johann Karl Loth, letztes Viertel 17. Jahrhundert (rechts)

Im Laufe der Jahrhunderte verselbständigte sich die Forchheimer Sage, irgendwann wurden sogar Kleidungsstücke des Pilatus in der Stadt ausgestellt. Die legendäre rote Hose des Pilatus soll zuletzt von einem Erlanger Studenten im Jahr 1820 gesehen worden sein. Zu jener Zeit wollten die Forchheimer das Negativimage, Geburtsort des Gottesmörders zu sein, loswerden und verlegten den Ort des Geschehens auf die andere Seite der Regnitz, nach Hausen, wo es eine Hinrichtungsstätte gab, die früher gleichermaßen von den Bambergern und den Markgrafen genutzt wurde.

Spuren führen nach Frankreich

Später im Krieg gegen Napoleon war der Ort von den Franzosen besetzt, und so konnte man Pilatus buchstäblich nach Frankreich abschieben. Tatsächlich gibt es auch Pilatuslegenden, die ihren Ursprung in diesem Land haben. Bestattet wurde dieser römische Statthalter dann, wie es heißt, im Pilatussee in der Schweiz - oder vielleicht doch am Pilatusberg in Frankreich?

Die Hausener Sage

Während die Forchheimer Pilatussage noch sehr biblisch klingt, erinnert die Hausener Sage mehr an ein Märchen. Das liegt an Friedrich Panzer, der als Ministerialoberbaurat die Bauarbeiten am Ludwigskanal überwachte. Auf seinen Dienstreisen sammelte er Sagen. In seiner Sammlung findet sich auch eine Pilatus-Legende.

Sie nennt zwei Häuser im Ort als Geburtshaus: die Nummer 48 und die Nummer 73. Hier ist einiges unstimmig, denn in Hausen gab es ab 1800 Hausnummern. Sicher ist allerdings, dass die beiden Häuser Stationen des Kreuzweges einer Karfreitagsprozession waren. Laut dieser Sage soll der Bauernsohn Pilatus schon als Knabe große Fähigkeiten gezeigt haben und so wurde er nach Nürnberg in die Goldschmiedelehre geschickt.

Die Pilatus-Legende

Von da kam er über den kaiserlichen Hof in Rom als Gesandter nach Jerusalem und erwarb dort einen solchen Reichtum, dass er bei seinem Geburtsort Hausen eine große Stadt erbauen konnte, der er seinen Namen gab. Aber in dem Augenblick, in dem er sein ungerechtes Urteil über Jesus gesprochen hatte, versank seine Stadt im Abgrund.

Noch heute heißt die Gegend der Pilatusstadt Pilodes. Sollte sich Hausen je so weit vergrößern, "dass ein Hahn unbeschwert in diese Flur gehen kann, so wird er die Turmspitze der Kirche ausgraben und die Stadt wird sich wieder erheben". Wer sich heute das Gewerbegebiet rund um den Pilatus Campus anschaut, könnte vermuten, dass die Auferstehung dieser Stadt tatsächlich unmittelbar bevorsteht.

Doch wie kam Pilatus nach Nürnberg, um dort das Goldschmiedehandwerk zu lernen?

Urheber dieser Geschichte könnte Hans von Aufsess gewesen sein, der Gründer des Germanischen Nationalmuseums. Aufsess wohnte damals im Nürnberger Pilatushaus, das auch eine Kreuzwegstation war. Zudem war in diesem Haus der Sitz des Goldschmiedehandwerks. Aufsess und Panzer, beide Anhänger des Sprach- und Literaturwissenschaftlers Jacob Grimm, kannten sich. Offenbar hatte Hans von Aufsess den Bezug hergestellt und Panzer schrieb es so in seine Sagensammlung, die er Grimm widmete.

Ein weiterer Gefolgsmann von Grimm, Heinrich Runge, schrieb im Schweizer Exil ebenfalls Pilatussagen auf. In seinem Werk wird in Deutschland erstmals Hausen als Geburtsort des Pilatus genannt und nicht mehr Forchheim. Eine Schweizer Sage rankt sich um den dortigen Pilatussee. Dort soll an einem Karfreitag ein purpurner Thron aus der Tiefe des Sees auftauchen, auf dem Pilatus, von Teufeln umgeben sitzt und sich die Hände wäscht. Wer den Wiedergänger erblickt, muss sterben.

Obwohl Gerhard Batz nach wie vor die Pilatussagen erforscht, ist eines für ihn ganz klar:

"Pilatus ist, obwohl es die Sage behauptet, natürlich nicht in Hausen geboren!"

Momentan blickt der Heimatforscher nach Schottland: Auch dort gibt es einen winzigen Ort, in dem Pilatus geboren sein soll. Pontius Pilatus ist eine europäische Legende, das ist unumstritten.