Menschen legen sehr früh in ihrem Leben fest, zu welchen Gruppen sie gehören wollen und welchen nicht. Die eigenen Gruppen zu bevorzugen und die anderen zu diskriminieren, das ist ein Phänomen in vielen Gesellschaften - vor allem, je diverser sie werden.

Die Würzburger Volkswirtschafts-Professorin Andrea Christina Felfe de Ormeno will ab Herbst mit einer großangelegten Studie herausfinden, wie und wann dieses Gruppendenken entsteht, wer es vorantreibt und welche Auswirkungen es für Gesellschaft und Wirtschaft hat.

Hierbei wird sie vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem Förderpreis von zwei Millionen Euro unterstützt.

Frau Felfe de Ormeno, wie sind Sie als Volkswirtschaftlerin auf die Idee gekommen, sich diesem Thema zu widmen?

Felfe de Ormeno: In der Volkswirtschaft wird zunehmend mit interdisziplinärem Blick geforscht. Ich beschäftige mich schon seit mehr als zehn Jahren beispielsweise mit „non-cognitive skills“ der Menschen, also eher weichen Faktoren, und ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft. Seit rund fünf Jahren habe ich den Fokus auf die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund gelegt.

Was sind denn beispielsweise solche „weichen Faktoren“ und wie lassen sich die wissenschaftlich ermitteln?

Felfe de Ormeno: Ich habe vor fünf Jahren beispielsweise schon einmal eine größere Feldstudie mit älteren Kindern gemacht. Da haben wir unter anderem „Entscheidungsspiele“ angewendet: Jeder Teilnehmer hat fünf Euro und muss entscheiden, wie viel er davon Mitgliedern aus seiner Gruppe abgibt - und wie viel er „den anderen“ zu geben bereit ist. Daraus kann man ablesen, ob man auch bereit ist, mit Menschen außerhalb der eigenen Gruppe zu kooperieren, oder ob man es möglicherweise grundsätzlich ablehnt.

Das klingt spannend, aber sehr psychologisch - wo ist da die volkswirtschaftliche Komponente?

Felfe de Ormeno: Volkswirtschaft, das sind ja wir alle, unsere Gesellschaft. Und wenn ich beispielsweise nicht bereit bin, mit bestimmten Gruppen zusammenzuarbeiten - etwa Frauen oder Menschen aus bestimmten Ländern - hat das Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistung. Stellen Sie sich mal einen Chef vor, der Mitarbeiter nur einstellt, sofern ihm deren Nasen passen, und nicht etwa, weil er nach den Kompetentesten sucht ... .

Ihre neue geplante Studie „KIDSNGROUPS“ zielt auch auf den frühkindlichen Bereich ab, warum?

Felfe de Ormeno: Ein Ziel der geplanten Studie ist es, anhand eigens erhobener Daten zu ermitteln, ab wann und weshalb Kinder diskriminieren - oder eben nicht. Diskriminierung ist dabei erst einmal nicht bewertend gemeint, sondern: Kinder teilen ihre Umwelt in Gruppen ein, fühlen sich einigen zugehörig und anderen nicht. Wir wollen wissen, welche Ursachen das hat.

Das liegt am Umfeld, oder nicht?

Felfe de Ormeno: Ja, sicher. Es geht aber auch darum zu verstehen, welche Rolle etwa die Eltern spielen. Nicht nur deren Herkunft oder Bildungsstand, sondern ihr alltägliches Verhalten. Es gibt Eltern, die vermitteln ihren Kindern sehr klare Werte und dulden dabei keine Abweichung. Und es gibt Eltern, die ebenfalls Werte vermitteln, aber die zulassen, dass die Kinder auch von ihrem sozialen Umfeld geprägt werden.

Wie genau wird ihre Studie ablaufen?

Felfe de Ormeno: Wir haben zwei Teilstudien - die eine zielt auf Kita-Kinder und deren Eltern ab, die andere auf Grundschüler ab Beginn der Schulzeit. Wir fangen an mit Familien, deren Kinder erstmals in ein strukturiertes, formales Bildungssystem wie die Kita eintreten. Dabei gilt es herauszufinden, ob es zu diesem Zeitpunkt schon ein diskriminierendes Verhalten gibt. Um möglichst schnell Einblicke in den weiteren Verlauf der Kindheit zu bekommen, erheben wir zusätzliche Daten von Grundschülern. Beide Gruppen sollen in der fünfjährigen Studie drei Mal befragt werden, insgesamt sollen um die 10.000 Kinder und ihre Eltern daran teilnehmen.

Zudem wollen Sie weitere Daten auswerten, etwa die Schuleingangsuntersuchungen - weshalb das?

Felfe de Ormeno: In diesen Untersuchungen werden anhand von Tests die kognitiven, analytischen und motorischen Fähigkeiten der Kinder ermittelt - am Ende gibt es ein Ergebnis, wie ein Kind in seiner Entwicklung dasteht. Das sind belastbare Daten, wie auch später die Schulnoten. Und diese wiederum hängen nach dem Stand der Wissenschaft auch unmittelbar mit dem späteren wirtschaftlichen und beruflichen Erfolg zusammen. Wir wollen nun herausfinden, welche Rolle diskriminierendes Verhalten für die Entwicklung der Kinder spielt.

Ihr Forschungsprojekt soll fünf Jahre dauern - aber im Prinzip ist es auf länger angelegt, oder?

Felfe de Ormeno: Ja, am liebsten würde ich in 25 Jahren - also kurz vor meiner Pensionierung - der Frage nachgehen, inwieweit sich die Ergebnisse aus unserer Studie bemerkbar machen. Also: Was ist aus „unseren Kindern“ geworden, wie macht sich das bei deren beruflichem Erfolg bemerkbar, was wir damals alles zusammengetragen haben. Das wäre mein Wunsch.

Mit welchen Forschungshypothesen starten Sie denn in dieses Projekt?

Felfe de Ormeno: Eine Hypothese - die sich allerdings schon auf vorhandene Studien stützt - ist, dass es einfach diskriminierende Menschen gibt. Denen ist ziemlich egal, was sie von den anderen unterscheidet. Sobald es Unterschiede gibt, gehören sie nicht zu ihnen. Eine andere Hypothese ist, dass Menschen unterscheiden, warum jemand nicht zu ihrer Gruppe gehört - dass also zwischen verschiedenen trennenden Merkmalen gewichtet wird. Offen ist, ab welchem Alter diese ganze Entwicklung anfängt.

Aber ist es nicht schon im Krippenalter so, dass viele Jungs am liebsten mit Jungs spielen und ...

Felfe de Ormeno: ... ja, diese Abgrenzungen gibt es. Aber mit 15 Jahren - das hat meine vergangene Feldstudie gezeigt - gibt es weitere, völlig andere Abgrenzungsgründe. Wir wollen erforschen, wann das anfängt und woher es kommt. Ist es nur das elterliche Verhalten? Welche Rolle spielt das Umfeld, welche die Kita?

Sie sagen, diskriminierendes Verhalten Einzelner ist auch insgesamt ein Problem für den sozialen Zusammenhalt. Wieso?

Felfe de Ormeno: Wir leben heute in einer absolut diversifizierten Gesellschaft. Wenn ich im Kleinen nicht bereit bin, mit „anderen“ zu kooperieren, sie ausgrenze, ihnen nicht vertraue, dann ist das auch gesamtgesellschaftlich ein Problem - dann bröckelt eben der Zusammenhalt. Man kann zwar sagen „Ich bin für Integration“, wenn dann nebenan aber Menschen mit Migrationshintergrund ins leerstehende Haus einziehen, möchte man das nicht. Das ist nicht nur unehrlich, es ist auch schädlich für die Gesellschaft.

Ihr erklärtes Ziel ist es ja auch, nach diesen fünf Jahren Handlungsempfehlungen für die Politik abgeben zu können ...

Felfe de Ormeno: Jede evidenzbasierte Politik, also eine, die sich an Fakten orientiert, braucht dafür eine valide wissenschaftliche Grundlage - die wollen wir liefern. Am Ende der Studie werden konkrete Empfehlungen etwa für die Bildungspolitik stehen. Welche Rolle beispielsweise spielt die Zusammensetzung der einzelnen Kita-Gruppen oder Schulklassen bei der Entwicklung von diskriminierendem Verhalten? Welche Möglichkeiten haben Kita und Schule überhaupt als Korrektiv?

Und was ist mit den Eltern selbst?

Felfe de Ormeno: Nun, ich erwarte, dass am Ende deutlich wird, dass Eltern mit einem sogenannten demokratischen Erziehungsstil ihren Kindern wohl am wenigsten diskriminierendes Verhalten mitgeben. Sie leben ihren Kindern durchaus Werte vor und üben auch Kritik am Verhalten ihrer Kinder - aber sie lassen Kinder ihre eigenen Entscheidungen treffen, beispielsweise auch, mit wem sie befreundet sein wollen und mit wem sie sich abgeben möchten.

Ihre Studie soll erst im Herbst 2021 starten - weshalb nicht gleich?

Felfe de Ormeno: Das ganze Thema ist ja nicht unproblematisch. Erst einmal muss noch die Ethikkommission des ERC ihre Freigabe erteilen. Das ist zwar eine überwindbare Hürde, aber es braucht einfach Zeit. Ich halte das aber für wichtig, schließlich haben wir minderjährige Kinder und ganze Familien als Teilnehmer unserer Studien. Da muss man mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Aber auch die Ergebnisse der Studie können brisant sein, etwa, weil sie vielleicht parteipolitisch missbraucht werden könnten. Da haben wir als Wissenschaftler eine große Verantwortung.