Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder,

was wir glauben ist etwas anderes als das, was wir sehen. Glaube ist etwas Nichtsichtbares, etwas, das gerade auch in unserem Inneren stattfindet. Es hat viel mit Vertrauen zu tun. Wenn ich etwas glaube, fehlt mir immer der letzte Beweis. Denn sonst wäre es Wissen. Die Glaubenslehre der Religionen ist Ausdruck des Vertrauens in etwas Höheres, in Gott, Allah, Jahwe oder die Götter der polytheistischen Religionen. Gläubige Menschen sind sich sicher, fühlen sich geborgen, folgen religiösen Regeln und ethischen Normen – ohne dass es jemals einen empirischen, sichtbaren Beleg geben kann, dass sie Recht haben. Das gilt auch für mich als katholischen Christen: Ich spüre, dass es Gott gibt, fühle gerade auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen seine Gegenwart und Gnade, aber ich kann ihn nicht sehen.

Aus diesem Grund lehnen es manche Religionen oder konfessionelle Strömungen der monotheistischen Weltreligionen auch ab, Gott bildlich darzustellen. Gleichwohl macht sich der Mensch immer ein Bild von allem – er kann gar nicht anders, als sich das, was er nicht sehen kann, bildlich vorzustellen. Das liegt in unserer Natur als Menschen. Wie aber stellen wir uns Gott vor, wenn er in den unterschiedlichen Religionen ganz unterschiedlich beschrieben wird? Was unterscheidet Jahwe und Allah von unserem christlichen Gott? Wie lassen sich Religionen und Glaubenslehren – und auch die ihnen zugrunde liegenden Gedanken, Gefühle und Erfahrungen – darstellen, in Bilder, aber auch in Worte, Collagen oder Fotografien fassen? Das bedeutet eine ganz andere He­rausforderung als die Darstellung von Materie.

Der Evangelische Pressedienst hat jetzt einen Kreativwettbewerb für Schüler ausgeschrieben, in dem es darum geht, Religionen darzustellen, ein Bild von ihnen zu vermitteln. Ein solches Bild muss nicht alles erklären, ist aber dennoch eine Aussage: So sehe ich meine Religion – oder auch die meines Mitschülers oder des Nachbarn, der an Allah oder Jahwe oder einen oder mehrere andere Götter glaubt. Dabei entstehen ganz eigene, niemals gleiche, Darstellungen, die zum Nachdenken einladen und zum Dialog. Durch sie erfährt man mehr über andere Religionen als in allen theologischen Seminaren oder Büchern über vergleichende Religionslehre.

Durch diese Bilder und den daraus entstehenden Dialog lernen wir viel über andere Religionen – vor allem lernen wir auch, sie mit den Augen anderer zu sehen. Sie sind uns dann nicht mehr fremd, werden uns vertraut ohne dass wir jeden religiösen Feiertag, jeden Ritus, jeden Glaubensgrundsatz kennen müssten. Wir erwerben interkulturelle Kompetenz ohne dafür anstrengende Schulungen absolvieren zu müssen. Die Ergebnisse, die Bilder der Religionen finden schließlich Eingang in einem Kalender, der 2016 durch das Jahr, durch alle 52 Wochen führen wird. Jeder Blick in diesen Kalender bietet eine Anregung, ist ein interreligiöses Gesprächsangebot.

Doch bevor es diesen Kalender geben wird, haben die Götter den Schweiß gesetzt. Jetzt gilt es erst einmal, kreativ zu sein, eigene Ideen einzubringen, um die Welt­religionen darzustellen. Das ist eine tolle Aufgabe, eine großartige Herausforderung für jeden Teilnehmer – und ich bin stolz darauf, als Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung die Schirmherrschaft über diesen Wettbewerb übernommen zu dürfen. Ich freue mich auf interessante künstlerische Ergebnisse, auf Denkanstöße, vor allem aber darauf, dass die Kinder und Jugendlichen, die an diesem Wettbewerb teilnehmen in ein Gespräch über Religionen, über das, was uns unterscheidet und das, was uns gemeinsam ist, eintreten. Denn wir alle sind Geschöpfe desselben göttlichen Willens, auch wenn er verschiedene Namen trägt.