Womit haben Sie sich zuletzt beschäftigt?

Pöhlmann: An den beiden letzten Wochenenden war ich zu Besuch bei Pfingstgemeinden, so etwa bei der "International Christian Fellowship" in München. Das ist eine jugendaffine Freikirche mit einer sehr evangelikalen Theologie. Viele Anfragen, die ich bekomme, haben mit dem christlichen Kontext zu tun - also Freikirchen oder Pfingstkirchen. Ich beobachte eine starke Pluralisierung der christlichen Religionsgemeinschaften. Die bayerische evangelische Landeskirche muss sich hier fragen, wie nahe diese Gemeinden an dem evangelisch-lutherischen Bekenntnis stehen. Wir müssen dies im Einzelfall prüfen.

Lassen sich charismatische Bewegungen überhaupt integrieren?

Pöhlmann: Es muss und darf eine Vielfalt der Kirchen geben. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, wo die Grenzen sind. Hier muss theologisch gestritten und diskutiert werden. Meine Aufgabe ist es, den Menschen hier Unterscheidungshilfen zu geben - egal, ob es um Reinkarnation oder Auferstehung geht. Die Esoterik ist längst in der Kirche angekommen.

Esoterik ist in der Kirche angekommen?

Pöhlmann: Beim ersten Taufgespräch, das ich als Pfarrer geführt habe, erzählte mir die Mutter von ihrem Kontakt zu Engeln und Indigokindern, also Kindern, von denen man sagt, sie hätten eine indigofarbene Aura. Auf solche Themen muss man als Theologe reagieren, nicht abwehrend, sondern dialogisch. Ich habe also die christlichen Elemente hineingebracht. Der Taufspruch wurde gewählt, es war Psalm 90, "...denn er hat seinen Engeln befohlen". Zum Thema "Engel" hat der christliche Glaube durchaus etwas zu sagen. Die Esoterik schafft es mit ihrer Marktförmigkeit, immer wieder wichtige aktuelle Themen wie Erziehung oder Ernährung zu besetzen. Als Kirche haben wir manche dieser Themen vernachlässigt. Wir müssen darauf achten, dass unsere Theologie auch Antworten bietet auf Themen und Fragestellungen unserer Zeit.

Die religiöse Landschaft ändert sich?

Pöhlmann: Viele Themen ergeben sich aus den gesellschaftlichen Tendenzen zur Säkulasierung, Pluralisierung und Individualisierung. Das ergibt eine Dynamik, die sich auf die religiöse Landschaft auswirkt. Es bilden sich viele kleine Gruppen, in denen sich Menschen um einen spirituellen Lehrer scharen. Häufig ergibt sich daraus eine hohe Abhängigkeit, die eine Gefahr darstellen kann. Besonders gefährlich wird es, wenn die Menschen zu hörigen und unkritischen Erfahrungsfundamentalisten werden. Dann beginnt die Willkür.

Wie steht es um Verschwörungstheorien?

Pöhlmann: Mich beschäftigt sehr die sogenannte "braune" Esoterik, weil hier viele Verschwörungstheorien mitschwingen. Gerade in letzter Zeit hat diese Szene mit ihren Äußerungen zu Pegida ein Unwort aus der Zeit des Nationalsozialismus, nämlich die "Lügenpresse", wieder hoffähig gemacht. Viele junge Menschen sind offenbar bereit, diesen Verschwörungstheorien zu glauben. Sie sind der Ansicht, dass die Medien schon lange keine Wahrheit verbreiten. Da geht das Vertrauen in eine zentrale demokratische Errungenschaft, nämlich die Presse- und Meinungsfreiheit, offenbar verloren. Und das wirkt sich wiederum auf weltanschaulich-religiöse Belange aus. Es gibt antiinstitutionelle Affekte gegenüber jeglichen organisierten Formen unserer Gesellschaft - egal ob das Parteien oder Kirchen sind. Andererseits sind die Menschen enorm leichtgläubig und sind bereit, hohe Geldsummen für Wahrsager und dergleichen auszugeben. Viele Anbieter nutzen diese Sehnsucht nach Orientierung aus.

Wie reagieren Sie darauf?

Pöhlmann: Wir müssen zunächst wahrnehmen, was es auf diesem "Markt" überhaupt gibt und wie Menschen dies erleben. Dafür spreche ich mit Aussteigern und versuche, mir ein eigenes Bild zu machen - durch die Selbstdarstellung der Gruppen, durch Gespräche. Darüberhinaus gibt es ein sehr gutes ökumenisches Netzwerk, hier tauschen wir uns aus. Die evangelische Kirche ist den Menschen zugewandt. Sie möchte nicht verteufeln, sondern das Leben der Menschen aufmerksam begleiten.

Ihr Vorgänger Wolfgang Behnk stand wegen seiner Stellungnahmen zur Sekte "Universelles Leben" häufiger vor Gericht. Haben Sie das auch schon erlebt?

Pöhlmann: Bisher noch nicht – zum Glück. Natürlich gibt es immer wieder Gruppen, die etwa versuchen, eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Es gibt positive Beispiele von investigativem Journalismus. Der US-amerikanische Journalist Lawrence Wright hat ein Buch über die Scientology-Organisation veröffentlicht, und es gibt einen Dokumentarfilm, der die Verflechtungen zwischen Prominenz und Scientology aufdeckt. Ich hoffe, dass dieser Film nicht nur im US-Privatkanal läuft, sondern auch in Deutschland gezeigt wird, weil man hier einen guten Blick bekommt auf diese Organisation.

Haben Sie mit Scientology zu tun?

Pöhlmann: Ja – bei Anfragen und als Thema von Vorträgen. Ich hatte im vergangenen Jahr ein Gespräch mit dem Pressesprecher der Scientology in Deutschland, Jürg Stettler. Er ist auch Mitarbeiter von OSA, dem "Geheimdienst" der Scientology. Er versuchte mit mir auf Schmusekurs zu gehen und erklärte, es sei doch nicht nötig, dass Scientology vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Ich erwiderte, dass ich es sehr gut finde, weil sich an der Grundstruktur und Organisation von Scientology nichts geändert hat. Ich halte die Beobachtung weiterhin für geboten. Scientology ist aus meiner Sicht keine Religion, sondern eine totalitäre Organisation.

Kann die evangelische Kirche überhaupt Auskunft geben über andere Religionen oder Weltanschauungen?

Pöhlmann: In religiösen Fragen gibt es keine strikte Neutralität und absolute Distanz. Eine vorurteilsfreie oder unabhängige und objektive Beschreibung von Religionen ist nicht möglich. Religiöse Bewegungen müssen in ihrem Selbstverständnis betrachtet werden. Ich wünsche mir eine Auseinandersetzung, die sich an Standpunkten orientiert. Dadurch gewinnt die kirchliche Weltanschauungsarbeit erst ihren Reiz.

Kirche muss also Profil zeigen?

Pöhlmann: Informationen über eine bestimmte Gruppierung oder Weltanschauung kann sich heute fast jeder besorgen. Das heißt aber noch lange nicht, dass dieser Sachverhalt auch eingeschätzt werden kann. Durch die Auseinandersetzung mit anderen Religionen und religiösen Strömungen werden wir an das Eigene erinnert.

Meine Gesprächspartner müssen wissen, wofür ich selbst einstehe. Diese Erfahrung macht jeder im interreligiösen Gespräch. Muslime nehmen einen nicht ernst, wenn man sagt, och, mit der Trinität haben wir selber Probleme. So geht das nicht. Ich muss wissen, woran ich glaube. Erst dann kann ich Gespräche führen und den eigenen Glauben einbringen.

Hat die Kirche hier einen Bildungsauftrag?

Pöhlmann: Wir können die Themen in unsere Gemeindearbeit und die Erwachsenenbildung einbringen. Als Pfarrer habe ich zum Beispiel eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel "Weltanschauung im Gespräch" gestartet. Das war sehr interessant, es kamen Menschen, die sonst nie zu kirchlichen Veranstaltungen kommen. Ich finde, Kirche muss sich öffnen für solche Themen und Position beziehen. Wir müssen uns mutiger, offener und angstfrei diesen Themen stellen. Das wäre Apologetik im positiven Sinn, eine antwortende Theologie, wie sie Paul Tillich meinte.