Für einen besseren Corona-Infektionsschutz handelte die Grundschule am Gerner Platz in Puchheim (Kreis Fürstenfeldbruck) eigeninitiativ: Lehrkräfte und Schulleitung arbeiteten zum Schuljahresbeginn einen klasseninternen gemeinschaftlichen "Werteunterricht" aus, um die Durchmischung der Klassen in Religionslehre und Ethik zu vermeiden.

Laut der Vorsitzenden des Elternbeirats, Tanja Olszak, standen auch viele Eltern hinter dem Konzept. Das Kultusministerium lehnte es ab.

Frau Olszak, wie ist die Stimmung unter den Eltern in Puchheim?

Tanja Olszak: Das Unverständnis über die Entscheidung des Kultusministeriums ist groß. Wir wollen den Religionsunterricht ja überhaupt nicht reformieren oder abschaffen. Das Ministerium bezieht sich auf die Konfessionalität des Religionsunterrichts, die im Grundgesetz verankert ist.

Aber die Pandemie hat ohnehin viele Grundrechte eingeschränkt. Das Ministerium sagt, der Rechtsanspruch liegt bei den Kirchen. Darum würden wir uns ein Einlenken der Kirchen wünschen, nur als Übergangslösung für die Wintermonate. Die Angst vor Infektionen ist groß und berechtigt.

Viele waren verwundert, dass ein streng nach Konfessionen getrennter Religionsunterricht im September überhaupt vom Ministerium vorgeschrieben wurde. In den Monaten seit März haben die Eltern viel geleistet. Sie sorgen sich nun, dass ihre Kinder unnötigerweise wieder daheimbleiben müssen.

Außerdem zählen manche zur Risikogruppe. Überall in der Schule gelten strenge Abstandsregeln, die Kinder gehen sogar über getrennte Aufgänge in die Schule und werden in der Pause streng getrennt - nur im gemeinsamen Religionsunterricht wird das Hygienekonzept unterlaufen.

Religionsunterricht hat nicht nur Verfassungsrang, die Kirchen halten auch aus tief gehenden inhaltlichen Begründungen an ihm fest. Haben die Eltern dafür Verständnis?

Olszak: Ich bin selbst Mutter von drei römisch-katholischen Kindern und schätze den Religionsunterricht sehr. Die Kinder machen tolle Sachen, ich sehe es an den Hefteinträgen. Keiner will ihn abschaffen, die Eltern hängen am konfessionellen Unterricht. Aber wir befinden uns in einer akuten Extremsituation und wünschen uns mehr Rücksichtnahme.

Wir Eltern wollen für die nächsten Wochen einfach ein besseres Gefühl bekommen. Virologen sagen, dass man als Kontaktperson ersten Grades gilt, wenn man eine halbe Stunde mit einem Infizierten in einem Raum war, trotz Abstandsregelung. Es gibt bereits Schulen, an denen wegen dem gemeinsamen Reli-Besuch ganze Jahrgangsstufen in Quarantäne müssen.

Wie fanden Sie die Initiative Ihres Lehrerkollegiums mit dem eigenen "Werteunterricht"-Konzept?

Olszak: Wir als Elternbeirat haben das Konzept niemals angezweifelt, denn oberstes Gebot in den Hygieneplänen ist, eine Durchmischung der Kinder zu vermeiden - was mit einem "Werteunterricht" im Klassenverband am besten hätte gewährleistet werden können.

Ich kann sagen, dass das Konzept große Zustimmung fand. Mittlerweile ist das Thema der Durchmischung im Reli-Unterricht auch an vielen anderen Schulen angekommen und wird von vielen Leuten auch kritisch hinterfragt.

Rechtliche Grundlagen des Religionsunterrichts

Rechtlich begründet ist der Religionsunterricht durch das Grundgesetz (Art. 7 Abs. 3). Darin ist festgelegt, dass Religionsunterricht an öffentlichen Schulen mit Ausnahme bekenntnisfreier Schulen ordentliches Lehrfach ist.

Dieser grundrechtlich garantierte Rang spiegelt sich in den Stundentafeln aller Schularten wider, die überwiegend zwei Stunden Religionsunterricht vorsehen, die "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" erteilt werden. Auch in der Bayerischen Verfassung (Art. 136 und 137) ist der Religionsunterricht verankert.

Daher wird der christliche Religionsunterricht in Bayern beispielsweise in evangelischer, katholischer und orthodoxer Konfession erteilt, wie die bayerische evangelische Landeskirche erläutert.

Während alle anderen Fächer unter Aufsicht des Staates stehen und von diesem organisiert werden, liegt beim Religionsunterricht eine "res mixta" ("gemischte Sache") vor: Er wird vom Staat im Rahmen der schulischen Bildung organisiert, steht aber unter Aufsicht der jeweiligen Religionsgemeinschaft, ist also gemeinsam verantwortet.

Die rechtliche Grundlage für den Religionsunterricht beruht auf der Wahrnehmung der positiven Religionsfreiheit (Art. 4 GG), die für alle Mitglieder einer anerkannten Religionsgemeinschaft gilt.

Gleichzeitig ist auch die negative Religionsfreiheit verfassungsrechtlich verankert: So können Erziehungsberechtigte nicht gezwungen werden, der Teilnahme ihrer Kinder an einem ihren Glaubensüberzeugungen widersprechenden Unterricht zuzustimmen.

In Bayern hat im vergangenen Schuljahr 2019/20 jedes fünfte Schulkind den evangelischen Religionsunterricht besucht. Insgesamt nahmen laut Landeskirchenamt 323.000 Schülerinnen und Schüler teil, etwa 8.000 weniger als im Vorjahr.

Gemäß den Vorjahreszahlen geht das Landeskirchenamt davon aus, dass wieder etwa 50.000 nicht-evangelische Schüler - auf Antrag ihrer Eltern - den evangelischen Religionsunterricht besucht haben.