Eigentlich ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein, stellt Martin Kunz fest. Der Leiter des Marianne-Leipziger-Hauses für seelisch kranke Menschen in Nürnberg ist trotzdem froh über die 40 neuen kleinen Stadtwohnungen, die die Stadtmission Anfang Oktober einweihte.

Für drei Bewohnerinnen und Bewohner seiner Einrichtung sind die Wohnungen in der Züricher Straße sogar wie ein Lottogewinn: "Sie sind überglücklich." Dazu gehört die 25-Jährige Selina R., die in Nürnberg ein Jahr lang vergeblich nach einer eigenen Wohnung gesucht hat.

Wohnungsknappheit in Nürnberg

Nach zwei Jahren müssten seine Klienten aus dem Marianne-Leipziger-Haus mit seinen 26 Plätzen üblicherweise ausziehen und sollten selbstständig oder ambulant betreut wohnen. Aber bereits ein Jahr vor dem möglichen Umzug beginnt für sie und die Betreuer der Stress mit der Wohnungssuche.

"Die Wohnungsknappheit ist ein riesengroßes Problem", sie treffe die Schwachen besonders hart: "Die Wartelisten bei den Wohnungsbaugesellschaften sind immens."

Immer weniger Sozialwohnungen

Der Bestand an Sozialwohnungen ist seit Jahren rückläufig.

Das Evangelische Siedlungswerk Bayern rechnet aus, vor rund 30 Jahren habe es in Bayern noch 495.240 Sozialwohnungen gegeben. 2014 waren es nur noch 147.000, Ende der 1980er Jahre gab es um die 60.000 Sozialwohnungen in Nürnberg, heute sind es noch etwa 18.000.

Auf der Warteliste für eine erschwingliche, sozial geförderte Wohnung stünden derzeit gut 8.500 Haushalte. Nur rund 1.100 Sozialwohnungen seien 2017 in Nürnberg an Wartende vermittelt worden.

Herausfordernde Wohnungssuche

Kein Wunder also, dass bei der Besichtigung einer bezahlbaren freien Wohnung in Nürnberg schon einmal 200 Bewerber Schlange stehen. Für Kunz' Schützlinge keine leicht zu bewältigende, angstbesetzte Situation.

Und sie sind auch nicht diejenigen, die viele Leute kennen, die von einer freien Wohnung wissen. Daher heißt es dann für die Bewohner des Marianne-Leipziger-Hauses nach der Therapie und erfolgloser Wohnungssuche oft, dass sie zurück zu den Eltern ziehen oder mit Glück ein Zimmer in einer betreuten WG finden.

Überlastung des Hilfsangebots 

Es gibt also kaum freie Sozialwohnungen und zudem ist das Hilfesystem "längst verstopft", sagt Thomas Heinze, der die Obdachlosenhilfe der Stadtmission leitet und mit seinem Team 500 Frauen und Männer pro Jahr betreut.

Die Verweildauer in den Nürnberger Notunterkünften und Obdachlosenpensionen steige jedes Jahr, sagt er: "Aus Sleep-Ins für Wohnungslose sind Dauerpensionen geworden."

Auch Hilfesuchende, die in Übergangswohnungen der Stadtmission einziehen, bleiben statt vormals ein oder zwei Jahren inzwischen drei bis vier Jahre, bis sich überhaupt mal eine Chance auf einen eigenen Mietvertrag auftut.

"Wir können Menschen, die sich gerade stabilisiert haben, ja nicht einfach wieder auf die Straße setzen", konstatiert Heinze. Er betreue Menschen zum Teil mehr als drei Jahre, bis sie wieder einen festen, eigenen Wohnsitz haben. Andere Hilfesuchende hätten deshalb keine Möglichkeit nachzurücken.

Wohnraum und Privatsphäre - ein Menschenrecht

Ein weiteres Problem komme dazu: "Die Menschen, die aus der Wohnungslosigkeit nicht herausfinden, werden immer älter."

Spezielle Angebote für wohnungslose, eigentlich pflegebedürftige Klientinnen und Klienten gebe es im Prinzip nicht, stellt Heinze fest: "In Würde alt werden, ohne Zuhause, in voll ausgelasteten Obdachlosenpensionen, das funktioniert nicht."

Das Recht auf Wohnen sei ein Menschenrecht, der Schutz der Menschenwürde ein Grundrecht, erläutert Heinze: "Mit einem trockenen Bett zum Schlafen allein ist das nicht gemacht."

Wer keinen geschützten Rückzugsort, keine Privatsphäre, keinen Ort der Selbstbestimmung - all dies nicht mehr habe, müsse extrem viel innere Kraft aufbringen, um sich nicht auch selbst aufzugeben, sagt er.

Das Wohnungsprojekt der Stadtmission

Das "sozialraumorientierte Wohnprojekt" der Stadtmission bietet Platz für 20 Klientinnen und Klienten ambulanter und stationärer Reha- und Übergangseinrichtungen der evangelischen Stadtmission.

20 weitere Wohnungen sind für Mitarbeitende, Auszubildende und Leute mit niedrigen Einkommen oder sonstigen Vermittlungshemmnissen vorgesehen.

Eine Sozialpädagogin ist für die Bewohner da und soll Verbindungen zur Nachbarschaft, Kirchgemeinden und dem Quartiersmanagement aufbauen, heißt in einer Mitteilung.

Mit einer Wohnung in der Züricher Straße, würden Menschen, die sich selbst lange als Hilfeempfänger erlebt haben, raus aus dem Teufelskreis prekärer Lebensverhältnisse kommen, stellt Stadtmissions-Vorstand Matthias Ewelt fest.

Appell an Kirchen und Träger: mehr bezahlbarer Wohnraum 

Martin Kunz wünscht sich, dass auch andere Träger oder die Kirchen mehr bezahlbare Wohnungen schaffen.

Er appelliert auch an die Kirchen, in Erbpacht genossenschaftliches Bauen zu ermöglichen. Auch Stiftungen könnten das tun, sagt Kunz.

Er denkt dabei an das "Leuchtturmprojekt" in Hersbruck (Landkreis Nürnberger Land), das Sebastian-Fackelmann-Haus. Hier wohnen Menschen verschiedenen Alters, mit und ohne Behinderungen, in 16 barrierefreien Wohnungen: "Das ist ein voller Erfolg, der schon Nachahmer gefunden hat."