Die iranisch-amerikanische Autorin Dina Nayeri ist über die Verschlechterung des Zusammenlebens von Flüchtlingen und Einheimischen besorgt. Statt sich über die Art und Weise eines guten Zusammenlebens Gedanken zu machen oder über den gemeinsamen Umgang mit Ressourcen, stehe wieder öfter die Aufnahmebereitschaft an sich infrage, bedauerte Nayeri bei einer virtuellen Pressekonferenz zur Verleihung des diesjährigen Geschwister-Scholl-Preises.

Die Auszeichnung an Nayeri für ihr Buch "Der undankbare Flüchtling" solle deshalb auch aufrütteln, sagte Michael Then, Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und einer der beiden Jury-Vorsitzenden.

"Immer mehr Herzen verschließen sich in alarmierender Weise", bedauerte die Autorin. Es sei leicht, einer großen anonymen Gruppe - "den anderen" - die Schuld an eigenen ökonomischen Problemen oder Verlustängsten zu geben. Außerdem würde auch durch die sozialen Medien heutzutage jede Art von Meinung schnell verbreitet, so dass jeder Bestätigung für seine eigenen Gefühle finde. Für die Aufnahme in eine Gesellschaft werde außerdem Dankbarkeit von den Migranten eingefordert, sowie der künftige Verzicht auf die eigene Identität und Kultur erwartet.

Nayeri bekommt Geschwister-Scholl-Preis

"Der undankbare Flüchtling" richte sich an die Menschen in den Aufnahmeländern. Das Buch solle helfen, dass Migranten geglaubt werde - wofür sie oft den Rest ihres Lebens kämpfen müssten, so Nayeri. Wer in einer westlichen Gesellschaft geboren sei und dort lebe, dessen Stimme zähle etwas. Dadurch könnten diese Menschen Flüchtlingen helfen, denn "Flüchtlinge haben keine Stimme". Durch ihr Buch wolle sie zeigen, wie ähnlich die Geschichten und Gedanken aller Menschen letztlich seien. Nayeri wurde 1979 während der Islamischen Revolution im Iran geboren und emigrierte als Zehnjährige in die USA. Sie studierte in Princeton und Harvard und lebt heute in Paris.

Das Buch mache die vielen Kämpfe der Flüchtlinge bis zu einer endgültigen Akzeptanz in den Ankunftsländern deutlich, sagte Anton Biebl, Kulturreferent der Landeshauptstadt München und ebenfalls Jury-Vorsitzender. Rund 80 Millionen Menschen befänden sich derzeit weltweit auf der Flucht vor bewaffneten Konflikten, schweren Menschenrechtsverletzungen oder einem Leben ohne jede Entwicklungsmöglichkeit. Dina Nayeri erinnere uns an unsere soziale Verantwortung gegenüber diesen Menschen, sagte Biebl. Ihr Buch sei ein Plädoyer, die Würde eines jeden Menschen anzuerkennen.

Vor allem die Ungewissheit sei für Flüchtlinge zermürbend, berichtete Nayeri. Wer nicht wisse, wie es weitergehe, wann Anträge bearbeitet würden, wer ohne Arbeit oder Schulunterricht lebe, verliere immer mehr den Anschluss an die Gesellschaft. Die aktuelle Corona-Pandemie verschlimmere die Situation der Flüchtlinge noch. Bürokratische Prozesse gingen nicht voran, Helfer von Nicht-Regierungssituationen könnten teilweise nicht mehr vor Ort in den Flüchtlingslagern sein. Außerdem seien öffentlich zugängliche Einrichtungen wie Grünanlagen, aber auch Bibliotheken vielerorts geschlossen.

Auch Hans und Sophie Scholl seien während der Zeit des Nationalsozialismus aufgestanden, um anderen zu helfen, sagte Nayeri in ihrer Dankesrede. Mit soviel Mut und Ehrlichkeit in Verbindung gebracht zu werden, bedeute ihr viel. Mit dem mit 10.000 Euro dotierten Geschwister-Scholl-Preis wird den Angaben zufolge jährlich ein Buch gewürdigt, "das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen und intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben". Verliehen wird der Preis von der Landeshauptstadt München und dem Börsenverein.

Der undankbare Flüchtling

Von Dina Nayeri

Dina Nayeri wurde als Tochter eines Arztehepaars in Isfahan geboren. Sie wuchs in einem wohlhabenden Viertel auf, in einem Haus mit Swimmingpool und Garten, inmitten von Familie und Verwandten. Weil die Mutter zum Christentum konvertierte, mussten sie aus dem Iran fliehen und den geliebten Vater zurücklassen. Nach mehreren Stationen bekamen sie Asyl in den USA, Nayeri studierte an den besten Unis und wurde im Laufe der Jahre zu einer hoch gebildeten, erfolgreichen Vorzeige-Migrantin. Und trotzdem blieb sie vor allem eines: ein Flüchtling.


Original: The Ungrateful Refugee

Aus dem Englischen von Yamin von Rauch

Format: 14,5 x 21,5 cm

400 Seiten

ISBN: 978-3-0369-5822-4

1. September 2020 

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