Du klopfst Dir den Schnee von den Füßen, ziehst die schwere Tür auf. Riechst die kalten Steine und die Luft, in der andere ihren Glauben aussprechen und über das schweigen, was sie fürchten. Die glatten alten Holzbänke mit den schwarzen Haken. Gesangbücher mit Bändern, gewellt, weil eine Konfirmandin sie geflochten hat, während die Predigt mal wieder endlos wurde.

Kirche am Sonntagmorgen, manchmal auch am Dienstag am späten Nachmittag, während ich auf jemand warte.

Ich kratz die Scheibe frei, meine Finger sind kalt, ich lass mich auf den Sitz fallen. Immer die gleiche Musik im Radio, sogar nachts um kurz vor elf. Der Gute-Laune-Happy-Verkehr-Feierabend-Urlaub-Gewinnspiel-Sender. Wie es mich nervt. Jetzt auf einmal die Synthesizer-Töne, die immer um diese Uhrzeit kommen. Der Moderator hat gewechselt. Es geht jetzt um Momente, Licht, Alltag, immer dasselbe irgendwie, aber genauso auch tröstlich, weil es so verlässlich ist. Ab und zu trifft mich eines dieser Worte, fast gegen meinen Willen. Begleitet mich nachts bis nach Hause, bis ich wieder ankomme.

Kirche zwischen dunklen Straßen und hellen Laternen aus dem Autoradio.

Der Religionsunterricht besteht im Homeschooling auf einmal aus Hörspielen, statt aus Arbeitsblättern. Ich schneide nebenbei die Karotten für das Mittagessen, Deine Tochter malt nebenbei ihr Heft aus. Die Pfarrerin erzählt die Geschichte von der Eselin, die auf einmal stehenblieb und nicht mehr weiterging. Weil sie einen Engel gesehen hat, mitten auf dem Weg. Sprechen kann das Tier auch noch und die Qualität des Hörspiels liegt weiter hinter allen YouTube - Videos, Podcasts und Kindersendungen, die man sonst so über den eigenen Schreibtisch hinweg hört. Aber am Schluss hört man eine Klangschale und es ist, als ob man die Kerze sehen kann, die am anderen Ende gebrannt hat. Der Engel schiebt sich trotzig in Deine Gedanken und sagt, bleib doch Du auch mal stehen.

Kirche zwischen Kartoffelsuppe und Schulbüchern, Freitagvormittag.

Wir gehen spazieren, endlich haben wir es mal wieder geschafft. Mit dem Kaffee in der Hand und der kleine Campingbus im Westpark verkauft jetzt auch Crêpes zum Mitnehmen. Wir reden über alles Wichtige und über das, was wichtiger wird als alles andere. Beten gehört nicht dazu. Aber das Gefühl, nicht einschlafen zu können, wenn man nachts aufwacht vor lauter Angst. Keine Ruhe zu finden, weil das Leben so unübersichtlich ist. Ich erzähl ihr von dem Gebet, das ich letztens gehört hab: "Du in mir" sagst Du beim Einatmen, "Ich in Dir" beim Ausatmen. Es muss schon alt sein, wahrscheinlich von irgendeiner heiligen alten Frau oder einem mystischen Mönch. Für mich klingt das Gebet nach Schwyzerdütsch und braunen Locken, weil die junge Frau in dem Video mir so eindrücklich davon erzählt hat. Es war irgendeines dieser vielen Videos, in die man sich reinklickt auf Instagram.

Kirche im Westpark, mit Crêpes und Kaffee. Digitale Kirche, draußen, egal wo.

Die digitale Kirche ist in meinem Alltag angekommen, eigentlich ist sie ein fester Teil meines Alltags geworden. Ein zufälliger, einer, in den ich eintauchen kann, wenn ich möchte. Morgens mit einem Blick auf die Losung, die eine Theologin jeden Tag illustriert und in meine Sprache übersetzt. Am frühen Abend, wenn ich dringend meinen Text fertig schreiben müsste. Ich lese den Blog einer Kollegin, die es fast immer schafft, dass Schildkröten, etwas zu essen und der Abwasch in ihren Texten vorkommen. Sie trifft genau die Saiten in mir, die ich gerade krampfhaft festhalte, damit sie nicht so laut klingen.

Nicht immer kann ich mit so viel Berührung umgehen, mit so vielen bedeutungsvollen Texten, Bildern, Andachten, Fragen, die mir auf Instagram, Twitter in Blogs und Videos entgegenkommen. Manchmal wird es mir zu viel und es setzt mich unter Druck. Glaube ich genauso viel? Sollte ich auch vor einer Beerdigung immer beten in der Sakristei? Meistens quatsche ich da mit dem Bestatter und er fragt, ob ich ein Mikrofon brauche und sagt, dass ich ja noch sehr jung sei. Ich muss dann lachen und sage, dass ich von alleine älter werde. Dann gehe ich raus, schaue in die Gesichter der Menschen, die vor der Urne stehen. Ich schaue in den Himmel. #Abschiednehmhimmel, denk ich. Das schreiben die Kolleg*innen auf Instagram immer, wenn sie auf dem Friedhof ankommen. Ich denk’s und fühl mich ein bisschen getragen.

Ist das diese ominöse "Gemeinschaft der Ordinierten", von der meine Vorgesetzten manchmal reden? Ja, vielleicht: Das Gefühl, dieses Amt, diese Verantwortung, die Arbeitszeiten, die Angst, die Liebe, nicht alleine schultern zu müssen. Die Vergewisserung, dass andere sich dieselben Fragen stellen. Ich glaube, auch deshalb sind so viele Pfarrer*innen auf Instagram und Twitter so aktiv. Und nicht nur die: Auch Diakon*innen, Religionspädagog*innen, katholische Pastoralassistent*innen, Ordensschwestern- und brüder, Mesner*innen und Kirchenpfleger*innen.

Sie zeigen ihre Sicht auf Ihren Beruf, aber genauso auch einen Teil ihres Alltags - ihren Vorgarten, nannte eine Kollegin und Freundin das mal. Und ja, nicht zu vergessen: Auch Freundschaften entstehen in dieser digitalen Kirchenwelt. Weil man ganz schön viel voneinander mitbekommt - Überforderung, Freudensprünge und manchmal auch Wutausbrüche. Und so wie in einer ganz "normalen Gemeinde" gibt es auch dort Menschen, die mir näher sind und welche, die ich eher aus der Ferne beäuge. Nicht zu allen Themen und Fragen will ich was sagen, manches verkneif ich mir lieber.

Die schönsten Momente entstehen für mich immer dann, wenn ich merke, dass gerade die Grenzen zwischen denen, die beruflich für die Kirche arbeiten und denen, die "einfach so" über Gott nachdenken, unbedeutend werden.

Weil wir zusammen in dieser Kirche sind, jetzt gerade. In Düsseldorf, Kiel, Dresden, Gütersloh und Garmisch-Partenkirchen. Wir schieben die schweren Holztüren auf und singen ein Taizé-Lied. Da braucht man kein Gesangbuch. Kerzen zünden wir auch an, jede da wo sie ist. Den Bildschirm zwischen uns habe ich schon fast vergessen.