Die Stühle hochgestellt, der Tresen verwaist: Im Restaurant "Einstein" ist es zurzeit genauso still wie in allen anderen Münchner Gaststätten. In der Küche herrscht dennoch Betrieb: Die Mannschaft von Betriebsleiter Yaakov Sellem kocht hier koscheres Essen für den Kindergarten und die Schule des Jüdischen Zentrums im Herzen der Stadt.

Restaurant Einstein: Das einzige glatt koscher Restaurant im Umkreis von 400 km

Vor Corona ließen sich etwa 80 Gäste pro Abend im Einstein Hummus und Schowarma schmecken. "Israelische Küche liegt im Trend", erklärt Sellem, "viele Münchner kommen, um das mal auszuprobieren". Für andere Gäste ist das Restaurant im Jüdischen Zentrum am Jakobsplatz ohnehin die einzige Option. "Es gibt im Umkreis von 400 Kilometern kein anderes glatt koscher Restaurant außer uns", sagt er. Jüdische Geschäftsreisende oder Touristen, die streng nach den Speiseregeln ihres Glaubens leben, können nur hier guten Gewissens essen gehen. Oder sich eine Mahlzeit ins Hotel liefern lassen, verpackt, versiegelt und mit Stempel versehen: garantiert koscher.

Koscheres Essen: Milch und Fleisch sind strickt getrennt

Dafür sorgen das Rabbinat der Israelitischen Kultusgemeinde, unter dessen ständiger Aufsicht das Einstein steht, und der Maschgiach. Dieser Aufseher wacht in der Küche darüber, dass die "Kaschrut", die jüdischen Speiseregeln, genau eingehalten werden. Das geht schon beim Einkauf los: Gemüse und Obst sind von Haus aus koscher, und auf Milchprodukte, die nicht gleichzeitig mit Fleisch verzehrt werden dürfen, verzichtet das Einstein von vornherein. "Es gibt kein jüdisches Restaurant, das milchig und fleischig zugleich anbietet", sagt Sellem - diesen Aufwand trieben nur manche Hotels in Israel, mit zwei getrennten Küchen und markiertem Geschirr. Doch schon bei Teigwaren wie Nudeln wird es kritisch. Was wurde in der Fabrik noch produziert? Könnten Spuren von Ei im Teig gelandet sein, und war dieses Ei koscher?

Besondere Sorgfalt beim Fleisch

Ganz genau muss beim Fleisch hingeschaut werden. Da der Verzehr von Blut im Judentum verboten ist, müssen Tiere - nur Wiederkäuer mit gespaltenen Hufen sind erlaubt - geschächtet werden. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Lunge in einwandfreiem Zustand war - dann ist das Fleisch "glatt koscher". "Es geht darum, dass das Tier zu 100 Prozent gesund war", erläutert Sellem die Regeln. Restaurants wie das Einstein erfüllten mit der strengen Einhaltung dieser Regeln den höchsten Standard von koscher: "Hier kann jeder unbesorgt essen, egal wie streng er seinen Glauben lebt."

Doch auch im Küchenbetrieb selbst ist der Maschgiach unerlässlich. "Der Koch kann sich nicht einfach Salat aus der Kühlung holen oder Eier aufschlagen", erklärt Sellem. Weil orthodoxe Juden keine Insekten essen dürfen, wird jedes einzelne Salatblatt auf versteckte Läuse oder Raupen kontrolliert, bevor es auf dem Teller landet. Und die Eier fürs Omelett schlägt der Maschgiach gleich selbst auf: Ist im Eigelb eine Spur von Blut, darf der Koch es nicht verwenden.

Besondere Ausbildung für Lebensmittelkontrolleure

Ausgebildet wird ein solcher Lebensmittelkontrolleur an speziellen jüdischen Schulen, die renommiertesten davon in Israel oder Großbritannien. Nicht nur koschere Restaurants brauchen einen Maschgiach, auch in Lebensmittelfabriken ist diese Berufsgruppe nötig. In den USA beispielsweise, wo jüdisches Leben viel stärker verbreitet ist als in Deutschland, liegen als koscher ausgewiesene Lebensmittel selbstverständlich in den Supermarktregalen. Dort sorgen die strengen Blicke der Maschgichim schon in den Fabriken dafür, dass alles regelkonform das Band verlässt.

Man darf sich den hektischen Küchenbetrieb im Einstein wohl wie ein Pas-de-deux zwischen Koch und Maschgiach vorstellen: Der eine darf zwischen Schneiden, Braten, Würzen nicht vergessen, dass er das Fleischbrett nicht für Fisch verwendet und sich im richtigen Moment die Hände wäscht. Der andere muss neben all den Speisevorschriften auch noch die Grundzüge der Kochkunst beherrschen - denn ein schlecht getrenntes Ei zerstört den schönsten Eischnee. "Nicht-jüdische Köche brauchen ein bisschen Zeit, bis sie das können", sagt Sellem über den virtuosen Tanz in der Küche. Und ein junger Maschgiach arbeite immer erst mit einem erfahrenen zusammen, um die Abläufe einer modernen Restaurantküche zu lernen.

Jüdisches Restaurant: Kein Straßenverkauf während Corona

Im Lockdown hat es das Einstein schwerer und leichter zugleich als andere Restaurants. Leichter, weil die Jüdische Gemeinde die fehlenden Einnahmen überbrückt. Schwerer, weil Sellem wegen der strengen Sicherheitsbestimmungen keinen Straßenverkauf anbieten kann - ins Einstein kommt nur rein, wer die Schleuse des Jüdischen Zentrums passiert hat. Außerdem fällt durch die fehlenden jüdischen Touristen und Geschäftsleute ein wichtiger Teil der Zielgruppe weg. Bleiben nur die Bestellungen aus der Mitte der Jüdischen Gemeinde: "Tscholent", den traditionellen Eintopf zum Warmhalten für Schabbat, gibt es im Einstein auf Vorbestellung.

Kein Pessachfest im Einstein

Besonders bedauert der Restaurantleiter, dass das Sedermahl am Vorabend des Pessachfests, das am 4. April geendet hat, auch dieses Jahr kein Highlight war. Normalerweise ist an diesem Abend mit seinen traditionellen Speisen - von Mazzen bis Lamm - der Gastraum rappelvoll. In diesem Jahr blieben die Stühle hochgestellt. "Kaschern mussten wir trotzdem", sagt Yaakov Sellem schulterzuckend. Der Großputz vor dem Pessachfest dient dazu, jeden Krümel Mehl oder Teig aus der Wohnung zu verbannen - so erinnern die Juden an die Flucht der Israeliten aus Ägypten. Sogar das Geschirr wird ausgetauscht: Erst dann ist alles "pessach-koscher".

Wie die meisten Gastronomen sehnt Yaakov Sellem den Tag herbei, wenn er unter dem großen Einstein-Poster wieder Gäste begrüßen und mit dem jüdischen Trinkspruch "Le chaim!" auf das Leben anstoßen kann. Natürlich mit koscherem Wein.