Die Duisburger Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union DITIB war wohl bundesweit die erste in der Corona-Zeit, die am 20. März den Gebetsruf ertönen ließ.

Ermuntert von den benachbarten Kirchen sei er nun täglich um 19 Uhr gemeinsam mit dem Läuten der Glocken als Zeichen der Solidarität zu hören, sagt Hülya Ceylan, Vorsitzende des DITIB-Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen. Hannover, Dortmund und Wuppertal mit alleine 18 Moscheevereinen, München und zahlreiche andere Orte folgten dem Beispiel. Manche ließen den Ruf des Muezzin speziell für den islamischen Fastenmonat Ramadan zu.

Gebetsruf in einigen Städten zu hören

Mit den Anfragen für den islamischen Gebetsruf gehen Städte und Kommunen unterschiedlich um: Köln gewährte der DITIB-Zentralmoschee und anderen Moscheen den Gebetsruf - Bremerhaven und das hessische Haiger beispielsweise nicht, wo es bei der Frage zu einer Facebook-Debatte zwischen der dortigen CDU und dem Ausländerbeirat kam.

Auch die Stadt Mannheim lehnte die Bitte der islamischen Gemeinden nach einem Gebetsruf vom Minarett der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee ab. Es brauche zuerst eine öffentliche Diskussion zum Gebetsruf, erklärte der Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD).

Dies sieht die evangelische Pfarrerin Ilka Sobottke, Vorsitzende der Christlich Islamischen Gesellschaft Mannheim und Wort zum Sonntag-Sprecherin anders: "Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür, dass wir diesen Ruf nicht schon längst hören." Muslime hätten das gleiche Recht, diesen Ruf erklingen zu lassen, wie Christen das Recht hätten, die Glocken zu läuten.

Muezzinruf rechtlich erlaubt

Rechtlich gesehen ist ein Muezzinruf per Lautsprecher prinzipiell erlaubt. "Allerdings muss man im Einzelfall verschiedene Grundrechte und Interessen abwägen", erklärt der Erlanger Rechtsprofessor Mathias Rohe: Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und auch negative Religionsfreiheit - also das Recht nicht mit Religion konfrontiert zu werden - gegeneinander abgewägt werden, so der Experte für Islamisches Recht.

Islamisches Glaubensbekenntnis wird ausgerufen

Wenn die Muezzins die Gläubigen zum Gebet aufrufen, zitieren sie unter anderem das islamische Glaubensbekenntnis, in dem es heißt: "Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Allah gibt und Muhammad sein Gesandter ist."

Es geht also auch um die Frage, ob von der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft in einer pluralen Gesellschaft verlangt werden kann, eine solche Glaubensbekundung auszuhalten oder nicht.

Immer wieder wird von muslimischer Seite betont, dass der Gebetsruf erschallt, um in der herausfordernden Zeit ein gesellschaftliches Zeichen der Solidarität zu setzen.

Doch nicht überall scheint angekommen zu sein, dass es sich bei dem Gebetsruf oft verbunden mit gemeinsamen Glockengeläut um eine christlich-muslimische Solidaritätsaktion handeln soll. Für manche Muslime scheint der laut vernehmbare Ruf eher ein Zeichen des Triumphs für ihre Religion zu sein.

Gebetsruf als "Triumph für den Islam"?

So finden sich beispielsweise unter einem YouToube-Video, das bereits mehr als 276.000 Aufrufe hat und den ersten Gebetsruf vom Minarett der Zentralmoschee in Duisburg-Marxloh festgehalten hat, mehr als 1.500 Kommentare - darunter zahlreiche Stimmen, die Gott für den Gebetsruf preisen.

Ein Benutzer unter dem Pseudonym Great Expectations schreibt auf Türkisch, er hoffe, dass sich Deutschland zum Islam bekehrt. Dafür erhält er mehr als 150 Likes, zahlreiche weitere Bittgebete und Wünsche, dass Deutschland und Europa islamisch würden, schließen sich an.

"Natürlich ist es sehr wichtig, in der Krise zusammenzustehen", sagt Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Doch ob der lautsprecherverstärkte islamische Gebetsruf tatsächlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitrage, bezweifle er.

Eine solch politisch brisante Entscheidung, die nach der Pandemie vielleicht in manchen Fällen schwer revidierbar sei, sollte nicht im Windschatten der Krise vorgenommen werden. Dafür brauche es eine breite gesellschaftliche Debatte und Zustimmung.

Was ist der islamische Gebetsruf Adhan?

Die Aufforderung zum Gebet im Islam (Arabisch: Adhan, Türkisch: Ezan) wird traditionell vom Minarett einer Moschee von einem Muezzin auf Arabisch gerufen. Sie ist Teil des fünfmal täglichen islamischen Pflichtgebetes sowie des Freitagsgebetes.

Der arabische Gebetsruf nach sunnitischer Tradition lautet auf deutsch: "Gott (Allah) ist am größten. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott. Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist. Kommt zum Gebet. Kommt zum Heil."

Ein zweiter Gebetsruf findet in der Moschee direkt vor Beginn des Gebets statt. Wenn ein Muslim alleine betet, muss er keinen Gebetsruf vollziehen.

Die vier sunnitischen Rechtsschulen des Islam sind sich darüber einig, dass der Ruf zum Gebet eine verpflichtende Vorstufe des gemeinschaftlichen Gebetes ist.

Der erste Gebetsruf in der Geschichte des Islam soll von Bilal al-Habaschi, einem engem Vertrauten des Propheten Mohammed, im Jahr 622 oder 623 nach Christus gerufen worden sein.

In Deutschlands wird meist im Inneren der Moschee in Zimmerlautstärke zum Gebet gerufen. Nach einer erfolgreichen Klage im Jahr 1985 war die Fatih-Moschee im nordrhein-westfälischen Düren die erste in der Bundesrepublik, von der ein Muezzin dreimal täglich per Lautsprecher zum Gebet auffordern kann.

Mittlerweile ist der lautsprecherverstärkte Gebetsruf an mindestens 30 Moscheen bundesweit eingeführt.

Da während der Corona-Pandemie Moscheen geschlossen bleiben mussten, wurde an zahlreichen weiteren Orten der Muezzinruf per Mikrofon für diese Zeit erlaubt.