Das Oktoberfest ist ein Phänomen. Fast das ganze Jahr über hört und sieht man nichts von dem Riesenevent. Auf der Theresienwiese rutschen Skater über den Asphalt, ein paar Kinder spielen Fußball. Doch dann, mit einem Schlag, strömen innerhalb weniger Tage rund sechs Millionen Menschen auf das Gelände. Innerhalb kürzester Zeit vertilgen sie aus großen Krügen literweise das Bier, stellen sich auf Bierbänke und grölen Lieder. Oder sie wanken in ein Fahrgeschäft und lassen sich durch die Luft schleudern.

"Die Festwiese, die größte, glaub ich, der Welt, ist herrlich anzuschauen, alle Münchner sind lustig, diese Stadt ist wie gemacht für Feste; feiert sie, zeigt sie ihr wahres Gesicht",

schrieb die Schauspielerin Erika Mann nach ihrem Besuch. Tatsächlich lockt das Volksfest jedes Jahr rund sechs Millionen Menschen an. 2010 feierte die Landeshauptstadt 200 Jahre Oktoberfest.

König Ludwig I. feierte Hochzeit mit Prinzessin Therese

Seinen Ursprung nahm das Oktoberfest am 12. Oktober 1810: Damals feierte Kronprinz Ludwig, der spätere König Ludwig I., seine Vermählung mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Die bereits damals als "Volksfest" bezeichneten Feierlichkeiten in der Innenstadt wurden am 17. Oktober 1810 mit einem Pferderennen auf einer Wiese vor den Toren der Stadt beendet - daher auch der Name "Theresienwiese". Wegen den Cholera-Epidemien und den Kriegs- und Nachkriegsjahren fielen bis heute insgesamt 24 Feste aus.

In den ersten Jahren des Oktoberfestes brachte man seine Brotzeit selbst mit und bekam sein Bier noch vom Fass. 1871 erfand der Festwirt Schottenhammel ein stärkeres Bier namens Märzen. Bis heute enthält das Wiesnbier mehr Alkohol als herkömmliches Münchner Bier. Statt einiger Kreuzer kostet eine Maß, die inzwischen aus Containern gezapft wird, allerdings inzwischen mehr als zehn Euro - und wer die Damen beobachtet hat, die bis zu zehn Krüge gleichzeitig an den Tisch schleppen, rundet den Betrag meist freiwillig noch auf.

Oktoberfest: Bierpreis erhöht sich jedes Jahr

Wenn sich auch der Bierpreis erhöht hat: An Traditionen mangelt es dem Oktoberfest nicht. Das beginnt mit dem berühmten Ausruf "O'zapft is" des Oberbürgermeisters, wenn er - mit nur drei Schlägen - das erste Bierfass angestochen hat. Dazu gehört der sieben Kilometer lange Trachten- und Schützenzug mit rund 9.000 Mitwirkenden, bei dem kleine Mädchen im Dirndl stolz mit dem Opa mit Gamsbart und Lederhose an den Fernsehkameras vorbeiziehen, die Wiesnbilder in alle Welt übertragen.

Zur Tradition zählt der Oktoberfest-Gottesdienst im Hippodrom, bei dem Schaustellerseelsorger der evangelischen und der katholischen Kirche mit den Marktkaufleuten und Schaustellern Gottesdienst feiern. Gelegentlich wird dabei dann zwischen Bierbänken und Wiesnkapelle ein kleines Kind getauft oder ein Ehepaar getraut. Und schließlich gehört zu jeder Wiesn das Böllerschießen am Fuße der monumentalen Bronzestatue der Bavaria.

Oktoberfest mit neuen Fahrgeschäften

Natürlich mangelt es dem Volksfest nicht an Innovationen: Gab es bis 1860 auf der Wiesn nur zwei Karussells und zwei Schaukeln, wurden im Jahr 1908 schon 30 Gerätschaften gezählt. Gelegentlich sorgten die Fahrgeschäfte auch für Proteste. So empört sich ein Polizeikommentar von 1900 über ein Karussell:

"Auf diesen Pferden waren Frauenpersonen zu beobachten, die in geradezu widerlicher, allen Anstand verspottender Weise, auf den Pferden herumarbeiteten. Mit rothen Gesichern, teilweise oft aufgelösten Haaren, konnten sie mit ihrem widerlichen Gebaren gar kein Ende finden."

Für die bayerische Landeshauptstadt ist die Wiesn längst zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Immerhin spülen die Besucher aus aller Welt jedes Jahr rund 850 Millionen Euro in die Kassen der Wirte, Hotels und Geschäfte. Um den Umsatz zu fördern, wird kräftig die Werbetrommel gerührt mit wechselndem Plakat- und Bierkrugmotiv.

Wiesn ist ein Phänomen

Auch bei den Fahrgeschäften gibt es immer etwas Neues: 2010 wirbelt der Kettenflieger "Rocket" die Gäste in 55 Metern Höhe durch die Luft, im "Amazonas" geht es durch einen Dschungel mit fleischfressenden Pflanzen und exotischen Spinnen, und im "Alpenrausch" sollen die Besucher "boarisch, zünftig und narrisch" durch Lasertunnel und rollende Tonnen stapfen. Beim Hoch-Rundfahrgeschäft „Mr. Gravity“ - eine Attraktion von 2023 -  rotieren zehn Gondeln für zwei Personen auf einer Scheibe. Die Scheibe ist an einem ebenfalls drehbaren in beide Richtungen rotierenden Arm montiert. Er kann bis auf 20 Meter Höhe ausgefahren werden. In voller Höhe steht die Scheibe dann beinahe senkrecht.

Das Oktoberfest ist ein Phänomen, und deswegen findet man dort alle Arten von Menschen - Paare und Jugendliche, Großfamilien und Senioren, Münchner, Bayern und Gäste aus aller Welt. Kaum einer, der von der Wiesn zurückkehrt, ohne ein skurriles Gespräch oder eine lustige Begegnung gehabt zu haben - oder zumindest ein Souvenir mit nach Hause zu nehmen wie einen überdimensionalen Filzhut oder ein klebriges Teigherz, auf dem steht: "Oans, zwoa, gsuffa!"

Oktoberfest

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