Peter Braun wartet. Er wartet darauf, dass Angehörige auf die Intensivstation des Klinikums München-Schwabing zu einem Covid-19-Patienten begleitet werden müssen. Denn das kann der Klinikseelsorger dank einer Hygieneschulung jetzt: Menschen nach einem strengen Vorschriftenkatalog durch die Schleuse zu ihren schwerkranken Angehörigen bringen.

"Wenn wir vom Seelsorge-Team das machen, entlasten wir die Pflegekräfte, denn das dauert schon seine Zeit", sagt der evangelische Diakon am Telefon. Dem zuständigen Oberarzt sei wichtig, dass Angehörige sich von Sterbenden verabschieden können. "Er weiß, dass das Menschen sonst ein Leben lang verfolgen kann", sagt Braun.

Klinikseelsorge in Corona-Zeiten

Doch seine neue Qualifikation konnte der Diakon noch nicht einsetzen. "Wir warten auf die große Welle. Aber sie kommt nicht - Gott sei Dank." Allerdings fühle sich das Warten merkwürdig an. Die Krankenhausseelsorge auf normalen Stationen laufe wegen des Mangels an Schutzkleidung im Sparmodus - nur auf Zuruf besucht Braun Patienten. Auch für die Mitarbeitenden könne er gerade nicht viel tun: "Wir schreiben hin und wieder eine Mail, um zu zeigen, dass wir trotzdem da sind. Aber zu viele Mails nerven auch. Es ist viel zu tun, gerade auf den Covid-19-Stationen."

Trotzdem nützt die Fortbildung etwas. "Ich fühle mich jetzt sicherer im Umgang mit Corona", sagt der Seelsorger. Angst vor Ansteckung habe er nicht. Braun würde deshalb auch Besuche bei Covid-19-Patienten auf der Intensivstation machen. Obwohl jene, die im Krankenhaus an der Lungenkrankheit sterben, oft nicht bei Bewusstsein seien.

Situation im Hospiz

Andere Krankenhauspatienten sind hellwach und liegen doch im Sterben - zum Beispiel, weil sie Krebs haben. Weil aber auf den Normalstationen häufig ein striktes Besuchsverbot gilt, hat das Christophorus Hospiz München im März viele todkranke Menschen aus Kliniken aufgenommen. Denn das Hospiz darf die Besuchsverbote mit Erlaubnis der Staatsregierung selbst ausgestalten.

Natürlich gebe es auch hier Einschränkungen, erklärt Leiter Ulrich Heller: "Jeder unserer Bewohner darf vier Menschen bestimmen, die ihn besuchen können - möglichst einzeln, ohne Übernachtung." Doch die Dankbarkeit darüber, dass Besuche überhaupt möglich sind, sei groß.

Das Coronavirus zwinge alle zu einem Balanceakt zwischen "schützen" und "da sein", sagt der Hospizexperte. Er sorgt sich, dass bei allen Schutzvorkehrungen vergessen werde, wie wichtig soziale Kontakte für Menschen am Lebensende seien. "Wir dürfen die Menschen in ihrer Krankheit nicht alleine lassen. Es geht darum, etwas voneinander zu erfahren, die Lebensqualität der letzten Tage nicht einzuschränken - das ist wichtig", sagt Heller.

Ambulanter Hospizverein "DaSein e.V."

Darum geht es auch Katharina Rizzi. Die Geschäftsführerin des ambulanten Hospizvereins "DaSein e.V." ärgert es, dass in der Öffentlichkeit das Bild vermittelt werde, jeder schwere Corona-Verlauf müsse zwingend am Beatmungsgerät landen. "Früher war die Lungenentzündung mal der Freund der alten Menschen, denn daran durften sie sterben", sagt sie.

Die Gesellschaft müsse in Pandemie-Zeiten lernen, differenzierter mit der Krankheit umzugehen, "die Indikation für eine Beatmung zu klären und deren Folgen mit zu berücksichtigen", findet Rizzi.

Mehr Aufklärung der Betroffenen gehört für sie dazu. "Hat ein Patient mit Vorerkrankungen die Chance, eine Beatmung zu überleben, und mit welchen Schäden?" fragt sie. Es sei nicht verkehrt, Gedanken zu Corona in seine Patientenverfügung aufzunehmen, sagt Rizzi, damit die eigene Haltung bei der Behandlung berücksichtigt werden könne.

Grundsätzlich sei es durchaus möglich, eine schwere Covid-19-Erkrankung zu Hause durchzumachen statt "narkotisiert am Beatmungsgerät". Hier wie dort gibt es kein wirksames Medikament gegen die Krankheit - der Körper des Patienten muss selbst mit dem Virus fertig werden. Gerade der Umgang mit Atemnot gehöre zum Alltag von Palliativfachkräften: "Das können wir in der ambulanten Versorgung sehr gut lindern," sagt Rizzi.

Mut gehöre zu so einer Entscheidung dazu. Doch wenn die Virus-Krise für etwas gut sei, dann dafür, "sich mehr mit der Unkontrollierbarkeit und Vergänglichkeit des Lebens vertraut zu machen", findet Rizzi.

Es scheint, als wachse dieser Mut mit dem Alter. "Viele unserer Bewohner sagen: Dann sterb' ich halt an Corona - Hauptsache, es geht schnell", sagt Dorothea Bergmann, Fachfrau für Palliative Care und Ethikfragen der Inneren Mission München.

Coronavirus in Pflegeeinrichtungen

In zwei der zehn Pflegeeinrichtungen der "Hilfe im Alter", die insgesamt rund 1.400 Senioren stationär betreut, sind bislang zwölf Bewohner mit Covid-19 gestorben. Für kranke Menschen, deren Kraft zu Ende gehe, sei das Virus ein Brandbeschleuniger. "Aber wir haben auch viele Bewohner, die es überlebt haben, komplett symptomfrei, die waren zum Teil über 90!" ruft die Pfarrerin ins Telefon.

Beatmet worden sei keiner der Verstorbenen in den Heimen. "Es war medizinisch nicht indiziert, oder die Patienten wollten es nicht", sagt Bergmann. Die meisten seien ganz ruhig gestorben. Die Pfarrerin ist froh über die große Zahl an Palliativ-Fachkräften in den Heimen der "Hilfe im Alter" und über "fitte Hausärzte", die für eine gute Begleitung der Sterbenden sorgten.

Und das Besuchsverbot? Gilt grundsätzlich auch in den Einrichtungen der "Hilfe im Alter", aber nicht für Angehörige von Sterbenden. "Sie können sich, mit entsprechender Schutzkleidung, immer persönlich verabschieden", sagt die Pfarrerin.

Nur über Nacht dürfe niemand mehr bei seinen Angehörigen bleiben. "Aber das", sagt Dorothea Bergmann, "wird auch nicht mehr so nachgefragt." Das Virus habe da schon das Bewusstsein der Menschen verändert.