Zero Covid fordert einen solidarischen europäischen Shutdown. Wie sehen Sie diese Forderung?

Christian Kopp: Grundsätzlich finde ich eine Initiative gut, die sich für ein Ende von Covid und für Solidarität einsetzt. Das wünsche ich mir sehnlich, das wünschen sich viele. Bei "Zero Covid" habe ich aber sehr viele Fragen, die mich doch sehr skeptisch machen: Ein völliges Ausradieren von Covid ist bei den vielen europäischen Ländern den vielen Grenzen und Regierungen für mich unvorstellbar.

Der Preis für so einen Shutdown ist aus meiner Sicht auch zu hoch, besonders für die, denen die Einschränkungen schon jetzt das Leben so unendlich schwer und bitter machen.

Auch die Forderung zu den Impfstoffen finde ich seltsam – die privatwirtschaftliche rasante Entwicklungsleistung von Pharmaunternehmen hat die sensationell schnell entwickelten Impfstoffe ermöglicht. Die Firmen haben Millionen investiert für diese Entwicklung. Die geforderte Vermögensabgabe durch die Landesparlamente zu bringen – viel Vergnügen. Im Aufruf klingt es stark nach einem Komplettumbau der Gesellschaft – manche der Ziele teile ich durchaus wie das klare Eintreten für die Armen – ich denke nur, dass solche Umbauten die Verbindungskräfte unserer schon jetzt sehr zerrissenen Gesellschaft zu stark strapazieren würden.

Ein europaweiter Zero-Covid-Shutdown  würde bedeuten, das alltägliche Leben von Millionen von Menschen komplett herunterzufahren und menschliche Kontakte komplett zu unterbinden. Welche Auswirkungen hätte dies Ihrer Einschätzung nach auf die psychische Verfassung und die mentale Gesundheit der Menschen?

Christian Kopp: Viele Menschen, die ich spreche, sind nach fast einem Jahr mit Covid mit den Nerven ziemlich am Ende. Ich denke etwa an die Schüler*innen in den Abschlussklassen oder die Menschen in den Pflegeheimen. Aus meiner Sicht ist der Lockdown, den wir jetzt haben, mit den beschränkten Möglichkeiten der bessere Weg als jetzt alles komplett herunterzufahren. Und ich hoffe auf die Impfungen und auf das Frühjahr und den Sommer.

Allen Menschen macht Covid zu schaffen – wir brauchen dringend Licht am Ende des Tunnels.

Viele Menschen leiden besonders unter dem zweiten Lockdown, weil soziale Interaktion in Kombination mit der Jahreszeit noch mehr aufs Gemüt und die Psyche schlagen. Wie kann jeder von uns am besten Zuversicht verbreiten?

Kopp: Wer gut zu sich ist, kann auch gut zu anderen sein. Beides brauchen wir. Menschen sollten in solchen extremen Zeiten (und ganz besonders, wenn es Winter ist) viel tun, was gut für sie ist. Das zielt auf Körper und Seele. Wer gut zu sich ist, kann dann anderen viel besser beistehen. Mir reicht manchmal schon ein: Covid wird enden. Mein kleiner Enkel sagt manchmal: "Das machen wir, wenn der Corona weg ist." Ich finde, das ist eine schöne Perspektive. Wenn wir alle zusammen helfen, wird die Pandemie dank Impfung und unserer Umsicht voraussichtlich 2021 wirklich viel besser beherrschbar sein.

Wie gehen Sie in Ihrer täglichen Arbeit mit den aktuellen Einschränkungen durch das Coronavirus um und welche Strategien haben Sie entwickelt, um diese zu bewältigen?

Kopp: Kirchliche Arbeit ist Kontaktarbeit. Für die Haupt- und Ehrenamtlichen ist eine kontaktlose kirchliche Arbeit in einer Pandemie eine große Herausforderung. Es braucht viel Kreativität und Mut sich dieser zu stellen. Wir und ich tun das seit einem Jahr mit Ernst und auch mit Humor. Wir machen viel in der digitalen Welt oder am Telefon, per Brief oder Paket. Wenn die Tätigkeit es erlaubt, haben wir seit Monaten alles ins Homeoffice verlegt. Wir versuchen durch Aktionen in der Öffentlichkeit wie mit Transparenten oder auch mit gezielten Briefen und E-Mails Menschen zu trösten und zu ermutigen.

Angesprochen werden von der Zero-Covid-Bewegung auch die Wirtschaft und die Arbeitgeber. Kirche ist ja in vielen Bereichen auch als Arbeitgeber tätig. Muss die Kirche noch mehr tätig werden, was Homeoffice angeht?

Kopp: Wir haben hier viel ermöglicht – Covid war da ein richtiger Entwicklungstreiber. Cloudbasiertes Arbeiten habe ich etwa auch in der Pandemie jetzt richtig umgesetzt. Aber es geht mit Sicherheit noch mehr, unsere Arbeitswelt verändert sich im Moment so rasant wie seit Jahrzehnten nicht. Bei Homeoffice muss aber auch immer wieder gesehen werden, wie viel Belastung das für Einzelne oder auch für Familien bedeutet. Auf einmal sitzt die Arbeit am Küchentisch – und nicht jede oder jeder hat zu Hause viel Raum für einen PC-Arbeitsplatz.

Vor Weihnachten gab es die Diskussion um Präsenzgottesdienste. Kann die Kirche ihre Aufgaben, z.B. die Seelsorge, überhaupt ohne Präsenz meistern?

Kopp: Die digitale Welt ist eine andere als die analoge Welt. Mit unglaublicher Fantasie haben viele von unseren Ehren- und Hauptamtlichen hier enorme Anstrengungen unternommen, um Angebote und Aufgaben online zu machen. Das macht mich dankbar und stolz. Die digitale Kommunikation wird aber niemals die reale, persönliche Kommunikation ersetzen. Du kannst digital nicht küssen, nicht riechen, nicht Kaffee trinken. Seelsorge geht eingeschränkt digital – aber Menschen sind Personen mit Leib und Seele. Wir brauchen den körperlichen Austausch vor Ort wie die Luft zum Atmen.

Was wünschen Sie sich von der Regierung?

Kopp: Möglichst klare Regelungen, das Bemühen um gute Kommunikation und das Werben um Verständnis und Geduld, besondere Regelungen für die Armen, für die besonders Belasteten, für die Kinder und Jugendlichen, für alle die, die unter Covid am meisten leiden. Ich finde, dass es die Regierungen hier in Europa schon ganz gut hinbekommen. Und Fehler gehören zum Menschen und auch zu Regierenden. Wichtig ist nur, dass wir aus ihnen lernen.