"Was? Dein Papa ist Soldat, dein Papa ist Mörder?"

Solch eine Reaktion sei Kindern aus Soldatenfamilien in der Schule schon entgegenschlagen, wenn sie erzählten, dass der Papa sechs Monate im Auslandseinsatz sei, berichtet der Militärdekan Ralf Zielinski. Derartige Aussagen von Lehrkräften zeigten, dass diese Kinder mit viel Unverständnis konfrontiert würden. Deshalb sei es wichtig, zu lernen, mit solchen Äußerungen umzugehen und sich mit anderen, die ähnliche Erfahrungen machen, auszutauschen, sagt Zielinski.

Die evangelische Militärseelsorge kümmert sich daher nicht ausschließlich um Bundeswehrsoldat*innen selbst, sondern auch um deren Angehörige. Die Arbeit mit den Familien von Bundeswehrsoldat*innen gehört zum festen Aufgabengebiet der evangelischen Militärpfarrer*innen.

Selbstverständnis der Bundeswehr

Die Aussage in der Schule verdeutlicht, dass viele Menschen mit der Bundeswehr eher Negatives wie Krieg, Töten und Gewalt verbinden. Das Selbstverständnis der Bundeswehr stehe jedoch im Kontrast dazu, so der Militärdekan: "Ich lerne den Umgang mit der Waffe und mit Waffensystemen, damit es keinen Krieg gibt. Man tut es nicht, um Krieg führen zu können, weil es jemand wollte. Das wollen wir ja gerade nicht."

Statt die Waffe zu gebrauchen, ergreife die Bundeswehr gewaltverhindernde Maßnahmen, um Gewalt und Willkür von Warlords und Banden einzudämmen, so Zielinski, der früher an der Marineschule Mürwik in Flensburg war. Was sich durch den Angriffskrieg in der Ukraine aber verändert habe, sei die Erkenntnis, dass nicht nur in sogenannten Failed States für Frieden gesorgt werden müsse. Plötzlich sei man wieder damit konfrontiert, einen Verteidigungskrieg in Europa führen zu müssen – oder ihn mitzuerleben.

Auswirkungen des Ukrainekriegs auf deutsche Soldat*innen

Der Krieg in der Ukraine hat nach Aussagen des Militärdekan Zielinski zu einem Aufwachen geführt. Was man für überwunden gehalten habe – nämlich, dass ein Führer eines Staates glaube, er könne dem Nachbarn beliebig viel seines Landes wegnehmen und seinem eigenen hinzufügen – sei wieder eingetreten.

Zwar hätten vor schon Ausbruch des Krieges in der Ukraine Bundeswehreinsätze in Kriegsregionen wie Afghanistan oder Mali stattgefunden. Das sei nichts Neues. Jedoch sei es bei diesen Einsätzen darum gegangen, Abschreckung aufrechtzuerhalten und Verteidigungsbereitschaft zu signalisieren, um Krieg zu verhindern, so Zielinski.

Auch wenn das Selbstverständnis der Bundeswehr ein gewaltverhinderndes sei, bewahre es Soldat*innen nicht vor dem Einsatz der Schusswaffe. Wie man damit umgehe und welche ethisch-moralischen Fragen dabei mitschwängen, werde im sogenannten lebenskundlichen Unterricht besprochen.

Berufsethische Fragen: Von Töten bis Fernbeziehung

Dieser Unterricht sei ein weiterer Baustein der Militärseelsorge, so Zielinski. Demnach seien alle Soldat*innen in der deutschen Bundeswehr verpflichtet, daran teilzunehmen. Zwar werde der lebenskundliche Unterricht von Militärpfarrer*innen geleitet, er sei aber weltanschaulich neutral.

Hier gehe es vielmehr um berufsethische Fragen und den grundsätzlichen Umgang mit Lebensfragen: Angefangen vom allgemeinen Konsumverhalten, über den Umgang mit der Schusswaffe und mit dem Töten, bis hin zum Thema, wie eine Fernbeziehung funktionieren kann, wenn man als Soldat*in im Auslandseinsatz ist.

Gottesdienste innerhalb und außerhalb der Kasernenmauern

Neben des niedrigschwelligen Angebots der Seelsorge halten Militärpfarrer auch Feldgottesdienste auf dem Truppenübungsplatz oder Standortgottesdienste innerhalb der Kaserne, berichtet Zielinski. Diese könnten von den Soldat*innen freiwillig besucht werden.

Obwohl Gottesdienste nach evangelischem Verständnis immer öffentlich sind, seien diese Gottesdiensttermine aber oft nur den Soldat*innen bekannt. Deshalb gebe es ganz bewusst Formate, um Soldat*innen und Gemeindemitglieder der zivilen Kirche zusammenzubringen.

"Die Sprache der Militärpfarrer ist eher angepasst an Menschen, die den ganzen Tag an Panzern oder Flugzeugen schrauben. Junge Menschen Mitte zwanzig, die mitten im Leben stehen, die ganz andere Fragen haben, und ganz anderen Zusprach brauchen aus dem Evangelium."

Das sei überhaupt ein großes Anliegen, Themen aus dem soldatischen Leben und dem der zivilen Kirche auszutauschen, sagt Zielinski, "damit keine abgeschotteten Denk- oder Glaubensräume entstehen."

Um die Rückbindung an die Arbeit in der Kirchengemeinde außerhalb der Bundeswehr sicherzustellen, sollen Militärpfarrer*innen deshalb auch einmal im Monat einen Gottesdienst in der "zivilen" Gemeinde halten. Die Militärpfarrer*innen gehörten nämlich auch zum Kirchenvorstand der Gemeinde, in deren Bereich die Kaserne liegt.

Freizeitgestaltung für Soldat*innenfamilien

Zurück zur anfangs geschilderten Situation in der Schule - Familien, in denen der Vater oder die Mutter bei der Bundeswehr angestellt sei, teilten häufig ganz eigene Herausforderungen und Erfahrungen, so Zielinski. Die Familien zu vernetzen und Auszeiten für sie zu schaffen, bei denen sie Gemeinde erleben können, gehört zum Bestandteil der Militärseelsorge. Diese Freizeitangebote für Soldat*innenfamilien werden Rüstzeiten genannt.

Für Rüstzeiten organisieren die Militärpfarrer*innen zum Beispiel Ausflüge und fahren mit den Soldat*innen und deren Angehörigen unter der Woche oder am Wochenende weg, um über Gott und die Welt zu sprechen.

Aktuell werde daran gearbeitet, solche Rüstzeiten auch mit der "zivilen" Kirchengemeinde zu machen, um so das gegenseitige Verständnis zu fördern. Dafür gebe der Militärbischof auch Mittel frei, berichtet Zielinski, der persönlich von diesem Projekt sehr begeistert ist.

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