Blau strahlen die Lettern über der Eingangstür des Hutgeschäfts. Schwungvolle Leuchtröhren formen den Namen "Halbig". Das Geschäft befindet sich unweit der Theatinerkirche in der Theatinerpassage. Wer dort hinein abbiegt, taucht in den Flair der 1950er-Jahre ein. In den golden umrahmten Schaufenstern sind handgefertigte Sommer- und Herrenhüte ausgestellt. Seit rund 20 Jahren ist Christine Halbig die Besitzerin des Hutladens an einer der feinsten Adressen Münchens.

Betritt man den kleinen, hellen Salon, von dessen Decke ein Kronleuchter hängt, entdeckt man auch extravagantere Kopfbedeckungen für festliche Anlässe. Farbenfrohe Fascinators, mit Federn und Netz auf Haarreifen oder zum in die Haare stecken, erinnern an Auftritte der Royals.

Es sind die verschiedenen Materialien und das Dreidimensionale, das Christine Halbig an Hüten fasziniert. Und sie schwärmt von einem Stückchen Magie: "Ein handgemachter Hut kann einen Menschen verändern, ihn heben, gute Laune geben, beschützen." Schon früher habe sie gern genäht - allerdings eher Kleidung - und gemerkt, dass sie ganze Nächte hindurch nähen kann und dabei große Freude verspürt. Diese Leidenschaft hat dazu geführt, dass sie ihren ursprünglich erlernten Job aufgab.

Früher OP-Schwester im Krankenhaus

Bevor sich Halbig in Vollzeit dem Handwerk verschrieb, war sie OP-Krankenschwester im Schwabinger Krankenhaus. Knapp zehn Jahre hat sie dort auf der HNO-Station gearbeitet. Bis sie irgendwann gemerkt hat, dass ihr etwas fehlt. "Ich habe mich auf die Kollegen gefreut, aber die Arbeit hat mich nicht mehr erfüllt", sagt sie.

Mit 26 Jahren wagt sie die Veränderung und macht eine dreijährige Lehre zur Modistin. Nach der Gesellenprüfung schließt sie noch die Meisterprüfung an. Es ist auch der Schritt vom Angestelltensein in die Selbstständigkeit. Der Wechsel sei ein emotionales Auf und Ab gewesen, schildert sie. In dieser Umbruchszeit habe sie immer wieder geweint, gerungen, gezweifelt und gehadert. Dennoch habe sie den Berufswechsel nicht bereut.

Heute kommen ihr einige Fähigkeiten aus dem Krankenhaus sogar in der Welt der Mode zugute. "Ich fasse Menschen gern an", erzählt die bescheiden wirkende Hutmacherin. Keine Spur von aufdringlicher, schriller Designerin mit Fashion-Diva-Allüren. Sie ist aufgeweckt, zugewandt und offen, wenn sie mit ihrer Kundschaft arbeitet.

In der Klinik sei es ganz normal, den Patienten körperlich nahezukommen. Deshalb habe sie auch bei ihren Kundinnen im Atelier keine Berührungsängste, wenn sie sie berät und ihnen einen Hut aufsetzt. "Ich habe das Gefühl, die genießen das sehr", sagt die Frau mit runder schwarzer Brille und dunklem Kurzhaarschnitt lachend.

Im OP ging es um Leben und Tod

Wer die Treppe vom Ladenlokal hinauf in die Werkstatt geht, steht vor einem großen Holztisch - der Ort, an dem aus Leder, Filz, Perlen oder Federn Hüte geformt und gefertigt werden. Über dem Tisch hängt ein schmales Stück Holz mit zahllosen Garnspulen in allen möglichen Farben.

Halbig, mit weiß-blauer Karobluse und Maßband um den Hals, sitzt dort und begutachtet die neuen Borten aus Weizen für die Sommerkollektion. Dank einer alten, speziellen Nähmaschine gelingt es ihr, die schmalen Bänder leicht übereinanderlappend zu einer runden Fläche zusammenzunähen.

Während ihrer Ausbildung habe sie immer wieder die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Tuns umgetrieben. "Im OP geht es manchmal um Leben und Tod - jetzt nähe ich Hutbänder ein. Macht das Sinn?", beschreibt sie ihre Gedanken von damals. Inzwischen habe sich ihr Blick jedoch geändert:

"Indem ich Hüte mache und mir das Freude macht, trage ich Freude in die Welt. Das ist jetzt mein Sinn."

Der Beruf als Hutmacherin mache ihr nach wie vor Spaß. Ob sie noch bis zur Rente Hüte machen will, lässt sie aber offen. Sie nehme sich die Freiheit, in Zukunft vielleicht auch noch einmal etwas anderes zu machen, sagt sie.

Hinter dem Werktisch liegen die verschiedenen Hutformen in Regalen nebeneinander. Die einen rund, die anderen oval, manche mit Krempe, andere ohne. Über die Formen werden die Stoffe gezogen und Form und Größe der Hüte bestimmt. Deshalb sind sie aus weichem Holz gefertigt, damit die Stecknadeln sich daran auch feststecken lassen.

Wie die Formen da so auf den Brettern liegen - milchig bis hellbraun - hat diese Szenerie irgendwie Ähnlichkeit mit Käselaiben bei der Trocknung. Vielleicht ein Sinnbild dafür, dass sich Christine Halbig für die Zukunft vorstellen kann, auch mal einen Sommer auf einer Alm zu verbringen.

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