Ella kreischt vor Vergnügen, als die anderen Kinder auf ihre Aufforderung eingehen und mit ihr Plumpsack spielen. Die achtjährige Ruanderin kann zwar nicht sprechen, aber sich verständlich machen, das geht auch ohne Worte. Immer wieder heben die Jungen und Mädchen das leere Haargelpäckchen, das als Plumpsack dient, von der Erde auf, lassen es fallen, beginnen zu rennen: ein ausgelassenes Spiel zwischen Wellblechhäusern im Süden der Hauptstadt Kigali.

"Früher durften die anderen Kinder nicht mit Ella spielen",

sagt ihre Mutter, Olive Mukeshimana. Aber inzwischen, seit immer mal wieder eine Sozialarbeiterin nach ihnen schaut und die Nachbarschaft zum Thema Behinderung aufklärt, mangelt es ihr nicht an Spielkameraden.

Schule für Behinderte sind selten

Ella geht auf eine Sonderschule des Projekts HVP Gatagara, gegründet vom Männerorden Frère de la Charité und unterstützt von der Christoffel Blindenmission. Auch die Eltern und die Umgebung werden einbezogen. In Ruanda ist eine Schule wie diese eine Seltenheit. Laut der international finanzierten Organisation "Globale Partnerschaft für Bildung" besucht in dem ostafrikanischen Land ein Drittel aller Kinder mit Behinderungen nie eine Schule. Das Projekt HVP Gatagara kann längst nicht alle Kinder aufnehmen, die sich anmelden.

Ella ist in der zweiten Klasse und hat gelernt, sich mit Zeichen zu verständigen. "Wenn sie auf die Toilette muss, klopft sie sich auf den Po, wenn sie Durst hat, bringt sie einen Becher und bei Hunger einen Teller", erklärt die Mutter, die alleine mit ihrer Tochter lebt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält.

Kinder fit für inklusive Schule machen

Ziel sei es, die Kinder - wenn möglich - fit für eine inklusive Schule zu machen, erklärt Direktor Jean Pierre Nteziryayo.

"Wenn nicht, möchten wir ihnen Fertigkeiten beibringen, mit denen sie zum Familieneinkommen beitragen können."

140 Kinder werden von 22 Lehrkräften in sieben Gruppen unterrichtet, erhalten dort auch Physio- und Ergotherapie. Im Durchschnitt kümmert sich in Ruanda nach UN-Angaben ein Lehrer um 60 Schüler und Schülerinnen. Ella wird wohl auf keine andere Schule gehen können. Aber die Mutter wünscht sich, dass sie lernt, in der Gemeinschaft zurechtzukommen.

Versetzung knapp verpasst

Der 13-jährige Moses ist nach einem Jahr Förderung in der Sonderschule wieder zurück in seiner Regelschule und geht in die zweite Stufe. Die 52 Kinder seiner Klasse benutzen alle das gleiche Material. Die Versetzung in die dritte Klasse hat er knapp verpasst. Aber er wird nun nicht mehr gehänselt, sagt seine Mutter Seraphine Bayizayire, die mit ihrem Mann einen Massage-Salon führt.

Moses sitzt auf einem weißen Plastikstuhl auf der Terrasse des blau gestrichenen Hauses, in dem er mit den Eltern und drei Geschwistern lebt. Wenn er läuft, ist sein linker Arm angewinkelt, das linke Bein zieht er etwas nach. Mathe und den Unterricht in der Landessprache Kinyarwanda möge er am liebsten, antwortet er langsam und wirkt dabei in sich gekehrt.

"Mit meinen Freunden spiele ich Fußball",

erzählt er etwas lebhafter. Nach seinem Lebensziel befragt, huscht ein Strahlen über Moses' Gesicht. "Ich will Motorrad-Taxi-Fahrer werden", sagt er bestimmt. 

Denyse will Schneiderin werden

Denyse ist ihrem Ziel schon recht nah. Die gehörlose 22-Jährige mit einer großen, schwarzen Brille im ernsten Gesicht befindet sich im letzten Jahr ihrer Ausbildung zur Schneiderin an der Technischen Schule des Gatagara-Projekts in Nyanza, etwa anderthalb Stunden südwestlich der Hauptstadt. Die Technische Schule ist an eine inklusive Gesamtschule angeschlossen und bildet derzeit in den Oberstufenjahren rund 250 Mädchen und Jungen in Mode sowie technischen Fertigkeiten wie Schweißen und Friseurhandwerk aus.

Es herrscht geschäftiges Schweigen im Raum, in dem Denyse und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler Schnittmuster aus blassgrünem Tonpapier anfertigen. Konzentriert und geübt überträgt die junge Frau Maße für einen Anzug auf den großen Bogen. Am liebsten schneidere sie Anzüge, Kleider und Röcke, erzählt sie in Gebärdensprache, die Lehrerin übersetzt:

"Am besten ist mir ein schwarzer Anzug gelungen, den ich mit einem weißen Shirt trage."

Auch für ihre neun älteren Geschwister fertigt sie Kleidung an.

Besondere Kinder

In der Pause wird es lebhaft auf dem Schulgelände. Kinder aller Altersstufen rennen mit und ohne Gehhilfen über den großen Hof, manche spielen Sitzvolleyball - vier Spielerinnen und Spieler pro Seite, jeweils zwei mit und zwei ohne Behinderung. Andere Kinder konzentrieren sich auf einer Holzbank auf ihr Bocciaspiel mit roten und blauen mit Sand gefüllten Kugeln. Die Lehrkräfte beobachten das Geschehen. "Wir sind besonders, weil wir besondere Kinder unterrichten", sagt Lehrer Augustin Havugimana.

"Aber keiner von uns ist wirklich auf Inklusion spezialisiert, keiner hat das im Studium gelernt, wir brauchen mehr Unterstützung."

Denyse ist sehr froh, dass sie es hierhin geschafft hat. "Das Beste an dieser Schule ist, dass ich in Zeichensprache lernen kann und mir nach der Ausbildung meinen Lebensunterhalt verdienen kann". Im Juli 2023 ist sie fertig. Zehn Anzüge muss sie auf einer geliehenen Maschine nähen, hat sie sich ausgerechnet - dann kann sie sich eine eigene Maschine kaufen und loslegen.