Der Artikel ist erstmal im Oktober 2021 veröffentlicht worden.
Als der Mönch Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen veröffentlichte, war Amerika gerade ziemlich frisch entdeckt. Es war für den Reformator seinerzeit noch kaum abzusehen, dass ihm 500 Jahre später ein ursprünglich irisch-keltisches Totenfest am Vorabend des Allerheiligentages, das inzwischen in den Vereinigten Staaten zu einem großen medialen Ereignis namens "Halloween" angewachsen ist, diesen Gedenktag streitig machen würde. Womöglich hätte Luther dann ein anderes Datum gewählt.
Halloween als gruseliger Zweitfasching
Der gewöhnliche Grundschüler freut sich heutzutage am 31.10. über eine Art gruseligen Zweitfasching (wobei der Hinweis erlaubt sein muss, dass auch der "normale" Fasching seine durchaus gruseligen Seiten hat) und Religionslehrer*innen oder Gemeindepfarrer*innen des Grundschülers verzweifeln daran, darauf hinzuweisen, dass ja eigentlich Reformationstag wäre.
Dabei hat dieses Halloween-Feiern durchaus etwas grundehrliches: die nervigsten Schüler dürfen alle Masken fallen lassen und zeigen sich nun der Öffentlichkeit als die kleinen Monster, die sie in Wirklichkeit sind. Sie ziehen von Haus zu Haus und erpressen die arglos öffnenden Bewohner mit einem holprig eingedeutschten Kampfruf "Süßes, sonst gibt's Saures!", um Leckereien zu erhalten.
"Süßes, sonst gibt's Saures" gab es auch zu Luthers Zeiten
Wer verantwortet den Kindern die Freude nicht verderben möchte, steht vor Schwierigkeiten: in pädagogischer Weitsicht besorgte "Luther-Bonbons" der Evangelischen Kirche werden von diesen präpubertären Gierschlündern zwar akzeptiert, die tiefere Bedeutung hingegen ignoriert.
Es ist Zeit, einen angemessenen Umgang mit diesem Fest zu finden, der sich ganz offensichtlich anbietet: zu Luthers Zeiten zogen so genannte "Ablassprediger" durch die Straßen und priesen ihre Briefe mit kernigen Slogans wie "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!" an, was im Grunde nichts anderes heißt als "Süßes, sonst gibt’s Saures!" Luthers 95 Thesen waren die Antwort darauf.
Halloween-Treiben gewitzt unterbinden
Eine theologisch fundierte protestantische Reaktion ist also gerade nicht, dieses Halloween-Treiben durch "Luther-Bonbons" mitzuspielen, sondern es gewitzt zu unterbinden und dabei auf die eigene Tradition zu verweisen. Angeblich entwickelt die Evangelische Kirche Deutschlands zum diesjährigen Reformationstag "95 Thesen gegen das Halloweenfest", in denen beispielsweise auf die Greuel des Ablasshandels, aber auch auf die Schädlichkeit von Süßigkeiten für die eh schon viel zu adipöse Jugend sowie den unseligen Einfluss von Gruselverkleidungen auf empfindsame Kinderseelen hingewiesen wird! Dieses Thesenpapier wird bald mit einem kostenfrei zur Verfügung gestellten Nagel allen protestantischen Haushalten zugehen, damit es an viele Haustüren genagelt werden kann.
Wer sich dem Halloween-Treiben nicht völlig entziehen, allerdings auch die Süßigkeitenindustrie nicht unterstützen möchte, dem seien als Mitgebsel sogenannte "Halloweener Würstchen" (mit möglicherweise recht gruseligen Inhaltsstoffen) ans Herz gelegt, die derzeit von führenden Fleischunternehmen getestet werden und bald in den Handel kommen.
Pfarrer Hannes Schott
Hannes Schott (41) ist Pfarrer an der Jakobskirche in der Nürnberger Innenstadt und tritt als Kabarettist mit dem bayerischen Pfarrkabarett "Das weißblaue Beffchen" und dem Musik-Comedy-Duo "Zammgebicht" auf. 2020 erschien sein Buch "Raus aus dem toten Winkel. Ein unkonventioneller Blick auf die Kirche von morgen" im Kösel-Verlag.