Der Prior der christlichen Bruderschaft von Taizé, Frère Matthew, setzt große Hoffnungen auf die junge Generation. "Sie verstehen, dass es wichtig ist, gemeinsam zu handeln und zusammen etwas zu erreichen", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Das zeigt, dass sie sich kümmern und nicht gleichgültig sind." Frère Matthew, mit bürgerlichem Namen Andrew Thorpe, wurde 1965 in Pudsey (Großbritannien) geboren und kommt aus der anglikanischen Kirche. Er folgte im Amt des Priors Ende 2023 dem aus Bayern stammenden Frère Alois.

Die ökumenische Bruderschaft von Taizé wurde in den 1940er Jahren von dem reformierten Theologen Roger Schutz (1915-2005) in dem kleinen Dorf Taizé bei Cluny in Südburgund (Frankreich) gegründet. Die Kommunität inspiriert seither Tausende Jugendliche. Bekannt sind die großen Jugendtreffen zum Jahreswechsel in einer europäischen Hauptstadt.

Seit Advent 2023 sind Sie der neue Prior von Taizé im französischen Burgund. Sie leben seit ungefähr 40 Jahren in der Gemeinschaft, einem der bedeutendsten spirituellen Zentren der Christenheit. Was hat sich für Sie mit dem Amt verändert?

Frère Matthew: Die Schwerpunkte meiner Aufgaben haben sich verschoben. Nun kann ich mehr Zeit mit meinen Brüdern verbringen. Früher war ich stark in die Organisation von Jugendtreffen und die Ausbildung neuer Brüder involviert. Diese Aufgaben liegen nun nicht mehr in meinem direkten Verantwortungsbereich. Außerdem habe ich das Glück, Verantwortung teilen zu können, da ich ein Beratungsgremium um mich herum habe. Dieses besteht aus zwei von mir ernannten Brüdern und zwei, die von der Gemeinschaft gewählt wurden. Wir treffen uns normalerweise zweimal pro Woche, um wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Sie hören zu und bringen Vorschläge ein. Dadurch fühle ich mich nicht mehr allein in meinen Entscheidungen.

Haben Sie noch ein Privatleben?

Ich arbeite gerne im Garten, laufe gerne im Wald. Aber das Allerwichtigste für mich ist, dass ich mir die Zeit bis zum Morgengebet freihalte. Also für das Lesen der Bibel, vielleicht für das Lesen eines anderen geistlichen Textes und für mein persönliches Gebet.

Sie haben die Führung in Krisenzeiten übernommen. Was geben Sie jungen Menschen mit auf den Weg, die wegen der aktuellen Krisen Angst um ihre Zukunft haben?

Es stimmt, dass viele junge Menschen voller Angst sind, weil sie sich um die Zukunft des Planeten sorgen, etwa wegen der Klimakrise. Jetzt kommt auch noch der Krieg in der Ukraine und anderen Orten hinzu. Die jungen Leute finden hier vor allem Menschen, die für sie da sind und ihnen zuhören.

Wir leben in einer sehr komplexen Welt. Die Versuchung ist groß, einfache Antworten zu geben. Aber wir haben in jeder Woche verschiedene Workshops, in denen wir einige dieser Themen auf den Tisch bringen. Es wird ein Raum geschaffen, in dem sie sich ausdrücken können. Das ist vielleicht das Wichtigste. Denn bei allen Ängsten und Sorgen ist es am schwierigsten, wenn wir das Gefühl haben, allein zu sein.

Wie erleben Sie die gegenwärtige junge Generation?

Die jungen Leute zeigen großes Interesse an der Welt von heute, was ich wirklich schön finde. Das zeigt, dass sie sich kümmern und nicht gleichgültig sind. Sie brechen auch mit der Idee, dass jeder nur für sich selbst da ist. Sie verstehen, dass es wichtig ist, gemeinsam zu handeln und zusammen etwas zu erreichen.

Vor allem junge Menschen sind von der Klimakrise stärker betroffen als Ältere. Wie nimmt sich Taizé dieses Themas an?

Auch in Taizé achten wir sorgsam auf den Umweltschutz. Und es ist auch ein wichtiges ökumenisches Thema, denn dieses Anliegen reicht über die Grenzen der einzelnen Kirchen hinaus. Mitte März war ich zum Beispiel in Italien, in Assisi. Dort gab es eine Konferenz unter der Leitung der "Laudato Si"-Bewegung, die aus der Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus von 2015 hervorgegangen ist. Dort kamen Anglikaner, Lutheraner, Baptisten, Methodisten, Katholiken und Orthodoxe zusammen, um über das Thema des Schöpfungsfestes nachzudenken. Es gibt eine Bewegung, den 1. September, der in der orthodoxen Kirche das Fest der Schöpfung ist, zu einem Fest in allen Kirchen zu machen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Ökumene?

Die ökumenische Bewegung muss immer wieder erneuert werden. Für Frère Roger, für unseren Gründer, war die Einheit der Christen nie ein Ziel an sich. Aber Christen können wie ein Katalysator des Friedens in der menschlichen Familie wirken. Das erstreckt sich auch auf die anderen Religionen. Wir haben seit rund sieben Jahren eine Woche der christlich-muslimischen Freundschaft, zu der Leute aus dem Islam eingeladen werden.

Wir in Taizé sehen zudem immer mehr, dass junge Menschen zu uns kommen, die keine Verbindung zur Kirche haben. Sie suchen einen Sinn in ihrem Leben und sind bereit, am Leben und Gebet einer christlichen Gemeinschaft teilzunehmen. Das ist eine Herausforderung.

In fast allen Kirchen weltweit sind Fälle von sexualisierter Gewalt dokumentiert. Auch Taizé wurde mit diesem Problem konfrontiert. Was haben Sie unternommen, um solche Taten in Zukunft zu verhindern?

Wir können keine Ereignisse entschuldigen, die eigentlich nicht hätten passieren dürfen. Und es geht immer darum, zuallererst auf die Stimmen der betroffenen Menschen zu hören. Uns geht es darum, zerstörtes Vertrauen wieder aufzubauen. Und das ist nie einfach. Wir sind immer im Prozess des Lernens. Sobald wir glauben, alle Fragen beantwortet zu haben, machen wir einen großen Fehler.

Was tun Sie konkret?

Unsere Freiwilligen bekommen bei ihrer Ankunft in Taizé eine Ausbildung. Für die Brüder gibt es eine kontinuierliche Weiterbildung. Wir haben jede Woche einen Workshop, in dem wir über diese Fragen sprechen. Das Wichtigste ist zu begreifen, dass wir das, was zerbrochen ist, nicht vollständig reparieren können. Diese Realität müssen wir akzeptieren. Aber wir können versuchen, aus der Vergangenheit zu lernen, indem wir den Betroffenen zuhören. So können wir jetzt effektiver handeln und einen sichereren Ort für die Zukunft schaffen.

In den 1990er Jahren gab es große Taizé-Jugendtreffen zum Jahreswechsel in Wien, Paris und Mailand mit etwa 100.000 Teilnehmern. Immer noch kommen Tausende Jugendliche zu diesen Treffen, aber die Zahlen sind gesunken, zuletzt auch wegen der Corona-Pandemie. Was könnte der Grund dafür sein?

Die 1990er Jahre waren eine ganz besondere Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer. Plötzlich konnten sich Menschen aus Mittel- und Osteuropa mit Menschen aus dem Westen treffen oder selbst in den Westen kommen. Das war sehr attraktiv, das waren europäische Treffen. Außerdem spielten die Kirchen eine wichtige Rolle bei der Befreiung dieser Länder und hatten eine große moralische Autorität. Im Jahr 2005 hat sich die Situation sowohl im Westen als auch in Mittel- und Osteuropa verändert. Wenn man sich einige Länder ansieht, in denen fast jeder am kirchlichen Leben teilnahm, ist das heute nicht mehr der Fall. Und die Kirche spiegelt das wider, was in der Gesellschaft passiert. Ich denke, wir werden sehen, dass die Zahlen nach und nach wieder wachsen.

Wie sieht die Situation in Taizé selbst aus?

Es kommen insgesamt mehr Leute als noch vor 20 Jahren. In normalen Wochen sind es zwischen 3.000 und 4.000. Aber wir sind in Taizé nicht so fixiert auf Zahlen. Wir freuen uns über jeden. Wir hoffen, dass wir ein geeignetes Angebot für alle anbieten, die zu uns kommen.

Taizé nahm vor 75 Jahren erstmals konkret Gestalt an. Am 17. April 1949 legten die ersten Brüder - darunter Roger Schutz - ihre Gelübde für ein Leben in Ehelosigkeit ab. Werden Sie den 75. Jahrestag auf besondere Weise begehen?

Es gibt viele Jahrestage. Man kann unterschiedlich interpretieren, wann die Gemeinschaft gegründet wurde. Ich persönlich bin da nicht so festgelegt. Wichtiger im Kirchenkalender ist das kommende Jahr 2025, der Jahrestag des ökumenischen Konzils von Nizäa, das sich dann zum 1700. Mal jährt.

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