In der Holztür, die das Pfarrhaus von der angebauten Kirche trennt, klafft ein Loch. Ein Einbrecher war vor ein paar Monaten über ein kleines Glasfenster in drei Meter Höhe in das Gotteshaus eingestiegen. Als er außer den Sicherungen im Stromkasten nichts Verwertbares fand, wollte er die Tür eintreten – obwohl Martin Hoffmann auf der anderen Seite dagegenhielt und mit der "Policía" drohte. Der Eindringling gab irgendwann auf. "Hätte er die Tür aufgebrochen, hätte es schlimm ausgehen können", sagt Hoffmann. Es war der zweite Einbruch in den letzten Jahren, seitdem sichert ein Querbalken die Tür von innen.

Die Martin-Luther-Kirche der deutschen Gemeinde und ihr Gemeindezentrum stehen in einem der besseren Stadtteile in Costa Ricas Hauptstadt San José. Martin Hoffmann und Sonja Straub sind dort seit 2017 im Dienst – sie als Pfarrerin der deutschsprachigen Auslandsgemeinde der EKD, er mit einer halben Stelle als Professor für Systematische Theologie an der ökumenischen Universidad Bíblica Latinoamericana und mit einer halben Pfarrstelle der Iglesia Luterana Costarricense (ILCO).

Der überwiegende Bevölkerungsanteil Costa Ricas sind arme Menschen

"Costa Rica ist zwar das sicherste Land in Mittelamerika", erzählt der bayerische Theologe; aber die weltweite Wirtschaftskrise mache auch hier nicht halt. Neben der kleinen Oberschicht gibt es nur eine schmale Mittelschicht. Der überwiegende Bevölkerungsanteil sind arme Menschen, dazu beherbergt das Land viele Flüchtlinge aus dem nördlich angrenzenden Nicaragua.

Im Armenviertel La Carpio im Nordwesten der Hauptstadt leben ca. 40 000 Flüchtlinge, die seit dem Bürgerkrieg in Nicaragua illegal ins Land kamen. "Die Lebensbedingungen dort sind katastrophal", weiß Martin Hoffmann. Oberhalb der provisorischen Behausungen wird der Müll aus San José abgeladen, bei Regen läuft dann eine giftige Brühe durch die Wohnungen der Armen. Seit 2009 unterhält die costa-ricanisch lutherische Kirche dort die Kindertagesstätte "Casa abierta" (offenes Haus), damit vor allem alleinerziehende Frauen einer Arbeit nachgehen können, um sich und ihre Kinder zu versorgen. Sie arbeiten als Putzfrauen oder verkaufen Kochbananen auf den Straßen im Marktviertel.

Pfarrerin Sonja Straub mit zwei freiwilligen Jugendlichen und Fachkräften in der Casa Abierta im Armenviertel von San José
Die bayerische Pfarrerin Sonja Straub mit zwei freiwilligen Jugendlichen und Fachkräften in der Casa Abierta im Armenviertel von San José.

40 Kinder haben in der Casa Abierta von Montag bis Freitag ihren Platz, manche von sechs Uhr morgens bis 18 Uhr abends, sie heißen Miguel, Selína, Mauricio oder Adilia und sind zwischen zwei und neun Jahre alt. "Das Wichtigste ist, dass sie hier einen sicheren Platz haben, denn in La Carpio sind Gewalt, Kindesmissbrauch und Drogen allgegenwärtig", berichtet Hoffmann. Die Kinder spielen zusammen, lernen, malen und singen – angeleitet von Fachpersonal und unterstützt von freiwilligen Jugendlichen aus Deutschland.

Wichtig ist auch das gesunde Essen, was zu Hause alles andere als selbstverständlich ist: viel Obst – und natürlich Gallo Pinto, das costa-ricanische Nationalgericht mit Reis und Bohnen, am Mittag mit Hühnchen angereichert und als Casado serviert. Auch das Tischgebet gehört hier zum gemeinsamen Essen. Die Casa Abierta hat feste Beziehungen nach Bayern: Unterstützt wird die Einrichtung von der evangelischen Gemeinde in Starnberg und vom Dekanat Aschaffenburg, insbesondere der Gemeinde Obernburg. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten werden durch die Annette und Wolfgang Döbrich – Stiftung gefördert.

Zweites Projekt: Aufnahmestelle für Flüchtlinge im Zentrum von San José

Ein zweites Projekt der costa-ricanischen Lutheraner ist eine Aufnahmestelle für Flüchtlinge im Zentrum von San José. Auf dem Gelände der Kirchenzentrale wurde eine Herberge mit 25 Plätzen eingerichtet. Vor allem Geflüchtete aus Nicaragua kommen hier unter, seit dort 2018 die Situation eskaliert ist. Wer hier ankommt, erhält von den Mitarbeitern erste Hilfe bei der Legalisierung und bei der Suche nach einer Arbeit und einer Wohnung. Die deutsche Gemeinde spendet dafür Erntedankgaben, Kleidung und Lebensmittel.

Flüchtlinge aus Nicaragua finden am ehesten einen Job auf den riesigen Plantagen im Nordosten des Landes. Sie pflücken Ananas für die US-amerikanischen Konzerne Dole und Del Monte und ernten Bananen für die Fruchthandelsgesellschaft Chiquita. Die US-Firmen stehen wegen ihrer als gewerkschaftsfeindlich wahrgenommenen Politik und den Versuchen, kritische Stimmen mundtot zu machen, in der Kritik. Die Autoren des "Schwarzbuch Markenfirmen" werfen Dole "Ausbeutung von Plantagearbeitern, Einsatz von gefährlichen Pflanzengiften und Kinderarbeit" vor. Tatsächlich leiden viele Plantagenarbeiter an Ausschlägen, ihre Lebenserwartung beträgt um die 45 Jahre. Auf Kosten der Umwelt und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft erschlossen die Konzerne in den vergangenen Jahrzehnten immer neue Flächen und machten Costa Rica zum weltweit führenden Ananas-Exporteur.

Hinterland von Costa Rica, bedeckt mit tropischem Regenwald
Weite Teile Costa Ricas sind – wie hier im Hinterland der Karibik – noch von tropischem Regenwald bedeckt. Die Regierung konnte die Abholzung durch US-amerikanische Fruchthandelskonzerne und die Umwandlung in Ananasplantagen stoppen. 27 Prozent der Landfläche stehen unter Naturschutz.

Die Kirche engagiert sich außerdem für die indigene Bevölkerung in den Bergen. In der jüngeren Vergangenheit waren die vorwiegend von der Landwirtschaft lebenden indigenen Bevölkerungsgruppen nach Missernten immer wieder gezwungen, Land an Weiße zu verkaufen. Vor allem die im Land vertretenen US-Lebensmittelkonzerne waren darauf aus, Wald zu roden, um noch mehr Plantagen anzulegen. Obwohl die Regierung dieser Art von Landraub einen gesetzlichen Riegel vorgeschoben hatte, waren die wenig gebildeten Indios sich ihrer Rechte nicht bewusst.

Die lutherische Kirche hat deshalb bereits in den 70er-Jahren eine Rechtsberatung für Indigene organsiert. Dabei geht es auch um die Stärkung der Frauenrechte am Arbeitsmarkt, um Gemeindeentwicklung, Umweltbewusstsein und die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte. Die Kirche achtet außerdem bei ihren Stipendienprogrammen darauf, dass auch Indigene zum Zug kommen.

Predigerseminar, Pastoralkolleg, Universität und Volkshochschule in einer Person

Neben den 52 Prozent Katholiken und den 22 Prozent Protestanten (einschließlich evangelikaler und pfingstkirchlicher Gemeinschaften) pflegen einige der Indigenen – insbesondere in abgelegenen Regionen – noch heute ihre traditionellen mesoamerikanischen Religionen, häufig synkretistisch vermischt mit christlichen Elementen. Martin Hoffmann empfindet gemeinsame Gottesdienste "durchaus bereichernd". Vor allem die "Verehrung der Mutter Natur" könne man in Bezug zum biblischen Gebot der Bewahrung der Schöpfung sehen.

In der ILCO kümmert sich Hoffmann vor allem um die Aus- und Fortbildung – als "EinMann-Unternehmen", wie er lachend sagt: "Ich bin hier praktisch in einer Person Predigerseminar, Pastoralkolleg, Universität und Volkshochschule." Der frühere Rektor des Nürnberger Predigerseminars hat vor vier Jahren eine Vikarsausbildung eingeführt, wobei er auch Mentor für derzeit zwei Vikarinnen ist.

Die ILCO wurde erst 1988 gegründet

Die ILCO ist wie alle Kirchen in Lateinamerika eine junge Kirche, sie wurde erst 1988 gegründet. Tatsächlich ist die Kirche mit ihren gerade mal 1200 Mitgliedern nicht viel größer als eine bayerische Kirchengemeinde. Aber sie hat drei Gemeinden in der Metropolregion San José und dazu im ländlichen Raum weitere vier, dazu acht Missionsstützpunkte. Das Besondere: Neben zehn ordinierten Pfarrern sind in der ILCO auch ehrenamtliche Gemeindeleiter tätig.

Das heißt: Von einer Volkskirche kann man hier nicht reden – aber von einer engagierten Gemeinde Jesu Christi in einem Land voller Herausforderungen. Eine heile Welt ist die costa-ricanische Kirche freilich nicht. In Konflikten innerhalb der Junta, der Kirchenleitung, geht es immer wieder um unterschiedliche Bilder von Kirche.

Siedlung in Tortuguero an der Karibikküste
Einfaches Leben im Nationalpark: eine Siedlung in Tortuguero an der Karibikküste.

Mehr Harmonie herrscht in der deutschsprachigen lutherischen EKD-Auslandsgemeinde in San José. Zu ihr gehören 70 zahlende Familien, um die 30 Gemeindeglieder besuchen sonntags den Gottesdienst und bleiben gerne zum Kirchenkaffee im Innenhof der Kirche. Die bayerische Theologin Sonja Straub ist für das ganze Land zuständig, darüber hinaus erstreckt sich das Gemeindegebiet auch auf die Länder Honduras, Nicaragua und Panama.

Monatlicher Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens ist das Kirchenrestaurant Cielo y Tierra, Himmel und Erde. Die Gemeinde speist jeden ersten Samstag im Monat zusammen bei Kerzenschein an fein gedeckten Tischen. Zwischen 18 und 22 Uhr ist freies Kommen und Gehen – alleine, als Paar oder in der Gruppe. In ausgelassener Stimmung unterhält man sich auf Deutsch und Spanisch und verbringt zusammen einen amüsanten Abend. Wechselnde Köche und Köchinnen der Gemeinde bereiten ein exklusives Menü vor, der Gewinn aus den Einnahmen kommt der Kirchengemeinde zugute.

Einladung zur "Gottesdienstwerkstatt"

Die Gemeinschaft und der gelebte Glaube der dort lebenden lutherischen Christen liegen Sonja Straub am Herzen. Sie lädt deshalb regelmäßig zur "Gottesdienstwerkstatt" ein. "Dort treffen sich Menschen, die sich für die Entwicklung und Belebung des Gottesdiensts interessieren. "Wir bereiten gemeinsam Gottesdienste vor, besprechen Predigten, üben Lesungen und diskutieren aber auch theologische und praktische Fragen", erläutert Sonja Straub. "Ein erklärtes Ziel der Gemeinde ist es, dass der Gottesdienst sich immer auch weiterentwickelt und dass andere und neue Gottesdienstformen erarbeitet und ausprobiert werden."

Neben den kirchlichen Aufgaben ist die Pfarrerin immer wieder gefragt, wenn deutsche Staatsbürger in Not geraten. Sie hilft deutschstämmigen Witwen, einen Rentenantrag zu stellen, und besucht des Drogenhandels Angeklagte im Gefängnis. Als im vergangenen Oktober der fränkische Unternehmer und McFit-Gründer Rainer Schaller und seine Familie mit dem Flugzeug im karibischen Meer 25 Meilen vor Costa Rica tödlich abstürzten, bekam Sonja Straub einen Anruf von der deutschen Botschaft. Sie wurde um ein Trauerritual an der Absturzstelle gebeten. Unter Anwesenheit des Ministers für Sicherheit und des deutschen Botschafters sprach sie Gebete für die betroffene Familie und die Such- und Bergungsteams der Küstenwache.

Im Juli geht es für beide nach sechs Jahren zurück nach Bayern – mit vielen Erfahrungen im Gepäck, wie eine kleine Kirche unter erschwerten Bedingungen und mit weniger finanziellen Mitteln Gemeinde Jesu Christi sein kann.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden