Jedes Jahr am 3. Dezember findet der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung statt. Dieser 1992 von den Vereinten Nationen ausgerufene Tag soll das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen stärken und den Einsatz für ihre Würde und Rechte fördern. 

Im Grundgesetz ist (erst) seit 1994 festgelegt, dass "niemand […] wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" darf. Und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) von 2006 trat in Deutschland erst 2009 in Kraft.

Inklusion in aller Munde, aber...

Heute, Ende 2021, ist das Thema Inklusion zwar in aller Munde, es gibt viele positive Ansätze und vieles wurde schon erreicht. Aber: Begleiten Sie einfach mal eine Person im Rollstuhl am Tag der Müllabfuhr in einer Altstadt mit schmalen, hohen Gehsteigen! Ein Hindernisparcours um Mülltonnen herum, Randstein runter auf die Straße, Randstein hoch… Spätestens dann realisiert man: Der Weg zur Barrierefreiheit – eine Mindestanforderung der Inklusion - ist noch sehr, sehr weit!

Wie sieht es mit Inklusion in der Bildung aus?

Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung auf allen Ebenen und eine Bereitstellung geeigneter Maßnahmen. Doch auch hier geht die Entwicklung eher langsam voran. Im schulischen und mehr noch im außerschulischen Bereich stehen der Inklusion immer noch zu viele Hürden im Weg.

Das Team der Akademie des Caritas-Pirckheimer-Hauses (Akademie CPH) sah und sieht die UN-Behindertenrechtskonvention als Auftrag zur möglichst umfassenden Entwicklung inklusiver Bildungsangebote. Menschen mit Behinderung sollen nicht außen vor bleiben. Und so leistete die Akademie CPH bereits vor 15 Jahren Pionierarbeit auf dem Gebiet der inklusiven Bildung.

Als "Akademie für Alle" entwickelte sie frühzeitig Bildungsformate für Menschen mit Behinderung. Die Angebote im Bereich der historisch-politischen Bildung zum Nationalsozialismus und den Menschenrechten sind schon lange feste Angebote am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände und dem Memorium Nürnberger Prozesse. Ebenso die Angebote im biblischen Bereich, die u.a. mit dem Evangelium in Leichter Sprache seit fast zehn Jahren bundesweite Maßstäbe setzen.

Einbeziehen und Perspektive wechseln

Bei der Entwicklung neuer inklusiver Bildungsformate ist dem Inklusionsteam im Caritas-Pirckheimer-Haus immer wichtig, Menschen mit Behinderung schon in die Entwicklung der Formate miteinzubeziehen. Schließlich sind sie die Expertinnen und Experten in eigener Sache. Auch der Perspektivwechsel ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um die Zielgruppe auch wirklich zu erreichen: Nie von oben herab, sondern von "mittendrin". Was braucht wer in welcher Situation? Das Spektrum von Behinderungen ist groß und individuell völlig verschieden. Daran muss sich inklusive Bildungsvermittlung orientieren  flexibel, vielseitig und individuell.

Aktuelle inklusive Projekte der Akademie CPH

Momentan arbeitet das Inklusionsteam der Akademie CPH an Projekten in drei Bildungsbereichen.

Kulturell

Ganz aktuell leistet das CPH erneut Pionierarbeit, und zwar auf dem Gebiet der inklusiven kulturellen Bildung. Begegnung auf Augenhöhe, Zugang zu kulturellen Einrichtungen für alle und Teilhabe sind die Ziele des von der Aktion Mensch geförderten Projekts "Kultouren für alle". Der erste Ausbildungskurs dieses Projektes endet voraussichtlich im März 2022. Bis dahin haben fünf Kultour-Tandems – je ein Mensch mit und einer ohne Behinderung – ihre eigenen Stadtführungskonzepte erarbeitet, beispielsweise zu: Klarakirche, Germanisches Nationalmuseum, Straße der Menschenrechte oder Heilig-Geist-Spital. Jedes Tandem hat sich sein Thema selbst ausgesucht und zu ganz individuellen Führungen unter ganz besonderen Aspekten gestaltet. Das Ziel ist, dass die Teams ihre Führungen eigenständig durchführen. Ein weiterer Ausbildungskurs startet, so es die Corona-Situation zulässt, im Frühjahr 2022.

Politisch

Der politische Bildungsbereich wird abgedeckt durch das Projekt "Wie geht Demokratie?". Die Akademie CPH bringt ihr in vielen Jahren in der inklusiven politischen Bildung gesammeltes Know-how in das vom Bundesprogramm "Demokratie leben!" geförderte Modellprojekt ein. Mit einer fünfbändigen Buchreihe soll Menschen mit Lernschwierigkeiten ein Grundverständnis von
Demokratie vermittelt werden. Nach Band 1 "Demokratie und ich" (2020) erschien rechtzeitig vor der Bundestagswahl Band 2 mit dem Titel "Wie geht wählen?". Bis 2024 werden drei weitere Bände folgen.

Spirituell

Der religiöse Bereich wird mit dem Projekt "Evangelium in Leichter Sprache" abgedeckt. Unter der Projektleitung von Claudio Ettl und der ehemaligen Mitarbeiterin Sr. Paulis Mels entstanden am CPH bereits mehrere Bände der "Bibel in Leichter" Sprache für verschiedene Lesejahre. Das Projekt wurde von der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus, Katholischem Bibelwerk Stuttgart e.V. und den Franziskanerinnen von Thuine entwickelt. Die "Bibel in Leichter Sprache" ist ein Meilenstein im Bereich der inklusiven Religionsvermittlung. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel schenkte Papst Franziskus bei ihrem Abschiedsbesuch in Rom drei Bände der "Bibel in Leichter Sprache".

Federn als Symbol für die Bibel in Leichter Sprache
Federn als Symbol für die Bibel in Leichter Sprache.

Wann wird der Tag der Menschen mit Behinderung überflüssig?

Die Akademie CPH im Caritas-Pirckheimer-Haus steckt viel Energie und Herzblut in die Weiterentwicklung der inklusiven Bildung. Dennoch ist der Weg zur vollkommenen Inklusion noch weit. Er verlangt viel Unterstützung - vom Bund ebenso wie von jeder einzelnen Person im Land.

Das Ziel muss sein, Inklusion so weit voranzutreiben, dass Menschen "mit Behinderung" eben nicht mehr behindert werden. Das Ziel ist erreicht, wenn der "Internationale Tag der Menschen mit Behinderung" überflüssig wird. Bleibt zu hoffen, dass dies nicht mehr allzu weit entfernt ist.