Gleich in der ersten Schicht weinte jemand am Telefon. Es war ein älterer Mann, ganz höflich und zurückhaltend, dem Akzent nach zu urteilen aus Bayern. Seine Frau war vor kurzer Zeit gestorben und er fühlte sich einsam.

Ich habe ihm dann erzählt, dass auch ich alleine bin. Gemeinsam haben wir dann überlegt, wie er in seiner Gemeinde an Kontakt im Seniorenbereich kommen kann.

Was aus dem Mann geworden ist, ob er die Möglichkeiten genutzt hat, das weiß Evelyne Harder nicht: Das Telefonat war anonym, von ihrer Seite und von seiner - am Ende hatten beide nur einen kurzen Einblick von ihrer beider Leben.

Speziell für ältere Menschen

"Silbernetz" heißt die Einrichtung, für die die 81 Jahre alte Evelyne Harder arbeitet. Nicht nur ältere Menschen sitzen in der Einrichtung in Berlin-Pankow oder im Home Office am Telefon, sondern die verschiedensten Altersklassen: Mehr als 70 Menschen führen hier in Schichten Gespräche - die meisten ehrenamtlich, wie auch Harder.

Ein paar Festangestellte gibt es auch. Was das Silbernetz von der Telefonseelsorge unterscheidet: Es richtet sich ausschließlich an ältere Menschen - bundesweit.

Telefonate gegen die Einsamkeit

Der Ansatz ist pragmatisch. "Unser Angebot lautet: einfach mal reden", sagt Elke Schilling. Bei schweren Themen würden Anrufer im Zweifel weiterverwiesen an Krisentelefone und andere Einrichtungen.

Schilling ist Gründerin und Leiterin des Silbernetzes. 2016 hat sie den Verein gegründet. Den Willen, etwas gegen die verbreitete Einsamkeit ältere Menschen zu unternehmen, hatte sie schon wesentlich länger: Schilling, die heute 78 ist, arbeitete einige Jahre als ehrenamtliche Seniorenvertreterin in Berlin.

"Mir wurde schnell klar, dass ich mit dieser Arbeit nur einen Bruchteil der Senioren erreiche", sagt sie über diese Zeit. Viele Menschen seien schlicht unsichtbar geblieben.

Ein Besuch in Großbritannien brachte sie dann auf ihre Idee: Dort lernte sie die "Silver Line" kennen, eine Seniorenhotline, die nicht nur so ähnlich heißt wie ihr eigenes Projekt, sondern auch ganz ähnlich funktioniert.

„Man erreicht viele Menschen nicht, wenn sie zurückgezogen in ihren Wohnungen leben. Dafür braucht man ganz niedrigschwellige Angebote“

Elke Schilling

Dass diese Angebote dringend nötig sind, geht etwa aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Links-Fraktion vom Dezember 2022 hervor: Demnach ist die Einsamkeit unter älteren Menschen in den vergangenen Jahren stark gestiegen.

Corona förderte Einsamkeit

Habe die Einsamkeitsquote unter Menschen ab 85 Jahren vor der Corona-Pandemie 3,51 Prozent betragen, sei sie im Corona-Winter 2021/21 bei 12,45 Prozent gelegen. Das mag eine Ausnahmezahl sein, doch lässt sich in den Statistiken ein kontinuierlicher Anstieg über die Jahre ablesen.

Vor allem wird das Problem der Einsamkeit nicht nur im Individuum gesehen - sondern als gesamtgesellschaftliches betrachtet: "Einsamkeit hat einen negativen Einfluss auf die demokratische Teilhabe, wie die Beteiligung an Wahlen sowie das Vertrauen in politische Institutionen", heißt es in der Antwort der Bundesregierung.

Die Kleinigkeiten zählen

Und oft ist ja gar nicht so viel nötig. Häufig sind es einfach die Kleinigkeiten, die einem Menschen das Gefühl von Einsamkeit nehmen, wie Silbernetz-Mitarbeiterin Evelyne Harder erzählt.

"Mich rufen auch Menschen an, die einfach sagen wollen: 'Jetzt habe ich gerade die Wohnung geputzt, jetzt dusche ich, nachher gibt es Schnitzel und Kartoffelsalat.' Das Gespräch, wie man es mit Freunden oder den Nachbarn geführt hat, ist ganz wichtig." Nicht jeder habe noch Freunde oder Nachbarn - dafür gebe es dann das Silbernetz unter der Nummer 0800 470 80 90.

Hilfe bei Suizidgedanken

Ihr denkt an Suizid, macht euch um jemanden Sorgen oder habt einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren? Hier findet ihr Erste-Hilfe-Tipps und Notfallkontakte sowie weiterführende Informationen zur Bewältigung dieser Notsituation

Zögert bitte nicht, bei der Telefonseelsorge anzurufen:

Evangelisch: 0800 1110111 (24 Stunden erreichbar, 7 Tage die Woche)

Katholisch:  0800 111 0 222 (24 Stunden erreichbar, 7 Tage die Woche)

Gemeinsam: 116 123

Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche: 116 111 (Montag bis Samstag 14 - 20 Uhr)
Nummer gegen Kummer für Eltern: 0800 - 111 0 550 (Montag bis Freitag 9 – 17 Uhr, Dienstag und Donnerstag bis 19 Uhr)

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