Die Passionsspiele Oberammergau sind aus der Sicht des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, eine Herausforderung für Menschen heute und ein Geschenk. Beim ökumenischen Eröffnungsgottesdienst, den Marx gemeinsam mit dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm im Oberammergauer Passionstheater feierte, sagte er, die Spiele seien eine Einladung, mit den Augen Jesu von Nazareth zu sehen. Diese Blickrichtung weise auf Gott selbst. Die Passionsgeschichte gebe "eine Ahnung, was es bedeutet, wenn wir ‚Gott‘ sagen." Es gehe um die Herausforderung, "unser Leben danach auszurichten".

Seit Menschen auf der Welt seien, fügten sie sich Leid zu, sagte Marx weiter: "Immer wieder bricht das aus - das muss uns erschrecken." Die Passionsspiele seien ein Aufruf, "die Gewalt zu überwinden, ihr nicht den letzten Platz zu geben in der Geschichte, sondern einen vorläufigen". Wenn man diesen Gedanken aufnehme, nehme man die Leidensgeschichte anders wahr, "auch als Auftrag, mitzuwirken, teilzuhaben an der Überwindung der Gewalt".

Jesu Verzweiflung am Kreuz und die Frage "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" sei nichts Vergangenes, sagte der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm laut Redemanuskript. Dieser Schrei halle einem auch entgegen aus den Ruinen der Geburtsklinik in Mariupol, aus den Luftschutzkellern in Charkiw und aus den Häusern der Mütter russischer Soldaten, die die Todesnachricht ihrer gefallenen Söhne bekommen haben.

Durch die Passionsspiele in dem kleinen oberbayerischen Ort in den Bergen komme das Leid so vieler, das von der Weltöffentlichkeit häufig kaum beachtet werde, zurück ins Bewusstsein. Da seien die Opfer des Klimawandels in Ostafrika oder diejenigen, die - wie damals Jesus - noch heute wegen ihres Glaubens oder wegen ihrer politischen Überzeugungen verfolgt werden, sagte Bedford-Strohm, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Auch erwähnte er die Opfer antisemitischer oder rassistischer Hetze ebenso wie alle, die nach zwei Jahren Pandemie erschöpft ihren Lebensmut verloren haben.

"Sie alle sind da, hier an diesem Ort, an dem jetzt gleich die Geschichte vom Leiden Jesu dargestellt wird und an dem darin die Geschichten aus unserem eigenen Leben erzählt werden", sagte Bedford-Strohm. Die Passionsgeschichte sei "alt und doch so aktuell" - und sie könne helfen, inneren Frieden zu finden.

Der ökumenische Eröffnungsgottesdienst fand statt kurz vor der Premiere des internationalen Großereignisses, das nur alle zehn Jahre veranstaltet wird und die Geschichte vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu erzählt. Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Passion zuletzt um zwei Jahre verschoben werden. Mitgestaltet wurde der Gottesdienst auch vom anglikanischen Erzbischof Thabo Makgoba aus Südafrika.

Rund um die Passionsspiele, die nun bis zum 2. Oktober stattfinden, bieten die Kirchen in Oberammergau ein Rahmenprogramm an. So gibt es Gottesdienste in der evangelisch-lutherischen Kreuzkirche und in der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul. Im Gemeindehaus der Kreuzkirche, das in unmittelbarer Nähe zum Passionstheater steht, besteht in den Spielpausen die Möglichkeit zu Gespräch und Begegnung. Auch gibt es einen Passionsweg durch Oberammergau mit Stationen und spirituellen Impulsen.