"Das ist Israels 11. September", schrieb die Jerusalem Post in einem Kommentar. Andere sprachen von einem "Pearl Harbor"-Moment. Auch der Hamas-Angriff fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Beginn des Jom-Kippur-Kriegs dürfte tiefgreifende Folgen haben. Damals wurde das Land ebenfalls völlig überrascht. Auch der 7. Oktober 2023 wird Epoche machen.

Schon jetzt steht fest, dass sich an diesem Datum der für Juden blutigste Pogrom seit dem Holocaust ereignete – und das im eigenen Land. Eylon Levy, ein ehemaliger Sprecher des israelischen Präsidenten Isaac Herzog, postete: "Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass gestern der dunkelste Tag in der jüdischen Geschichte seit dem Ende des Holocausts war." Times of Israel-Reporter Lazar Berman äußerte sich ähnlich: "Am 7. Oktober 2023 wurden die meisten Juden an einem einzigen Tag seit dem Holocaust abgeschlachtet."

Getötet, vergewaltigt, geschändet – weil sie Juden waren

Die Behauptung scheint zuzutreffen. Es gab seit 1945 blutige Tage für die Juden in Israel und auf der ganzen Welt, aber an keinem war die Zahl der zivilen Opfer so hoch. In den Kriegen Israels starben insgesamt viel mehr Menschen, doch in keinem wurden so viele Zivilisten an einem einzigen Tag ermordet.

Auch im Jom-Kippur-Krieg, bei dem in drei Wochen 2500 israelische Soldaten fielen, starben nur sehr wenige Zivilisten. Bei der blutigen zweiten Intifada starben zwischen Ende des Jahres 2000 bis Mitte 2005 "nur" rund 1000 israelische Zivilisten. Beim Bombenanschlag auf das Jüdische Zentrum AMIA in Buenos Aires 1994, den das American Jewish Committee als "den tödlichsten antisemitischen Anschlag außerhalb Israels seit dem Holocaust" bezeichnete, starben 85 Menschen.

Die übergroße Mehrzahl der nun getöteten Menschen wurde von den Hamas-Terroristen getötet – nicht, weil sie "militärische Ziele" darstellten, sondern weil sie Juden waren. 

Die schändliche "Beide Seiten müssen jetzt"-Forderung

Auch protestantische Organisationen haben sich rasch zu dem Hamas-Blutbad vom Wochenende geäußert. Der Lutherische Weltbund (LWB) zeigte sich "zutiefst besorgt über die Attacken der Hamas auf Städte und die Zivilbevölkerung in Israel sowie die folgenden Aktionen der israelischen Armee". LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt erklärte: "Beide Parteien müssen Zurückhaltung üben, die Sicherheit der Zivilbevölkerung gewährleisten und dringend auf friedliche Lösungen hinarbeiten."

Der Weltkirchenrat (ÖRK) schaffte es in seiner Mitteilung zu verschweigen, dass ein Überfall durch die Hamas auf Israel stattgefunden hatte. Statt dessen sprach der ÖRK distanziert von einem "Ausbruch der Feindseligkeiten" am 7. Oktober. Der südafrikanische ÖRK-Generalsekretär Jerry Pillay forderte einen sofortigen Waffenstillstand und "Deeskalation auf beiden Seiten".

Doch das Blutbad des vergangenen Wochenendes, es ist nicht irgendwie "ausgebrochen". Es gab Täter, die es verübten. Und es gab Politiker, die es befahlen. Ein "sofortiger Waffenstillstand" bedeutet Straflosigkeit für die Täter. Einschließlich der Möglichkeit, dass sich Vergleichbares jederzeit wiederholt.

Für jeden der den Ablauf der Ereignisse verfolgt und nur einige der grauenvollen Bilder gesehen hat, sind solche "Beide Seiten"-Aussagen nur schwer erträglich.

Selbstverteidigung mit dem Ziel "Nie wieder!"

Wer Kinder und demente Omas entführt und diese dann im Internet vorführt und demütigt, wer Familien kaltblütig in ihren Wohnungen erschießt, wer verängstigte junge Frauen schändet, von einem Musikfestival verschleppt und nackte Leichen durch die Stadt schleift, der ist kein "Widerstandskämpfer" oder "Kämpfer" oder "Militanter", wie das sogar in den Online-Medien der Öffentlich-rechtlichen zu lesen war. Er ist ein Terrorist und ein Verbrecher. Und dieser Terror darf sich niemals wiederholen können. Es braucht eine entschlossene und nachhaltige Reaktion, die den palästinensischen Terrorgruppen für lange Zeit die Mittel nimmt, derartige Massaker und Verbrechen zu verüben. 

Nach einem Verbrechen das Opfer dazu aufzurufen, zu "deeskalieren", ist nichts anderes als zynisch. Vielleicht ist es böse, mindestens ist es dumm. Auch aus den deutschen Muslimverbänden kamen solche empörenden Beschwichtigungen, denen man zudem die Qual, die Hamas verurteilen zu müssen, deutlich anmerkte. Dass sich die protestantischen Weltkirchen in nicht unähnlicher Weise äußern, ist eine Schande für alle Christen.

Warum wussten die israelischen Nachrichtendienste nichts?

Der Hamas-Überfall hat Israel völlig unvorbereitet getroffen. Dabei gelten die israelischen Nachrichtendienste als weltweit hervorragend und stets gut informiert nicht zuletzt über das, was im Lager der Palästinenser vor sich geht. Warum trafen die Attacken Israel so überraschend? Nicht wenige sprechen davon, dass dieses gewaltige Sicherheitsversagen Premier Benjamin Netanjahu nach dem Krieg das Amt kosten könnte. Doch vorerst ist das gespaltene Land zusammengerückt, um sich zu verteidigen. Am Ende könnte es "Bibi" gehen wie Golda Meir nach dem Jom-Kippur-Überfall 1973: Man wird ihm anlasten, dass es dazu kommen konnte. Andererseits hat Israels Dauer-Premier eine enorme Skandal-Resilienz und schon immer weit weniger Charakter gezeigt als Israels erste und bisher einzige Premierministerin.

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