Vier Tage lang gab es Geschrei, bis das "umstrittene Banner", so die Formulierung, auf die sich die Öffentlichkeit zum Schluss einigte, endlich entfernt wurde. Die Kasseler ­documenta bot vergangene Woche ein Beispiel für Versagen mit Ansage. Auf der Kunstschau war eine Installation zu sehen, die in ihrer Primitivität und Aggressivität nur schwer oder eigentlich gar nicht zu ertragen war.

Ein Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit eindeutig antisemitischen Darstellungen einfach unkommentiert hängen zu lassen, dann zu verhüllen, wodurch es noch mehr Aufmerksamkeit erhielt, aber kein Mahnmal mehr sein konnte, hat die renommierte documenta schwer beschädigt.

Aus dem Schandmal wird ein Mahnmal

In einer merkwürdigen Parallelität der Ereignisse hat kurz vor der documenta der Bundesgerichtshof (BGH) zur "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche geurteilt. Auch hier geht es um ein Dokument der Judenfeindschaft. Muss seit Jahrhunderten in Stein gemeißelter Judenhass an einer Kirche entfernt werden, wie der Kläger fordert?

Nein, befand das oberste deutsche Zivilgericht. Das Relief aus dem 13. Jahrhundert sei zwar beleidigend – durch das Anbringen einer Bodenplatte und einer Tafel mit erläuterndem Text habe die Kirchengemeinde das "Schandmal" jedoch in ein "Mahnmal" umgewandelt. Die beklagte Kirchengemeinde habe sich somit ausreichend distanziert.

Gift der Judenfeindschaft

Reicht das wirklich aus? Der Kläger will nun vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Aber auch die Kirchen sollten das Urteil nicht zum Anlass nehmen, sich bequem zurückzulehnen. Sie sollten in den Blick nehmen, wo in ihren Reihen das Gift der Judenfeindschaft bis heute wirkt.

Vom christlichen Antijudaismus und Judenhass, dem auch Martin Luther, je älter er wurde, mehr und mehr verfiel, führt die Spur in den modernen Antisemitismus und bis nach Auschwitz.

"Israelkritik" ist sehr beliebt

Auch nach Auschwitz lebt der alte Judenhass weiter, mitunter neu verkleidet. Israel ist die Schnittstelle, die "Judensäue" an mittelalterlichen Kirchen, heutige christliche Judenfeindschaft und zeitgenössische "Judensäue", wie nun auf der documenta, verbindet: "Mossad" stand auf einem der antisemitischen Bildelemente der indonesischen Künstler.

In der Kulturszene, aber auch unter nicht wenigen Christen ist "Israelkritik" sehr beliebt. Doch wo kippt diese in "israel­bezogenen Antisemitismus" um? Ihr schlimmes Erbe verpflichtet die Kirchen, sehr genau hinzuschauen, wo Kritik am jüdischen Staat und Boykottaufrufe gegen ihn in Wahrheit nichts anderes sind als alter Judenhass in neuem Gewand.