Kikeriki - schreit Tutu aus vollem Hals. Der Hahn, der im Pfarrhof von St. Sebald in der Nürnberg Altstadt seine fünf Hennen zusammenruft, irritiert die Passanten. Hühner erwartet an einem zugepflasterten Platz mit der großen steinernen Sebalduskirche niemand. "Das ist ungewohnt", räumt der Pfarrer der Kirche, Martin Brons, ein. 

"Aber im Großen geht es um die Frage: 'Wie leben wir in der Stadt?' und was heißt Grün in der Stadt und was heißt Lebensqualität", erläutert Brons.

Klar, nicht jeder habe die Möglichkeiten, mitten in der Altstadt ein Familienprojekt "Hühnerstall" zu realisieren, räumt Brons ein. Seine Frau, die elfjährigen Zwillingssöhne und er haben es vor einem Jahr begonnen. Hinter einer Sandsteinmauer ist ein üppiger "Bauerngarten" entstanden. In Gemüsebeeten gedeihen Lauch, Zucchini und Kräuter, in zwei Stöcken produzieren Bienen Honig, die Zwerghennen der Rassen Wyandotten und Araucaner picken und wuseln auf einem Stück Wiese und liefern der Pfarrersfamilie jeden Tag vier bis fünf Eier.

Wer will noch in der "Steinernen Stadt" leben

Vor dem Zweiten Weltkrieg habe es in Nürnbergs Altstadt mehrere solcher "Gräslein" gegeben, sagt Michael Taschner vom Vorstand der Altstadtfreunde Nürnberg. Das waren Gärten hinter einem Rückgebäude, wenn es dort zum Nachbargrundstück noch Fläche gab. "Aber üppig war das Grün in der Innenstadt noch nie", stellt Taschner fest und ein Blick in den Bayernatlas mit einer Karte von 1860 bestätigt das.

Dass es immer wenig Bäume in der mittelalterlichen Stadt gegeben habe, müsse ja nicht heißen, dass sich nichts verändern dürfe, ist die Meinung von Architekturstudent Max Kolb. Die beim Wiederaufbau nach dem Krieg entstandene steinerne Stadt biete eine "Hyperrealität" vergleichbar mit Disneyland. Schön für die Touristen, "aber wer will da eigentlich noch leben?".

Die Stadt sei zu 100 Prozent versiegelt, sagt Kolb. Eine moderne Stadt müsse aber außer Straßen und Parkplätzen für Autos und Wege für Fußgänger noch mehr bieten. Seine Kommilitonin Silvie Arndt und er waren bei dem Projekt dabei, das die Kirchengemeinde St. Sebald zusammen mit der dem Architekturprofessor Michael Stößlein von der Technischen Hochschule gestartet hatte. Unter dem Motto "Entsiegelt Nürnberg" sollten sie Planungsideen sammeln, wie man das Umfeld der Kirche zu begrünen könnte.

Zunehmende Hitze trifft vor allem Ältere

Weil ihr Projekt viel mediale Beachtung fand, hofft Silvie Arndt, dass die Vorschläge nicht verpuffen. Max Kolb ist nicht optimistisch. "Die Mühlen mahlen viel zu langsam", betont er. Er weist auf die jüngste Wetterkatastrophe in Italien hin:

"Wir sind doch beim Thema Klima jetzt schon zu spät dran."

Im Jahr 2022 gab es in Deutschland gemittelt mehr als 17 heiße Tage⁠, an denen Temperaturen von 30 Grad oder mehr gemessen wurden, stellt das Umweltbundesamt fest. Deutschland habe zukünftig mit länger anhaltenden Hitzeperioden und somit einer steigenden Anzahl heißer Tage zu rechnen. Besonders wirken sich die Temperaturen in dicht bebauten Städten aus, in denen der Wind nicht durch die Gassen wehen kann. In Tropennächten kann es bis zu zehn Grad Temperaturunterschied zum Land geben. Die Stadt wird zur "Wärmeinsel".

Auf dieser Wärmeinsel liegt das Seniorenheim Lorenzer Stift. "Ältere Menschen können nicht gut schwitzen, die Schweißdrüsen sind mitgealtert", erklärt Heimleiterin Sabine Ramsauer. Bei einer Hitzewelle mit tropischen Nächten mit über 20 Grad Celsius, in denen der Körper keine Abkühlung mehr finde, seien sie stark gefährdet.

"Die Bewohnerinnen und Bewohner und die Angehörigen jammern über die Hitze und ertragen die Situation tapfer",

beschreibt es Ramsauer. Leider sei das Haus nicht mit Klimaanlagen ausgestattet, "wir behelfen uns mit Ventilatoren". Die Anschaffungs- und Energiekosten und auch die Mehrarbeit der Pflege- und Betreuungskräfte im heißen Sommer würden nicht refinanziert.

Mehrere Sonnnenhüte in verschiedenen Farben hängen an einem Hutständer. in dem Raum, in dem dieser steht, sind die Rollläden heruntergelassen.
Sonnenhüte der Bewohnerinnen und Bewohner des Lorenzer Stift

Klimaanpassung beim Wohnungsbau

Begrünung ist die Zauberformel, die Umweltforscher empfehlen, um mehr Frische in die Stadt zu bekommen. Hoffnung setzen viele Nürnberger daher auf die 2030, wenn hier die Landesgartenschau stattfindet. Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels soll dann im Mittelpunkt stehen, heißt es in der Bewerbungsbroschüre der Stadt. "Maßnahmen zur Entsiegelung und Begrünung von Flächen, die Versickerung und Speicherung von Regenwasser und der Umgang mit Starkregen", werden unter anderem versprochen.

Immer mehr Wohnungsbauunternehmen versprechen die Städte gegen Hitze und starken Regen fit zu machen. Das Evangelische Siedlungswerk (ESW) hat im Projekt Westwinkel habe man an Dachbegrünung, Drainpflaster, Mulden, Flächendrainage und mehr gedacht, erklärt Sprecherin Elaine Eckert. Ein Bauabschnitt durchlaufe die Zertifizierung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Dort würden alle tragenden Bauteile aus zertifiziertem Holz errichtet. Dachgärten, Biotop-Anreicherung für Insekten und acht Nistkästen für Turm- und Wanderfalken sind geplant.

Das ist natürlich nicht vergleichbar mit den Hühnern und dem Gemüse im Gräslein des Pfarrers von St. Sebald. Aber mit den Visionen, die als Parkplatz genutzte Freiung rund um die Kirche zu entsiegeln, dort vielleicht Kräuter anzubauen oder lauschige Ecken zu schaffen, pflanzt sich die grüne Idee allmählich fort.

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