Sehnsuchtsort Prien am Chiemsee 

Babakar Segnane ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er betreibt in seinem Dorf Musa im Senegal mit zehn Angestellten Gemüseanbau, eine Hühnerzucht und ein Restaurant an der Hauptstraße samt Veranstaltungssaal für Familienfeiern. Das Restaurant trägt den klangvollen Namen "Prine am Kinze" - in Erinnerung an jene Menschen im oberbayerischen Prien am Chiemsee, die ihm 2017 einen Neustart ermöglicht haben.

Mit Babakar ging alles los. 2015 war er, nach gefährlicher Flucht, am Chiemsee gestrandet.

"Er hatte so eine Power, wollte mithelfen, hatte keine Berührungsängste", erinnert sich Helke Fussell, Vorsitzende des Vereins Vision Yamalé.

Doch schnell war klar, dass der junge Mann den Traum von einer besseren Zukunft in Deutschland nicht würde verwirklichen können.

Gründung des Vereins Vision Yamalé

Dem Ablehnungsbescheid folgte Babakars Resignation - und der Wunsch seines Helferkreises, ihn nicht allein zu lassen. Es war die Geburtsstunde des Vereins Vision Yamalé, der seither ein gutes Dutzend Geflüchtete bei ihrem Neustart in der Heimat unterstützt hat.

Yamalé kommt aus der senegalesischen Sprache Wolof und bedeutet "Beziehung auf Augenhöhe". Für Helke Fussell und ihre Mitstreiter heißt das: mit den Männern einen Businessplan erarbeiten, bei dem deren Expertise und Landeskenntnis im Zentrum stehen. Mit offiziellen Mitteln und Spendengeldern den Grundstock für ein Start-up sammeln.

Und dann die Rückkehr und den Neustart daheim begleiten. Im Idealfall solange, bis die jungen Leute mit ihren Projekten - vom Malergeschäft bis zur Schweißerwerkstatt, von der Landwirtschaft bis zum Tante-Emma-Laden - auf eigenen Beinen stehen.

Probleme bei Rückkehrprogrammen von Asylbewerber

Die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland ist seit 40 Jahren ein Baustein der deutschen Migrationspolitik. Abgelehnte Asylbewerber können verschiedene finanzielle Mittel zur Rückkehr beantragen. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge reisten im Jahr 2022 genau 7877 Personen mithilfe der offiziellen Rückkehrprogramme aus Deutschland aus. Dieser Zahl standen laut Statistik 304 308 ausreisepflichtige Personen gegenüber.

Dass kaum abgelehnte Asylbewerber die Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen, hängt für Helke Fussell mit verschiedenen Faktoren zusammen. Viele hätten - im Heimatland wie in Deutschland - schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht und seien misstrauisch. Finanzielle Mittel flössen oft erst mit monatelanger Verspätung - eine existenzielle Hängepartie für die Rückkehrer. Und die Intensität der Begleitung hänge, vor allem bei lokalen Reintegrationsprogrammen, stark vom jeweiligen Berater ab.

"Die offiziellen Programme sind eine tolle Sache", findet Fussell, die die geltenden Asylregeln durchaus begrüßt. "Aber es fehlt das Herz: Niemand verpflichtet sich auf den Erfolg dieser Menschen."

Dialog und Begegnung im "Café Touba"

Mehr Herz und mehr Initiative, das sind für die gelernte Hotelkauffrau und Gelassenheits-Coachin die Schlüssel zum Gelingen einer Gesellschaft. Deshalb haben Vision Yamalé und die evangelische Gemeinde Prien das Projekt "Café Touba" ins Leben gerufen, das von der Landeskirche als MUT-Projekt gefördert wird. MUT steht für missional, unkonventionell und "Tandem" - dabei sollen Kirchengemeinden mit externen Partnern neue Kreise und Themen erschließen.

Einmal im Monat lädt das Café Touba Afrikaner und Deutsche zum Dialog ins Gemeindehaus.

"Die Fragen lauten: Wo stehst du? Was ist die Herausforderung für deine Familie, für dein Land?", zählt Helke Fussell auf.

Schon indem man darüber spräche, kämen Menschen vom Reden ins Handeln. Unterstützt wird das Ganze durch den Leitsatz der südafrikanischen Ubuntu-Philosophie: "Ich bin, weil du bist" - alle sind Teile des Ganzen:

"Es geht um ein Gefühl der Verbundenheit, um echte Beziehungen, und darum, sich in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen."

Für die deutschen Teilnehmer bedeute das manchmal, Bedenken, Berührungsängste und Bequemlichkeit abzulegen und aktiv zu werden. Für die afrikanischen Teilnehmer bedeute es, sich aus ihren starken familiären Verpflichtungen zu lösen:

"Der Gedanke, dass die Familie alles teilt, funktioniert nicht als Unternehmer", sagt Fussell, die früher eine IT-Firma mitaufgebaut hat. Manche ihrer Schützlinge bei Vision Yamalé hätten das begriffen. "Sie sagen: Schick mir das Geld erst, wenn ich es für eine Investition brauche."

Mehr gesellschaftliche Wechselseitigkeit wagen 

Fussell will mehr, als ein paar Geflüchteten eine Zukunftsperspektive zu geben. Ihr Traum ist, mithilfe des Ubuntu-Gedankens gesellschaftliche Veränderungen in Gang zu bringen - in Afrika und in Deutschland. Zu diesem Zweck stößt sie regionale Ubuntu-Unternehmerkreise in den Heimatländern "ihrer" Geflüchteten an.

Sie sollen als Keimzellen die neue Art des Wirtschaftens bei ihren Landsleuten bekannt machen. Das Café Touba wiederum soll mit seinem Konzept von Dialog und Begegnung in Oberbayern Ableger bilden und Menschen zusammenbringen.

"Wo sitzt der Schmerz? Was ist als Nächstes nötig?" - mehr Fragen braucht es für Helke Fussell nicht, um die Ärmel hochzukrempeln.

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