Es ist ein Ausharren unter widrigen Bedingungen, bei Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius. Hunderte Flüchtlinge und Migranten sitzen in Tunesien an der Grenze zu Libyen fest. Vergangene Woche wurden sie Berichten zufolge von Sicherheitskräften dorthin deportiert.

Immer wieder schicken Migranten Bilder, Videos und Sprachnachrichten an Medienschaffende und Hilfsorganisationen. "Es gibt viele Verletzte. Hier sind Kinder und Frauen. Wir haben nichts mehr zu trinken. Eine Frau hat heute Morgen ein Kind geboren und ist gestorben. Das Baby ist auch tot", heißt es in einer Nachricht, die auch dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Schilderungen nicht.

Am Sonntag erlaubte Tunesien erstmals Helfern des Roten Halbmonds den Zugang zu den Migranten. Rund 200 Migranten hätten sich bereiterklärt, in ihre Heimatländer zurückzukehren, sagte eine Sprecherin des Hilfswerks der staatlichen tunesischen Nachrichtenagentur TAP.

Journalisten am Betreten gehindert

Zuvor waren sowohl Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisationen daran gehindert worden, sich in das militärische Sperrgebiet zu begeben. Die Gruppe von mehreren hundert Menschen, die sich auf Höhe des Grenzübergangs Ras Jdir an der tunesisch-libyschen Grenze befindet, wird nach Angaben der Migranten von Sicherheitskräften beider Seiten daran gehindert, sich von dort zu entfernen.

Den Deportationen vorausgegangen waren Auseinandersetzungen zwischen Tunesiern und Migranten in der Hafenstadt Sfax. Die zweitgrößte Stadt des nordafrikanischen Landes war in den vergangenen Monaten zur Drehscheibe irregulärer Migration nach Europa geworden. Ende Juni hatten Einwohner der Stadt gegen die Präsenz von Migranten und Geflüchteten protestiert. Anfang Juli starb ein Tunesier unter noch ungeklärten Umständen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen. Seitdem werden schwarze Migranten zunehmend angegriffen. Viele von ihnen haben ihre Unterkunft verloren und harren seit mehr als in einer Woche in Parks und auf der Straße aus.

Menschen misshandelt und in der Wüste ausgesetzt

Laut der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" (HRW) wurden zwischen dem 2. und 6. Juli schließlich mehrere hundert Migrantinnen und Migranten von Sicherheitskräften in Bussen in das tunesisch-libysche Grenzgebiet gebracht. Darunter seien auch Personen, die sich regulär in Tunesien aufhalten, zum Beispiel als Studierende oder als anerkannte Flüchtlinge. Es sei skrupellos, Menschen zu misshandeln und in der Wüste auszusetzen, sagte die HRW-Expertin für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten, Lauren Seibert. Die kollektive Ausweisung verstoße zudem gegen internationales Recht.

Tunesiens Regierung äußerte sich widersprüchlich zu den Vorwürfen. In einem Gespräch mit Regierungschefin Najla Bouden erklärte Präsident Kais Saied laut einer Pressemitteilung, dass Migranten menschlich behandelt und von den Sicherheitskräfte beschützt würden. Die Berichte seien "koloniale Falschmeldungen" aus dem Ausland.

Bei einem Treffen mit dem Leiter des tunesischen Roten Halbmonds, Abdellatif Chabou, sprach Saied von Menschen, die "an den Grenzen auf tunesischem Boden festsitzen" und "vertriebenen Migranten" - ohne jedoch für die Situation Verantwortung zu übernehmen oder die Urheber der Vertreibung zu benennen.

EU gibt mehr als eine Milliarde für "Grenzmanagement"

Bereits im Februar war es in Tunesien zu Angriffen auf Migranten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara gekommen. Damals hatte Präsident Saied erklärt, es gebe kriminelle Bestrebungen, die Demografie des Landes zu ändern, indem man "Horden von Migranten" dort ansiedele – und somit die Verschwörungstheorie vom "Großen Austausch" aufgegriffen, die die Neue Rechte in Europa erfunden und verbreitet hat. Daraufhin war die Zahl der Fluchtversuche übers Mittelmeer stark angestiegen.

Ungeachtet der Rhetorik Saieds hatten verschiedene europäischen Staaten zuletzt den Druck auf Tunesien erhöht. Neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) waren Anfang Juni EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni zu Verhandlungen über ein Migrationsabkommen zu Besuch. Von der Leyen hatte dabei europäische Hilfsgelder von mehr als einer Milliarde Euro in Aussicht gestellt sowie Unterstützung beim "Grenzmanagement".

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