Predigttext

zum 5. November 2023 (22. Sonntag nach Trinitatis)

Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. Ich schreibe euch Vätern; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden. Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr habt den Vater erkannt. Ich habe euch Vätern geschrieben; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.
1. Johannes 2, 12-14

"Unser Religionslehrer heißt Falkenberg. Er ist klein und dick und hat eine goldene Brille auf. Wenn er was Heiliges redet, zwickt er die Augen zu und macht seinen Mund spitzig. Er faltet immer die Hände und ist recht sanft und sagt zu uns: ›ihr Kindlein‹. Deswegen haben wir ihn den Kindlein geheißen." So schreibt Ludwig Thoma in der Erzählung "Der Kindlein" in den Lausbubengeschichten. Vielleicht haben Sie die Szenen der schönen Verfilmung vor dem inneren Auge.

Mit "ihr Kindlein" lässt sich keiner gerne anreden. Egal, ob die Anrede im Blick auf das Alter erfolgt, von den Eltern kommt oder im geistlichen Sinne verwendet wird – es wird "ihr Kindlein" in diesem Sinne wohl eher mit Unmündigkeit, Abhängigkeit, Hilflosigkeit verbunden. Wer andere "verkindlicht", macht sie klein. Von afrikanischen Sklaven wurde noch vor 150 Jahren oft gesagt, sie seien ja "wie Kinder" und bräuchten gerade daher väterliche Strenge und Vormundschaft. Was für eine furchtbare und sündhafte Verbrämung knallharter Interessen und Machtfragen!

Auch der Apostel beginnt diesen Absatz mit "Liebe Kinder", und dann geht es gleich auch noch um Sünde. Aber: Kinder können nach biblischem Menschenbild nicht sündigen. Wenn jemand also ein Kind ist, muss jemand anderes Verantwortung für Untaten übernehmen, in diesem Falle Gott, der sich als Vater erkennen lässt und in der Taufe in seinem Namen Menschen als Kinder annimmt. Die Sünden fallen auf den "großen Bruder" Jesus und werden damit hinfällig.

Es ist im Glauben eben gerade anders als sonst üblich: Wo Kind-Sein meist Entmündigung bedeutet, meint es hier Freiheit. Gott schafft gerade als der Vater, wie Jesus ihn uns nahebringt, die Möglichkeit einer echten Beziehung.

Schon als der Brief geschrieben wurde, war das sicherlich provokant. Väter sucht man sich genauso wenig aus wie Kinder oder Geschwister. Man muss mit ihnen leben. Für diesen Vater aber kann ich mich entscheiden und dieser Vater hat sich schon für mich entschieden. Mit ihm dürfen wir neu leben.

"Der Kindlein" ist gerade deswegen so unangenehm, weil er ein zentrales Element des Evangeliums verkürzt und verdreht. Denn gemeinsame Kindschaft bedeutet, dass Machtgefälle, wie beispielsweise damals zwischen Vätern und Söhnen üblich, wegfallen. Als Glaubende sind wir nicht mehr nur Väter oder Mütter oder junge Frauen und Männer. Zuerst und vor allem sind wir Kinder Gottes und untereinander Geschwister.

Die eigenen Kinder und Eltern als Geschwister des himmlischen Vaters zu begreifen, das ist eine wirkliche Aufgabe mit Verheißung. Eltern können Lebenserfahrung und junge Leute ihre Energie in neuer Weise einbringen. Das "Böse" bleibt wohl die Versuchung, Beziehungen als Machtfragen zu betrachten. Dank Gott können wir das aber überwinden.

Vielleicht kennen Sie Vorgesetzte, die "väterlich" sind, aber gerade nicht im Sinne der Macht, sondern im Sinne des Vertrauens und der Freiräume. Auch da deutet sich an, dass "Familie" anders verstanden werden kann.

Bei Taufen ist mir persönlich immer wichtig, die anwesende Gemeinde als Zeuginnen und Zeugen für die Taufe zu benennen und alle Anwesenden daran zu erinnern, dass das Kind nun auch Schwester oder Bruder in Christus ist. Schon bei den Taufgesprächen spreche ich das an und bin immer wieder überrascht, was das für viele Eltern bedeutet. Es ist auf der einen Seite eine Entlastung, da der Vater im Himmel Wachsen und Werden begleiten wird. Es ist auf der anderen Seite immer eine "Auf-Gabe".

Das Ziel des Handelns unseres ewigen Vaters ist die neue Welt, auf die hin wir in Hoffnung, Glauben und Liebe wachsen und werden. Und wir dürfen schon in unseren ersten und engsten Beziehungen im Glauben Teil daran haben und Teil daran schenken. Welch eine Gabe!

 

Gebet

Vater,
hilf mir heute und morgen, mein Leben neu zu verstehen.
Amen.

 

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Leider haben wir im gedruckten Sonntagsblatt zum 5. November 2023 (22. Sonntag nach Trinitatis) versehentlich bereits die Andacht von Dorothea Greiner zum Predigttext der kommenden Woche (Römer 8, 18-24; Drittletzter Sonntag des Kirchenjahrs) gebracht. Wir veröffentlichen daher die "richtige" Andacht ausnahmsweise online. In jedem Sonntagsblatt finden Sie einen kurzen Impuls zum Predigttext des Sonntags. Abonnieren Sie jetzt!

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