"Jeder und jede von uns hat seine und ihre eigenen Zugänge zu dieser Geschichte."

Die Ostergeschichte ist ein richtiger Thriller. Der Held der Geschichte, Jesus von Nazareth, erlebt und erleidet von Verrat, über Verspottung und Folter bis hin zu Tod und wundersamer Auferstehung weitaus mehr, als üblicherweise in ein Leben passt. Was sagt uns diese Geschichte heute in Bezug auf unser eigenes, weit weniger wundersames Leben?

Wolfgang Reinbold: Die Geschichte enthält in der Tat so vieles, dass es auf diese Frage keine allgemeine Antwort gibt, sondern sehr viele und höchst individuelle Antworten. So ist es schon in den neutestamentlichen Evangelien. Alle vier Evangelien erzählen die Geschichte vom Leiden, Sterben und Auferwecktwerden des Jesus von Nazareth, und sie tun dies je auf ihre Weise. Es ist nicht die eine Geschichte, mit einem immer gleichen, womöglich formelhaft wiederholten Lehrsatz, die hier erzählt wird. Sondern es sind vier Geschichten mit sehr eigenen Akzenten. So ist es bis heute: Jeder und jede von uns hat seine und ihre eigenen Zugänge zu dieser Geschichte.

Gerade in unseren Zeiten, in denen Kriege Tod und Verheerung bringen und große Krisen mutlos in die Zukunft blicken lassen, klingt eine Auferstehungsgeschichte zu schön, um wahr zu sein. Wie lässt sich heute etwas von dieser Botschaft mit ins eigene Leben nehmen?

Ich kann letztlich nur für mich selbst sprechen. Mir fällt in diesen kriegerischen Zeiten auf, wie gewalttätig diese Geschichte im Kern ist. Das geht ja in der Kirche manchmal unter, weil wir im Vorhinein wissen, wie die Geschichte ausgeht. Wir haben uns an sie gewöhnt. Wenn ich aber ein paar Schritte zurücktrete und für einen Moment versuche, diesen Schleier der Gewöhnung zu entfernen, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Es ist eine grausame Geschichte, die hier erzählt wird. Eine Geschichte von brutaler Folter. So brutal, dass die Römer diese Strafe grundsätzlich nur an Menschen vollstreckten, die keine Staatsbürger waren. Ein Mann verreckt an einem Baumstamm!

Ähnliche Bilder sehen wir heute zum Teil täglich in den Nachrichten. Oder wir hören davon, dass es solche Bilder gibt, ohne dass man sie uns zeigt, wie am 7. Oktober, dem Terrorangriff der Hamas. Es ist furchtbar, wozu wir Menschen fähig sind, damals wie heute. Das kommt mir bei der Ostergeschichte zuerst in den Sinn. Und ausgerechnet diese Geschichte ist nun zur Grund- und Hoffnungsgeschichte des Christentums geworden. Für mich heißt das: Der Gott, von dem in der Bibel die Rede ist, lässt uns nicht im Stich. Was immer auch kommen mag - es kann uns nichts passieren.

"Die Rede von der Auferweckung Jesu und der Auferweckung der Toten lässt sich auch als eine Metapher verstehen."

Muss man eigentlich an die körperliche Auferstehung Jesu glauben, um Christ sein zu können? Oder ist es okay, sie sinnbildlich, symbolhaft zu verstehen?

Die biblische Rede von Gott ist wesentlich eine metaphorische, also eine bildhafte Rede. Gott ist der Vater, das Volk Israel seine Kinder, Jesus sein Sohn, der "zu seiner Rechten" erhöht wird und so weiter. In diesem Sinne lässt sich auch die Rede von der Auferweckung Jesu und der Auferweckung der Toten als eine Metapher verstehen. Sie besagt dann, dass Gott die Toten nicht im Tod lässt, sondern die Macht des Todes überwindet und den Toten Anteil an seiner Herrlichkeit gibt.

Liturgisch, also in der kirchlichen Praxis, ist Ostern ebenfalls höchst spannend, weil äußerst kontrastreich. Karfreitagsgottesdienste sind still und schmucklos wie keine anderen im Kirchenjahr. An den Ostertagen hingegen wird mit Kerzenglanz, Blumenschmuck und Überschwang richtig rangeklotzt. Viele Kirchgänger schätzen die fröhliche Pracht, während Karfreitagsgottesdienste oft ziemlich leer sind. Darf man so wählerisch sein? Lässt sich Ostern überhaupt feiern, ohne den Karfreitag zu würdigen?

Aus theologischer Sicht gehören Karfreitag und Ostern natürlich untrennbar zusammen. Man versteht das eine nicht ohne das andere. Daraus folgt meines Erachtens allerdings nicht, dass man Ostern nur dann feiern darf, wenn man auch am Karfreitag in der Kirche war. Mir jedenfalls wäre das zu streng. Denn auch hier sind die Zugänge ja sehr individuell, und oft ändern sie sich im Laufe des Lebens. Wenn ich in Trauer bin, ist mir ein Karfreitagsgottesdienst in seiner tieftraurigen Schwärze vielleicht zu viel. Oder er tut mir gerade gut. Das hängt sehr stark mit der eigenen Situation und der eigenen Persönlichkeit zusammen.

"Die Osternacht verbindet beides."

Wie halten Sie es? Sind Sie eher der Karfreitags- oder der Ostertyp?

Dazwischen! Ich bin ein Osternachtstyp. Die Osternacht verbindet ja beides: Sie beginnt in der Dunkelheit, ohne Licht, ohne Orgel. Dann wird es Kerze für Kerze immer heller, und am Schluss läuten alle Glocken, und die Gemeinde singt: "Wir wollen alle fröhlich sein!" So ist es jedenfalls da, wo ich regelmäßig bin, in der Marktkirche in Hannover.

Vom Osterei und das Osterbrot über den Osterhasen bis zum Osterfeuer und dem Osterspaziergang gibt es zahlreiche Osterbräuche. Sind welche darunter, die auf christliche Tradition zurückgehen oder mit ihr in Verbindung stehen?

Im engeren Sinne: nein. All diese Traditionen haben mit dem ursprünglichen Fest nichts zu tun, sondern sind später hinzugekommen, und oft stammen sie aus ganz anderen Zusammenhängen. Ganz besonders seltsam ist der Osterhase, der Eier im Garten versteckt. Wo das eigentlich herkommt, wissen wir, wenn ich recht sehe, bis heute nicht.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden

truk911 am So, 24.03.2024 - 14:29 Link

Die Theologie der 60 er jahre hat das ja auch schon einmal versucht. Da scheint Herr Rainbold ja von vorgestern zu sein - aber Aufgewärmtes schmeckt auch so: abgestanden. Schade, dass Sie das thematisieren. Die leibliche Auferstehung Jesu ist Teil des Credo, ebenso wie die leibliche Auferstehung der Toten - alles andere ist auch für einen Theologen Spinnerei, auch wenn sie noch so wissenschaftlich daherkommt.