"Die Bäuerinnen und Bauern stehen seit langem unter starkem Druck."

Bei den Landwirten hat sich offenbar viel Frust angestaut. Was sind die Hintergründe und wie berechtigt ist ihr Ärger?

Peter Schlee: Die Bäuerinnen und Bauern stehen seit langem unter starkem Druck. Gesetzliche Auflagen, niedrige Preise, Bürokratie, Unsicherheiten durch den Klimawandel und das Gefühl, von der Öffentlichkeit nicht geschätzt zu werden, tragen dazu bei. Bäuerinnen und Bauern sind im Vergleich zur Allgemeingesellschaft überdurchschnittlich psychisch belastet und die Zahl der Bauernhöfe im Land ist im Abnehmen begriffen.

Landwirtschaftliche Arbeit ist auf Langfristigkeit angelegt, nicht nur bei zu tätigenden Investitionen. Verlässliche Rahmenbedingungen von Seiten der Politik sind deshalb wichtig. Die aktuellen Kürzungen bei der Agrardiesel-Beihilfe und der Kfz-Steuer gingen in die andere Richtung.

Die Bundesregierung hat inzwischen einen großen Teil der geplanten Subventionsstreichungen zurückgenommen. Sind die Proteste dennoch nachvollziehbar und begründet?

Die geplanten Streichungen waren für viele Bäuerinnen und Bauern der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die teilweise Rücknahme der Kürzungen zeigte, dass Handlungsmöglichkeiten bestehen. Sie konnte als Ansporn verstanden werden, weiterzumachen und mehr zu erreichen.

"Mit 6 Prozent lag die AfD beim bäuerlichen Klientel weit unter dem Durchschnitt."

Der Verfassungsschutz meint, die Proteste würden von rechtsextremen Kräften "unterwandert" – ist diese Einschätzung aus Ihrer Sicht realistisch?

Die Analyse der Wahl zum bayerischen Landtag 2023 hat gezeigt, dass sich knapp 90 Prozent der Bäuerinnen und Bauern für die CSU oder die Freien Wähler entschieden haben. Mit 6 Prozent lag die AfD beim bäuerlichen Klientel weit unter dem Durchschnitt. Die Bauernverbände sind demokratisch organisiert und bei den Bäuerinnen und Bauern ist ein aufrichtiges Interesse wahrzunehmen, sich von rechten Umtrieben zu distanzieren.

Das Stadt/Land-Gefälle in Deutschland scheint zuzunehmen, viele im ländlichen Raum scheinen sich von den Politikern in den Städten geringgeschätzt oder nicht beachtet zu fühlen? Ist das eine Stimmung, die Sie auch wahrnehmen?

In der Arbeit der Evangelischen Fachstelle für Ländliche Räume und des EBZ Hesselberg wird immer wieder deutlich, dass viele Menschen gerne in ländlichen Räumen leben. Man kennt sich und das erleichtert das tägliche Leben. Die Menschen schätzen die Nähe zur Natur. Der ländliche Raum ist auch für Stadtbewohner eine Art Sehnsuchtsort geworden.

Menschen in den ländlichen Räumen formulieren aber auch zunehmend ihr Empfinden, in politischen Entscheidungen benachteiligt zu werden. Lösungsansätze, etwa zur Klimakrise, werden eher im städtischen Kontext als realisierbar gesehen. Landleben bedeutet beispielsweise, auf das eigene Auto angewiesen zu sein, sei es auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder um die Kinder in den Musikunterricht zu bringen. Hohe Kraftstoffpreise belasten Menschen auf dem Land ganz besonders.

Peter Schlee (Evangelische Fachstelle für Ländliche Räume)

Peter Schlee ist seit Januar 2023 neuer Referent der Evangelischen Fachstelle für Ländliche Räume. Der ehemalige Agrarreferent der Evangelischen Landjugend in Bayern ist somit dem EBZ Hesselberg zugeordnet. Für das EBZ Pappenheim war er viele Jahre lang ein wichtiger Ansprechpartner für Fragestellungen rund um das Thema Landwirtschaft.

Die Fachstelle hat die Aufgabe, die Herausforderungen und Veränderungen in den ländlichen Räumen von kirchlicher Seite aus konstruktiv zu begleiten. Eingerichtet wurde sie bereits 1996 im EBZ Hesselberg in Mittelfranken. 

Peter Schlee legt Wert darauf, den gesellschaftlichen Austausch zu aktuellen Fragen des ländlichen Raumes zu fördern. Viele Landwirtinnen und Landwirte fühlten sich von der Gesellschaft, aber auch von der Kirche und kirchlichen Vertretern nicht richtig wahrgenommen. Auch die Zusammenarbeit verschiedener kirchlicher Einrichtungen, die den ländlichen Raum aus unterschiedlichen Perspektiven im Blick haben, soll gestärkt werden.

Was muss sich insgesamt ändern, damit der ländliche Raum gestärkt wird?

Bei einer Umfrage am Messestand der Evangelischen Tagungshäuser Hesselberg und Pappenheim beim Kirchentag 2023 kristallisierten sich zwei Themenfelder heraus: Zum einen die Mobilität und zum anderen die Versorgung mit medizinischen Leistungen oder den Dingen des täglichen Bedarfs. Vielerorts sind Bus und Bahn nur sehr eingeschränkt nutzbar und die Menschen sind auf das Auto angewiesen. Nicht alle Arztpraxen finden einen Nachfolger und Krankenhäuser werden zentralisiert, so die Rückmeldungen.

Eine Chance liegt im ehrenamtlichen Engagement. Dörfer mit einem aktiven Vereinsleben, dazu gehört auch eine aktive Kirchengemeinde, können attraktiv sein.

"Auch andere berufliche oder gesellschaftliche Gruppen sind von Sparmaßnahmen betroffen."

Ist viel Solidarität mit den Landwirten in der Bevölkerung vor Ort festzustellen oder sind die Leute eher genervt von den Auswirkungen der Proteste?

Grundsätzlich ist viel Verständnis für die Situation der Landwirte und deren Ärger wahrzunehmen. Im Vorfeld war auch Skepsis zu spüren, da nicht absehbar war, was konkret auf die Menschen zukommt.

Für die aktuellen Proteste gibt es auch Stimmen, die kritisch fragen, ob die Berechtigung zu Protest die Blockaden mit Fahrzeugen beinhalten muss. Das Recht zur Meinungsäußerung und zum Protest kann auch durch Menschenansammlungen und Kundgebungen geschehen. Wie die gewählte Aktionsform letztendlich in der Bevölkerung angekommen ist und welche Auswirkungen sie auf das Image der heimischen Landwirtschaft hat, wird die Zukunft zeigen.

Auch andere berufliche oder gesellschaftliche Gruppen sind von Sparmaßnahmen betroffen, haben aber nicht die Möglichkeit, auf ihr Anliegen in so deutlicher Weise wie die Landwirte aufmerksam zu machen. Gesellschaft und Politik sind gefordert, die Bedürfnisse aller Bürger im Blick zu haben.

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Woschi am Mo, 15.01.2024 - 12:44 Link

Woher weiß Herr Pfarrer Schlee eigentlich, dass die Bäuerinnen und Bauern „im Vergleich zur Allgemeingesellschaft überdurchschnittlich psychisch belastet“ sind? Ich konnte darüber auf einschlägigen Statistikportalen nichts finden.
Dass die AfD bei der Wahl zum bayerischen Landtag mit 6% „beim bäuerlichen Klientel weit unter dem Durchschnitt“ (unter welchem Durchschnitt eigentlich?) lag, nimmt Herr Schlee als Hinweis oder gar Beweis dafür, dass „bei den Bäuerinnen und Bauern … ein aufrichtiges Interesse wahrzunehmen (sei), sich von rechten Umtrieben zu distanzieren“. Mir scheint es einleuchtender, dass die geringe Zustimmung damit zu tun hat, dass die AfD die Partei ist, die Subventionen- besonders die seitens der EU - strikt ablehnt. Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber!
Zur sehr angebrachten, nötigen Ergänzung zu dem, was Herr Schlee über die Bauernproteste hier zum Besten gibt, hier noch die Position des Philosophen und evangelischen Theologen Christoph Quarch:

https://avdlswr-a.akamaihd.net/swr/swraktuell/radio/im-gespraech/fruehs…