Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Auftakt der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe Antisemitismus scharf verurteilt. "Es zählt zu den großen aktuellen Aufgaben der christlichen Kirchen in aller Welt, dem Antisemitismus zu wehren", sagte Steinmeier vor Vertretern von rund 350 Kirchen aus mehr als 120 Ländern:

"Wir müssen uns bewusst sein: Antisemitismus kann viele Formen annehmen. Doch immer bleibt er eine Hassideologie mit Vernichtungsgeschichte."

Steinmeier erinnerte an den "unter Christen und durch Christen über Jahrhunderte angestifteten mörderischen Judenhass, in Deutschland, aber nicht nur hier". Die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft, "in Deutschland, in Israel, in den Ländern der Welt", gehöre zum Gebot aller Religionen. "Niemals dürfen wir zulassen, dass die Religion, die den Menschen aufrichten, ermutigen und erhöhen soll, zu einem Instrument der Erniedrigung anderer, des Hasses und der Gewalt wird", fügte Steinmeier hinzu.

Bundespräsident erinnert an 1948

Der Bundespräsident erinnerte daran, dass die deutschen Kirchen schon 1948 bei der ersten Versammlung des Weltkirchenrates in Amsterdam dabei sein konnten und als gleichberechtigte Mitglieder begrüßt wurden:

"Nach dem Schrecken, den das Deutsche Reich über die Welt gebracht hat, nach dem Krieg, nach der planmäßigen Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden - nach all diesen unfassbaren Verbrechen war das keine Selbstverständlichkeit."

Generalsekretär weist Antisemitismus-Vorwürfe zurück

Der geschäftsführende Generalsekretär des Weltkirchenrates, Ioan Sauca, hat Vorwürfe des Antisemitismus indes erneut zurückgewiesen. Der Ökumenische Rat der Kirchen habe bereits bei seiner Gründung 1948 Antisemitismus als eine Sünde angeprangert, betonte Sauca am Mittwoch in Karlsruhe.

Sauca stellte auf der 11. ÖRK-Vollversammlung seinen Tätigkeitsbericht vor, in dem es heißt: "Wir widersetzen uns allen Formen von Antisemitismus, lehnen sie ab, ächten und verurteilen sie." Zugleich stehe der ÖRK mit seinen 352 Mitgliedskirchen für gleiche Menschenrechte für Palästinenserinnen und Palästinenser ein.

Gegen Menschenrechtsverletzungen, für Zwei-Staaten-Lösung

Der Dachverband prangere Menschenrechtsverletzungen an und appelliere an die israelische Regierung,

"alle Bürgerinnen und Bürger zu schützen, ungeachtet davon, ob sie israelisch oder palästinensisch sind".

Der ÖRK rufe "entschieden und konsequent für ein Ende der Besatzung" palästinensischer Gebiete durch die Israelis auf. Solche Forderungen hätten nichts mit Antisemitismus zu tun, erklärte Sauca, ein orthodoxer Theologe aus Rumänien.

Ziel müsse eine auf das Völkerrecht gestützte Zweistaatenlösung im Nahen Osten sein. "Wir wollen, dass die israelische und palästinensische Bevölkerung zusammenleben kann auf dem Weg zu Frieden, Versöhnung und gerechtem Frieden", betonte Sauca.

Steinmeier: Russisch-Orthodoxe Kirche macht sich mit Kriegsverbrechen in Ukraine gemein

Steinmeier äußerte sich auch zu einem weiteren Thema des ÖRK-Treffens. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte der Bundespräsident: "Auf einen schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg führen zurzeit die Führer der Russisch-Orthodoxen Kirche ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche." Sie rechtfertigten "einen Angriffskrieg gegen die Ukraine - gegen ihre eigenen, gegen unsere eigenen Brüder und Schwestern im Glauben". Die Russisch-Orthodoxe Kirchenführung habe sich mit den "Verbrechen des Krieges gegen die Ukraine gemein gemacht", so Steinmeier laut Redetext.

Diese Propaganda müsse auf dem Ökumene-Gipfel in Karlsruhe auf Widerspruch stoßen.

"Wie viele Frauen und Männer und auch Kinder in der Ukraine sind dieser Hetze, diesem Hass und dieser verbrecherischen Gewalt zum Opfer gefallen."

Er begrüßte ausdrücklich die Delegationen der Kirchen aus der Ukraine. Er hoffe, "dass sie von diesem Treffen Stärkung und Unterstützung mitnehmen können in ihre leidgeprüften Kirchen und Gemeinden zu Hause".

Russisch-Orthodoxe reagieren empört auf Steinmeier-Rede

Die russisch-orthodoxe Kirche hat Äußerungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem Welt-Ökumene-Gipfel mit Empörung zurückgewiesen. Steinmeiers Anschuldigungen im Zusammenhang mit dem "Konflikt in der Ukraine" seien "völlig unbegründet", sagte der russisch-orthodoxe Delegationsleiter, Metropolit Antonius, dem Sonntagsblatt am Donnerstag in Karlsruhe mit Verweis auf eine offizielle Stellungnahme.

Die Position Steinmeiers sei "ein Beispiel für den unverschämten Druck eines hochrangigen Vertreters der Staatsmacht auf die älteste zwischenchristliche Organisation", erklärte der Metropolit. Es handele sich um "eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Ökumenischen Rates der Kirchen, ein Versuch, den friedensstiftenden und politisch neutralen Charakter seiner Arbeit infrage zu stellen".

Der Bundespräsident habe "alle humanitären Bemühungen des Moskauer Patriarchats im Zusammenhang mit der Konfrontation in der Ukraine völlig außer Acht gelassen". Zudem habe Steinmeier die ÖRK-Vollversammlung aufgefordert, die russisch-orthodoxe Kirche zu verurteilen.

Erstmals in Deutschland

Erstmals in der über 70-jährigen Geschichte des Weltkirchenrates tagt dessen höchstes Gremium in Deutschland. An dem bis 8. September dauernden Ökumene-Gipfel nehmen etwa 4.000 Gäste aus rund 120 Ländern teil. Der ÖRK vertritt weltweit über 580 Millionen Christen. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied.