Der Leiter der Passionsspiele Oberammergau, Christian Stückl, ist trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zufrieden mit der ersten Passions-Halbzeit. Die Darsteller seien auch nach 50 Vorstellungen immer noch mit Ernst bei der Sache und hoch konzentriert, sagte Stückl im Gespräch mit dem Sonntagsblatt.

Auch beim Publikum kommt die diesjährige Passion offenbar an: Die Gesamtauslastung im Theater betrage laut Walter Rutz, Geschäftsführer der Passionsspiele, für jede Vorstellung 85 Prozent. Angesichts der schwierigen Ausgangssituation mit Pandemie und Ukrainekrieg übertreffe das seine Erwartungen. Zugleich könne man bis zur letzten Aufführung noch Karten in allen Kategorien anbieten.

"Wir sind froh, dass es so rausgegangen ist. Wir müssen wirklich dankbar sein." 

Corona-Pandemie hat die Passionsspiele nicht nur eingeschränkt, sondern auch bereichert

Und dennoch sei diese Spielzeit mit ihren 110 Vorstellungen zwischen Mai und Oktober von Corona geprägt, sagte Stückl. In den vergangenen zwei Wochen habe es viele Corona-Fälle bei den Darstellern gegeben, in der Spitze bis zu 20 am Tag. Einmal seien die Darsteller der zwei Verbrecher am Kreuz gleichzeitig krank gewesen. Dafür seien dann zwei Apostel-Darsteller eingesprungen und hätten am Kreuz hängen müssen. "Die waren hoch aufgeregt, haben aber den Text sauber abgeliefert. Die waren richtig gut", sagte Stückl. Wegen Corona habe man sich auf solche Eventualitäten vorbereiten müssen.

Christian Stückl kann der Corona-Pandemie aber auch Positives abgewinnen: Eigentlich hätten die Passionsspiele schon 2020 stattfinden sollen, mussten aber wegen Corona um zwei Jahre verschoben werden. Von den ursprünglich 2.000 erwachsenen Darstellern seien letztlich 500 abgesprungen, weil sie sich nicht noch einmal monatelang hätten freinehmen können für die Passion. Mit der aktuellen Zahl der Darsteller zeigt sich Stückl nun zufrieden. Die Bühne sei nicht mehr so überfüllt. Man müsse künftig schon darüber nachdenken, wie man die Zahl der Darsteller begrenzen kann.

Diese Tradition der Passionsspiele hält Stückl für überholt

Eine Tradition hält Christian Stückl für überholt: nämlich dass nur gebürtige Oberammergauer oder Menschen, die seit mindestens 20 Jahren in dem Ort wohnen, bei den Passionsspielen mitwirken dürfen. "Diese Tradition ist eine ganz schreckliche", sagte Stückl, selbst gebürtiger Oberammergauer.

Sie sei 1960 eingeführt worden, um Flüchtlinge und Vertriebene von den Passionsspielen auszuschließen. Es gehe also nicht einmal um eine "wirklich alte" Tradition, betont Stückl. Heute sei es jungen Leuten einfach nicht mehr vermittelbar, warum sie 20 Jahre lang auf einen Einsatz warten müssen.

Christian Stückl
Christian Stückl, der Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele.

Gottesdienste in Oberammergau sind gut besucht

Zufrieden sind auch die Kirchen am Ort, die ein Begleitprogramm zur Passion anbieten. Pro Woche finden in der katholischen Kirche St. Peter und Paul 14 Heilige Messen statt; die evangelische Kreuzkirche feiert jeden Morgen Abendmahl und lädt an den Spieltagen mittags zur Orgelandacht ein. In den dreistündigen Spielpausen am Nachmittag kämen zum Teil weit über 50 Theaterbesucherinnen und -besucher in den Gemeindesaal der Protestanten, um bei Tee und Kaffee über ihre Fragen zum Stück zu sprechen.

"Die Menschen sind berührt von der Aktualität der Passion und wie nahe uns das Geschehen mit Krieg und Pandemie gerade ist",

sagte der evangelische Ortspfarrer Peter Sachi dem Sonntagsblatt.

Für Sachi ist es die zweite Passion und die erste, an der er selber mitwirkt: Bei 65 von 110 Aufführungen singt der evangelische Pfarrer im Bass des großen Passionsspiel-Chors mit. Für ihn ein Privileg, denn der gebürtige Münchner lebt erst seit 13 Jahren in Oberammergau. Die letzte Aufführung läutet auch seinen Abschied vom Passions-Dorf ein: Ab 1. November ist der Pfarrer im Ruhestand.

Der Hintergrund der Spiele

Die diesjährige Saison dauert noch bis 2. Oktober. Das weltberühmte Laienspiel mit Hunderttausenden Besuchern aus aller Welt geht zurück auf ein Gelübde aus dem Jahr 1633. Als vor fast 400 Jahren die Pest in vielen Teilen Europas wütete, machte sie auch vor dem oberbayerischen Dorf Oberammergau nicht halt.

Seine Bewohner gelobten damals, in jedem zehnten Jahr das Leiden und Sterben Christi aufzuführen, wenn nur niemand mehr an der Pest sterben sollte. Das Dorf wurde erhört, und so spielten die Oberammergauer 1634 das erste Passionsspiel.