"Meine Pferde bewegen sich bei der Freiheitsnummer so, wie sie es auch in der freien Wildbahn tun würden."

"Freiheitsdressur" - was kann man sich unter diesem Begriff vorstellen?

Emma Tytherleigh: Jeder hat eine andere Meinung zu diesem Begriff. Für mich persönlich geht es darum, eine gemeinsame Sprache zu schaffen, die wir beide verstehen können. Pferde können nicht verbal mit uns kommunizieren, also liegt es in unserer Verantwortung, zu lernen, wie wir unsere Körpersprache so einsetzen können, dass sie uns verstehen, um mit ihnen zu sprechen. Ein Beispiel, das ich gerne verwende, ist, dass es ein wenig so ist, als würde man die Zeichensprache lernen, um mit einer taubstummen Person zu kommunizieren.

Sylvie Willms: Die Freiheitsdressur zeichnet sich dadurch aus, dass sich meine Pferde ohne Sattel und Zaumzeug frei in der Arena mit mir gemeinsam bewegen. Im Gegensatz zum Dressurreiten, wo die Bewegungen antrainiert werden und in gewisser Weise sehr sportlich sind, können sich meine Pferde bei der Freiheitsnummer so bewegen, wie sie es auch in der freien Wildbahn tun würden. Auf der Koppel steigt ein Pferd zum Beispiel auch oder legt sich hin. Und auch das Hinsetzen auf die Hinterläufe zeigen Pferde in freier Natur, wenn auch nicht alle. Im Grunde bestärke ich jene Verhaltensweisen, die die Pferde von alleine auf der Koppel zeigen, positiv und kann sie dann in der Show abrufen.

"Grundvoraussetzung für diese Art von Dressur ist, dass meine Pferde dabei immer Spaß haben sollen. "

Gibt es dafür bestimmte Voraussetzungen?

Sylvie Willms: Wichtig ist, dass ich für diese Nummer Pferde einsetze, die dieses Verhalten auch von sich aus zeigen, wie etwa das Hinsetzen. Ich würde niemals eines meiner Pferde dazu zwingen, sich hinzusetzen, wenn es dies noch nie von sich aus getan hat, denn dann liegt es einfach nicht in dessen Natur. Grundvoraussetzung für diese Art von Dressur ist, dass meine Pferde dabei immer Spaß haben sollen. Es ist wie ein Spiel zwischen uns und sie genießen es tatsächlich, frei durch die Arena zu galoppieren und mit mir zusammen zu agieren. Meine große Freiheit in der aktuellen Show dauert insgesamt acht Minuten und diese Zeit brauche ich auch, denn die Nummer verläuft jedes Mal etwas anders, weil hier nichts mit Zwang läuft. Ich muss flexibel bleiben und bin in ständiger Kommunikation mit meinen Pferden, um zu schauen, ob sie auf mich reagieren. Es kann schon mal passieren, dass eines der Pferde gerade nicht zu mir schaut und mit der Aufmerksamkeit woanders ist und das ist auch ok. Dann warte ich so lange, bis alle zu mir schauen und gebe dann mein Handzeichen und es folgt z.B. eine Drehung um die eigene Achse. Wie gesagt, Spaß und Vertrauen sind die Grundvoraussetzung für diese Art von Darbietung, so wie für alle anderen natürlich ebenso.

Pferde und Hunde - das geht oftmals nicht gut, warum klappt das bei Ihnen?

Emma Tytherleigh: Die meisten Pferdebesitzer haben auch Hunde. In jedem Stall, den Sie besuchen, werden Sie normalerweise vom Hofhund begrüßt. Ich denke, unsere Beziehung ist ein wenig anders, da wir rund um die Uhr zusammenleben, arbeiten und spielen, wie eine ungewöhnliche vierköpfige Familie. Die Jungs vertrauen mir und den anderen von Natur aus, und sie wissen, dass ich sie füttere und für ihre Sicherheit sorge. Mein Hund Cowboy ist von Natur aus ein energiegeladenes Raubtier, und Rocko ist ein verletzliches Beutetier mit einem geringen Energielevel. Um sie zu trainieren, muss ich bei Cowboy ein hohes Energielevel einsetzen, um ihn zu aktivieren und zu motivieren, und bei Rocko muss ich eine niedrigeres, ruhigeres Energielevel einsetzen, damit er mir vertraut, wenn ich ihn um Tricks wie Sitzen und Hinlegen bitte, was für jedes Beutetier in der freien Wildbahn eine gefährliche Position ist. Ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Gegensätzen zu finden und zu wissen, wann man beschleunigen und wann man verlangsamen muss, war der Schlüssel zu diesem Prozess, aber es dauerte nicht lange, bis beide es verstanden hatten.

"Echte Reiter und Reiterinnen sind eine ganz andere Art von Menschen."

Reiterinnen und Reiter berichten von ihrer Beziehung zum Tier meist in einer tiefsinnigeren Weise, als dies bei anderen Tier-Mensch-Verhältnissen der Fall ist. Ist das nur ein Klischee oder können Sie das so bestätigen?

Emma Tytherleigh: Dies ist definitiv kein Klischee, ich denke, dass echte Reiter und Reiterinnen eine ganz andere Art von Menschen sind. Alles, was wir tun, tun wir mit Leidenschaft für unsere Pferde. Obwohl der Reitsport wie ein Sport für die Elite aussieht, gibt es in der Pferdebranche insgesamt sehr wenig Geld. Das Geld, das wir verdienen, fließt zurück in die Pflege der Pferde. Urlaub ist sehr selten, es gibt keine Krankheitstage, die Tiere brauchen uns. Die Winter sind hart, kalt und nass, aber man lernt jeden Tag dazu, und das ist nur eines der schönen Dinge an diesen großartigen Tieren. Sie geben uns so viel im Leben, und alles, was sie im Gegenzug verlangen, ist Nahrung und Sicherheit - wir als Ganzes haben sie wirklich nicht verdient.

Sylvie Willms: Ich denke, jeder Mensch kann zu jedem Tier eine tiefe Bindung aufbauen, wenn er sich Zeit dafür nimmt. Der Unterschied zwischen einer Pferd-Mensch-Beziehung und einer anderen Tier-Mensch-Beziehung ist vielleicht, dass ein Großteil der Menschen ihrem Beruf im Büro nachgeht und sich maximal in ihrer Freizeit mit ihrem Hund oder ihrem Hasen beschäftigt. Für ein Pferd braucht man die Natur und Wiesen und Ställe und eben viel Zeit, die nicht jeder Mensch hat. Ich kann nur für mich sprechen, aber für mich sind meine Pferde meine Familie und ich verbringe 24/7 mit ihnen. Dadurch haben wir natürlich eine sehr intensive Beziehung zueinander, die auf großem Vertrauen beruht und sich im ständigen Prozess befindet. Meine Pferde sind meine Leidenschaft und mein Beruf gleichermaßen und es ist ein großes Glück, dass ich das beides hier bei "Cavalluna" unter so großartigen Bedingungen miteinander verbinden kann.

Pferde werden auch oft therapeutisch eingesetzt. Warum ist das Pferd so gut geeignet, beispielsweise auch bei Menschen mit Autismus oder anderen Handicaps Spannungen zu lösen?

Emma Tytherleigh: Zum Glück gibt es heutzutage so viele verschiedene Arten von Therapie- und Rehabilitationspferden. Diese Frage lässt sich nur schwer kurz beantworten. Sie sind von Natur aus einfühlsame Tiere. Wenn wir in ihrer Nähe sind, lehren sie uns, langsamer zu werden und erinnern uns daran, zu atmen. Sie sind nicht voreingenommen und haben keine Ziele. Man könnte keinen besseren Freund finden, mit dem man seine verletzliche Seite teilen kann.

Sylvie Willms: Pferde haben ein ganz besonderes Gespür für Menschen mit Handicaps oder Einschränkungen. Ich möchte Ihnen von einer Begegnung erzählen, die mich sehr berührt hat: Ich hatte ein Pferd, das war etwas grob im Umgang mit Menschen, nicht boshaft, aber es war einfach von Natur aus nicht so umsichtig und man musste immer etwas aufpassen, dass man nicht auf einmal seinen Kopf gegen die Nase bekam. Bei einer der vergangenen "Cavalluna"-Shows war bei einer Stallführung ein Vater mit seinem Sohn dabei, der im Rollstuhl saß und eine spastische Lähmung hatte. Als ich sah, wie der Vater den Arm seines Sohnes ausgerechnet zu diesem Pferd hob, bat ich ihn, zu einem anderen Pferd zu gehen, da ich eben Sorge hatte, es könnte den Jungen unabsichtlich verletzten. Aber der Vater beruhigte mich und sagte, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen, das Pferd würde seinem Jungen nichts tun. Und genau so war es: Ich erkannte mein Pferd nicht wieder, denn es war plötzlich ganz sanft und lieb zu dem Jungen, ganz vorsichtig beschnupperte es das Kind und schenkte ihm seine ganze Aufmerksamkeit – so hatte ich dieses Pferd vorher noch nie erlebt! Dieses Erlebnis war wirklich sehr beeindruckend für mich und hat mir gezeigt, dass Pferde diesbezüglich wirklich einen siebten Sinn besitzen. Generell ist es auch so, dass meine Pferde meine Gefühle spiegeln. Wenn ich traurig bin, sind sie es auch, wenn ich fröhlich bin und ausgelassen, sind auch sie es. Sie spüren einfach ganz genau, wie es mir gerade geht. Deshalb ist es so wichtig und schön, dass Pferde auch therapeutisch eingesetzt werden, denn sie helfen Menschen dabei, sich zu spüren und zu entspannen.

"Es geht nicht um Respekt, eher um Vertrauen."

Pferde sind bekanntlich Herdentiere, die sich in einer Rangordnung einfügen und denen man als Mensch Respekt beibringen muss, wenn man sie dressieren will. Wie schaffen Sie es, trotzdem ein harmonisches Verhältnis zu pflegen?

Emma Tytherleigh: In meiner kleinen vierköpfigen Herde einschließlich mir selbst geht es nicht wirklich um Respekt, sondern eher um Vertrauen. Das Vertrauen, das ich etwas von ihnen verlange, um für sie zu sorgen, Spaß zu haben oder sie zu beschützen. Rocko und ich sind dieses Jahr seit 23 Jahren zusammen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir eher wie Bruder und Schwester sind, wenn wir auf der Koppel sind und er mir mit seiner Nase in die Seite stupst, weil er weiß, dass ich Karotten in meinen Taschen habe.

Sylvie Willms: Zunächst einmal hat jedes meiner Pferde eine eigene Persönlichkeit, keines gleicht dem anderen. Ich vergleiche es gerne mit meiner Beziehung zu meinem Kind: Es ist keine Dressur, ich lebe mit meinem Kind zusammen und gebe ihm Liebe und Vertrauen und darauf baut unsere Beziehung auf. Ich respektiere mein Kind und es respektiert mich. Natürlich führe ich mein Kind auch durch das Leben und bin konsequent in dem, was ich sage. Ich lebe ihm meine Werte vor und zeige ihm, was aus meiner Sicht richtig und was falsch ist. Das ist auch für meine Pferde wichtig, dass sie sich auf mich verlassen können und wissen, dass ich sie beschütze. Nur dann fühlt sich ein Pferd sicher und folgt mir gerne und ohne Zwang.

Wie kann man sich den Transport zwischen den Städten sowie die Unterbringung der Tiere bei den "Cavalluna"-Shows vorstellen?

Emma Tytherleigh: Mit "Cavalluna" auf Tour zu sein, hat all meine Erwartungen übertroffen. Wir haben hier von allem das Beste. Vom Essen bis zur professionellen Betreuung, wir könnten uns nichts Besseres wünschen. Jedes Wochenende fahren wir in eine neue Stadt, aber die Routine ist die gleiche, die gleichen Pferdetransporter, Reitplätze und Ställe, mit den gleichen Pferden und Freunden, die sich mit dem ganzen Prozess völlig wohl fühlen. Unter der Woche sind alle Pferde gemeinsam im "Cavalluna"-Zwischenstall in Tönisvorst bei Düsseldorf untergebracht. Das ist ein weitläufiges Gelände mit viel Platz zum Spazierengehen, Ausreiten und Erholen. Ich lebe gerne hier, es gibt Gästewohnungen, in denen die Pfleger und wir Reiter untergebracht sind, so kann ich 24/7 mit meinen Jungs zusammen sein. Mein Pferd und mein Pony leben das ganze Jahr über draußen in einem sehr großen Paddock. Ich versuche, in der Woche verschiedene Dinge mit ihnen zu unternehmen, so fahre ich mein Pony meistens mit der Kutsche, um es fit zu halten, und Ricchi reite ich entweder in einer der Reithallen oder gehe mit ihm auf den Landstraßen spazieren oder mache Ausritte über die Felder. Auf diese Weise haben sie immer etwas anderes zu tun, und sie bleiben an ihrer Aufgabe auf der Bühne interessiert.

Sylvie Willms: Unser Zwischenstall in Tönisvorst ist ein wundervoller Ort, wo meine Pferde und ich uns zwischen den Show-Wochenenden ausruhen und entspannen können.  Dieser Ort ist unser Ausgangspunkt zu jeder Tourstadt in Deutschland und Europa. Von hier aus werden wir von der "Cavalluna"-Shuttle-Crew jeden Freitag zu der jeweiligen Tourstadt gefahren und kehren am Montag drauf wieder zurück. Alle knapp 60 Pferde, Ponys und ein Esel passen in drei große Pferdetransporter, so groß wie LKWs. Die Pferde sind die letzten, die am Show-Wochenende anreisen, und die ersten, die Montagfrüh wieder abreisen, damit sie nicht länger als nötig vor Ort sein müssen. Wenn sie Freitagabend in der Tourstadt ankommen, sind die Stallzelte bereits aufgebaut, beheizt und eingestreut. Dann wird noch gefüttert und gekuschelt und wir gehen zeitig schlafen, damit wir alle fit sind für das Wochenende.

 

Wir verlosen zwei Mal zwei Karten für die Cavalluna-Vorstellung am Sonntag, 5. Februar um 18.30 Uhr in der Nürnberger Arena. Einfach an die Adresse sonntagsblatt@epv.de schreiben, warum man gerne die Show sehen möchte. Einsendeschluss ist Freitag, 3. Februar 2023, 12 Uhr. Das Los entscheidet, der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen.

Freiheitsdressur
Sylvie Willms´Spezialität ist die »Freiheitsdressur«. Sie lebt abseits der Bühnen mit einer Herde von 24 Pferden.

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