Zumindest der Ernte von Landwirt Ulrich Löhr hat der Dürre-Sommer 2022 nicht übermäßig geschadet. "Die Getreide- und Rapsernte war trotz der Trockenheit erstaunlich gut", sagt der Agrarwissenschaftler und Vize-Präsident des niedersächsischen Landvolks. Gleichwohl waren die Ähren vielfach schon vor der Zeit reif. Auch ihr Eiweißgehalt sei in diesem Jahr gering und daher sei das Korn größtenteils nicht zum Backen, sondern nur als Tierfutter geeignet, sagt Löhr.

Voraussichtlich 5 Prozent weniger Getreide als 2021

Die Getreideernte in Deutschland wird sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2022 voraussichtlich auf knapp 40 Millionen Tonnen belaufen, fünf Prozent weniger als im Vorjahr. Schlechter sieht es beim Mais aus: An vielen niedersächsischen Standorten klagen Landwirte über zu kleine Pflanzen und mickrige Kolben. Der Grund: Hitze, Bodentrockenheit und Dürre haben den Mais überfordert.

Mehr Widerstandskraft erhoffen sich die Pflanzenzucht-Experten des Saatgut-Unternehmens KWS von den Maispflanzen in ihrem Labor im südniedersächsischen Einbeck. Dort wachsen in einer Art Hightech-Gewächshaus hunderte Maispflanzen in blauen Metallkästen. Zwischen ihnen fahren Roboter hin und her. Die Vehikel, die aussehen wie überdimensionierte Mähroboter, bringen die Pflanzenkästen je einzeln in eine Fotokabine in der Mitte der gläsernen Halle, der sogenannten Phenofactory. Dort vermessen Hochpräzisions-Kameras das Erscheinungsbild, den "Phänotyp", der Pflanze.

"Wir wollen wissen, wie die Pflanze auf Umwelteinflüsse wie etwa Trockenheit reagiert", erklärt der Agrarwissenschaftler Volker Utesch.

Das Ziel von KWS sei es, diejenigen Sorten zu finden, die am besten mit Trockenstress zurechtkommen. "Wir starten jedes Jahr mit mehreren zehntausend Zucht-Linien", erklärt Utesch das Auswahl-Verfahren. "Nach zehn Jahren intensiver Prüfung unter Trockenstress setzen sich nur wenige Linien durch." Diese werden miteinander gekreuzt, um Hybrid-Saatgut herzustellen. "Mit dieser gezielten Sortenentwicklung realisieren wir eine fünf bis zehn Prozent höhere Ertragsstabilität." Landwirt Löhr bestätigt: "Bei Mais und Raps hat sich das teurere Hybrid-Saatgut schon seit einigen Jahren durchgesetzt, da der Ertrag die Mehrkosten aufwiegt."

Schnelleres Wachstum auf dem Acker mit Technologie

Die automatisierten und präzisen Abläufe in der Phenofactory ermöglichten eine schnelle Vorauswahl, erklärt Utesch. "So erhöhen wir die Trefferquote und die Züchtungsgeschwindigkeit." Aufwändige Anbauversuche auf dem Acker würden so ergänzt. Doch noch immer dauere es im Schnitt bis zu zehn Jahre, bis eine Sorte zur Zulassung komme und den Landwirten zur Verfügung stehe.

Löhr geht das nicht schnell genug: "Solche Züchtungsverfahren sind überholt. Den gleichen Zuchtfortschritt könnten wir mit der Gen-Schere viel schneller erreichen." Löhr meint das bekannteste Beispiel der neuen gentechnischen Verfahren, die sogenannte Genom-Editierung. Es ärgert ihn, dass der Anbau genom-editierter Pflanzen in der Europäischen Union derzeit verboten ist.

"Es ist, als würde man einem Installateur die Rohrzange wegnehmen und dann sagen: Jetzt sieh zu, wie du die Heizung zum Laufen bekommst", sagt Löhr.

Viele Agrar-Experten versprechen sich von der Genom-Editierung, Pflanzen präzise und schnell an die Folgen der Klimakrise anpassen zu können. Sie argumentieren, dass auch die konventionelle Züchtung auf natürliche oder künstliche Mutationen setzt und dabei unvermeidlich auch ungewollte Mutationen auf die Felder gebracht werden. Demgegenüber seien die neuen gentechnischen Verfahren präziser und sicherer. Mit der klassischen Gentechnik ließen sich diese kaum vergleichen: "Mit der alten Technik bringen Sie fremde Gene ins Erbgut und greifen in die Natur ein", sagt Löhr. "Mit den neuen Verfahren werden Mutationen erzeugt, die sich von natürlich auftretenden Veränderungen nicht unterscheiden."

Kritik: Nicht alle Nebenwirkungen von Genom-Editierung bekannt

Anders sieht das die Referentin für Lebensmittelpolitik des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Jutta Jaksche. Noch seien längst nicht alle Nebenwirkungen der Genom-Editierung bekannt, sagt die Agrarwissenschaftlerin und betont: "Sollte die EU-Kommission Ausnahmeregelungen für die neue Technik schaffen, wäre das unverantwortlich. Auch die neue Gentechnik ist Gentechnik." Nötig sei eine Risikobewertung aller gentechnisch veränderten Organismen sowie möglicher Wechselwirkungen mit der Umwelt oder mit anderen gentechnisch veränderten Organismen. "Statt nicht so genau hinzuschauen, müssen wir genauer hinschauen."

Löhr würde es zwar begrüßen, wenn die EU den Weg für die neuen Züchtungstechnologien frei machen würde. Noch ist er aber nicht auf Hochleistungs-Saatgut angewiesen. Für das Wintergetreide wird er ab Ende September nicht das teure Hybrid-Saatgut, sondern Saatgut üblicher Liniensorten aus eigener Ernte aussäen. "Beim Weizen und der Gerste sind Hybridsorten ertraglich gleich auf mit den besten Liniensorten. Bei fortschreitendem Zuchtfortschritt und zunehmenden Hitzeperioden wird sich das wahrscheinlich ändern."